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Kabinett beschließt GrundsicherungHöchststrafe Obdachlosigkeit

Härtere Sanktionen und weniger Schonvermögen: Die neue Grundsicherung soll das Bürgergeld ablösen. Sozialverbände und Opposition üben harte Kritik.

Essensausgabe bei der Tafel: Die Ärmsten dürfen wieder schickaniert werden Foto: Gero Breloer/picture alliance

Aus Berlin

Jasmin Kalarickal

Ab 2026 soll die neue Grundsicherung das Bürgergeld ablösen. Darauf hat sich die Bundesregierung nach längerem Gerangel geeinigt. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den entsprechenden Entwurf der Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) abgesegnet.

Das Gesetz umfasst nicht nur eine Namenänderung, sondern viele tiefgreifende Veränderungen. Sie betreffen Sanktionen, das Schonvermögen von Menschen oder auch die Übernahme von Wohnkosten.

Besonders umstritten sind die geplanten schnelleren und härteren Sanktionen. Auch wenn diese oft die medialen Diskussionen bestimmen, Sanktionen betreffen insgesamt nur einen Bruchteil der Bürgergeldbeziehenden. Dennoch sollen diese massiv verschärft werden. Künftig soll gelten: Wer zum Beispiel eine Fördermaßnahme abbricht, dem können Leistungen direkt um 30 Prozent für bis zu drei Monate gekürzt werden. Das wären heute etwa 150 Euro weniger vom Regelsatz.

Wenn eine Person ein konkretes Arbeitsangebot ablehnt, kann in Zukunft auch direkt der komplette Regelsatz wegfallen. Die Miete wird in dem Fall aber weiter übernommen und direkt an die Ver­mie­te­r:in­nen überwiesen. Die Regelsätze von Kindern werden nicht gekürzt, allerdings ist das Haushalteinkommen durch eine Sanktion von Elternteilen empfindlich getroffen.

Terminversäumnisse

Besonders hart werden mehrfache Terminversäumnisse bestraft. Wer zwei Termine ohne Angabe von Gründen verpasst, bekommt künftig 30 Prozent weniger Geld. „Eine Gelegenheit zur persönlichen Anhörung soll erfolgen, wenn ein drittes aufeinander folgendes Meldeversäumnis geprüft wird“, heißt es im Gesetzentwurf. Über diesen Satz hatte die Bundesregierung zuletzt länger intern gerungen – ergänzt wurde der Satz am Ende durch das Wort „Gelegenheit“.

Das bedeutet: Eine persönliche Anhörung ist nicht verpflichtend, sie muss nur angeboten werden. Wer drei Termine versäumt und sich auch danach nicht im Jobcenter meldet, dem können neben den Regelsätzen auch die Wohnkosten gestrichen werden – allerdings nur, wenn keine Kinder und Jugendlichen im Haushalt leben. Wenn das Jobcenter Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung hat, sollen Menschen persönlich angehört werden.

Sozialverbände, Grüne und Linke kritisieren aber, dass der Schutz von verletzlichen Gesellschaftsmitgliedern nicht ausreichend ist. Armin Grau, sozialpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, bezeichnete die Regelungen zum Schutz von psychisch Erkrankten und Kindern als „realitätsfremd und unzureichend.“ Nicht immer sei „von außen zu erkennen, ob jemand seelisch krank ist.“

Die sozialpolitische Sprecherin der Linken sprach gar von „staatlich organisiserter Grausamkeit“. Mit brutaler Härte wolle „die Regierung gegen die Verletzlichsten unserer Gesellschaft vorgehen.“

Der Deutsche Anwaltsverein hat zudem verfassungsrechtliche Bedenken, beim vollständigen Wegfall des Regelbedarfs: „Menschen mit psychischen Erkrankungen oder vorübergehender Handlungsunfähigkeit drohen existenzielle Leistungsausfälle – bis hin zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes.“

Neuer Umgang mit hohen Wohnkosten

Neu geregelt wird auch der Umgang mit Wohnkosten in der Karenzzeit. Bislang ist es so, dass im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs die Mietkosten vollständig übernommen werden – auch wenn diese höher sind, als eine Kommune eigentlich als angemessen erachtet. Künftig sollen die Mietkosten in der Karenzzeit gedeckelt werden.

Überteuerte Mieten vonseiten der Ver­mie­te­r:in­nen sollen zudem nicht mehr akzeptiert werden. Verstößt die aufgerufene Miete zum Beispiel gegen die Mietpreisbremse, müssen Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r*in­nen ihre Ver­mie­te­r:in­nen auffordern, die Miete entsprechend zu senken. Außerdem können Kommunen eine Quadratmeterhöchstmiete festlegen, um besser gegen Mietwucher vorgehen zu können.

Der Deutsche Mieterbund kann es zwar nachvollziehen, dass der Staat keine überhöhten Mieten finanzieren will. Doch wenn „die Wohnkosten von Tag eins an gedeckelt werden, wird es zwangsläufig zu Rückständen kommen“, warnte die Präsidentin Deutschen des Mieterbundes, Melanie Weber-Moritz. Damit steige das Risiko für einen Wohnungsverlust.

Neue Regelungen betreffen auch das Schonvermögen von Menschen. Bevor jemand Leistungen bekommt, muss er künftig stärker sein Vermögen aufbrauchen, abhängig vom Alter. Zudem soll mit der Reform wieder der sogenannte Vermittlungsvorrang gestärkt werden. Die Vermittlung in Arbeit wird damit höher bewertet als Weiterbildungen und Qualifizierung. Die Neuerungen sollen größtenteils zum 1. Juli 2026 in Kraft treten.

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