Neue Regierung in Österreich: Hintertürchen im Koalitionsvertrag
ÖVP und Grüne dürfen bei asylpolitischen Fragen auch außerhalb der Koalition Mehrheiten suchen. Allerdings nur bei „besonderen Herausforderungen“.
So findet sich auf Seite 200 des Koalitionspaktes unter der Überschrift „Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl“ die Möglichkeit eines koalitionsfreien Raums, sollten „besondere Herausforderungen im Bereich Migration und Asyl entstehen“.
Für den Fall, dass es der Bundesregierung nicht gelingt, „diesen Herausforderungen gemeinsam und zeitgerecht zu begegnen und proaktiv die erforderlichen Maßnahmen (inkl. gesetzgeberische Maßnahmen) zu setzen“ und weder der Koordinierungsausschuss noch ein Gespräch zwischen Kanzler und Vizekanzler das nötige Einvernehmen herstellen kann, dann ist jeder der Partner berechtigt, einen eigenen Antrag ins Parlament zu bringen. Und sich dafür – außerhalb der Koalition – eine Mehrheit zu suchen.
Das heißt aber auch, dass ÖVP und FPÖ gemeinsam Gesetze durchbringen könnten, die sich an Viktor Orbáns Flüchtlingspolitik in Ungarn orientieren. „Echtes Novum im Koalitionsabkommen“, twitterte ORF-Anchorman Armin Wolf.
August Wöginger, ÖVP-Hauptverhandler
Für die Grünen bietet dieses Hintertürchen die Möglichkeit, aus ihrer Sicht bedenkliche Maßnahmen nicht mittragen zu müssen, ohne die Koalition platzen zu lassen. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz will für ein etwaiges Scheitern der neuen Regierung gewiss nicht verantwortlich sein. Es wäre (nach SPÖ und FPÖ) seine dritte Koalition, die vorzeitig beendet würde.
ÖVP-Hauptverhandler August Wöginger antwortete im Ö1 Morgenjournal am Freitag ausweichend: „Das ist sozusagen vorgesehen für absolute Notsituationen, vergleichbar mit der Flüchtlingssituation 2015.“ Er hoffe aber nicht, dass so ein Fall eintrete.
Für die Bekämpfung der Klimakrise oder andere Hauptanliegen der Grünen ist eine solche Lösung übrigens nicht vorgesehen. Dass dieser Passus beim Grünen Bundeskongress, der den Koalitionspakt am Samstag absegnen soll, für Diskussionen sorgen wird, ist wahrscheinlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag