Neue RTL+-Serie „Angemessen Angry“: Wut als Superkraft
„Angemessen Angry“ verwandelt Wut in eine Anklage gegen sexualisierte Gewalt – und liefert eine bissige, humorvolle und provokante Abrechnung mit patriarchalen Missständen.
Anfangs schwant einem nichts Gutes. Ausgerechnet im Kontext des überstrapazierten Superheldengenres will „Angemessen Angry“ von sexualisierter Gewalt erzählen. Das schreit geradezu nach popfeministischen Plattitüden und einer höchstens gut gemeinten, aber noch lange nicht gut gemachten „Empowerment“-Serie, wie sie trendbewusste Streaming-Anbieter zuletzt häufig hervorbrachten.
Dass Regisseurin Elsa van Damke und Co-Autorin Jana Forkel nicht von Anfang an einen digitalen Unterhaltungsgiganten im Rücken hatten, sondern sich erst beim RTL+-Nachwuchswettbewerb „Storytellers“ mit ihrem Projekt durchsetzen mussten, mag ein Grund dafür sein, dass ihre Serie radikal mit bravem Wohlfühlfeminismus bricht.
„Angemessen Angry“ bemüht sich gar nicht erst darum, Kritik an den besonders hässlichen Auswüchsen des Patriarchats in kleinen und bekömmlichen Dosen zu verpacken, um sie für ein möglichst breites Publikum verdaulich zu machen.
Frau sein, ist Trauma genug
Stattdessen zeichnet die Serie sexuellen Missbrauch und männliche Übergriffigkeit als das strukturelle Problem, das es ist. Schon der Auftakt ist eine entsprechende Ansage: Hauptfigur Amelie (Marie Bloching) steht am Rand des Dachs des Hotels, in dem sie als Zimmermädchen arbeitet.
In Gedanken sinniert sie über Heldengeschichten und die immer gleichen Formeln, nach denen sie funktionieren. Meist werden ihre Kräfte durch ein Trauma oder ein einschneidendes Erlebnis hervorgerufen, so wie etwa „Spider-Man“ erst durch einen Spinnenbiss zu „Spider-Man“ wird, denkt sie.
Dann kommt ihr eine Frage in den Sinn: „Was wäre ein Held, wenn sein Trauma einfach zu seinem Alltag gehören würde?“. „Ein Niemand“, lautet die Antwort, die Amelie sich selbst gibt und sogleich korrigiert: „Oder schlimmer – eine Frau.“
Die im Titel angekündigte Wut ist in „Angemessen Angry“ sofort spürbar. Im weiteren Verlauf konkretisiert sie sich zu einer Wut über die Ohnmacht, in die Frauen gedrängt werden, indem ihren Gewalterfahrungen auch nach #MeToo zunächst einmal mit Skepsis begegnet wird, ihnen sogar eine Mitschuld am Unrecht angelastet wird und selbst der rechtliche Weg meist keine ernsthaften Konsequenzen für Täter nach sich zieht.
Kampf fordert Superkräfte
Nachdem Amelie ein männlicher Gast (Laurence Rupp) ungefragt in den Personalbereich folgt und vergewaltig, wird auch sie diese Stationen der bewussten oder unbewussten Unterdrückung erfahren. So gewinnt plötzlich auch das Superheldensetting an Reiz: Gekonnt spielt die Serie mit dem Gedanken, dass es quasi übernatürlicher Kräfte bedürfte, um sich effektiv gegen sexualisierte Gewalt zur Wehr zu setzen. Im Falle von Amelie ist es die Fähigkeit, über ihre Gedanken eine gewisse physische Kontrolle über die Männer zu erlangen, von denen sie durch Visionen weiß, dass sie sich in der Vergangenheit übergriffig verhalten haben.
„Angemessen Angry“
ab dem 25. November bei RTL+
Gemeinsam mit zwei befreundeten Kolleg*innen, Johanna (Shakiba Eftekhari-Fard) und Tristan (Bless Amada), kreiert sie daraufhin die Persona „Hysteria“. Im laienhaften Superheldinnenkostüm aus dem Fundus ihrer geliebten Oma Ursel (Christiane Ziehl) nimmt sie fortan Rache an Vergewaltigern aller Klassen, indem sie sie überwältigt und ihre Taten durch Bekennervideos in den sozialen Medien öffentlich macht.
Dass im Zuge dieser Vergeltungsoffensive nicht nur viele schmerzliche gesellschaftliche Missstände entlarvt werden, sondern „Angemessen Angry“ durch Situationskomik und markige Sprüche oftmals auch sehr, sehr lustig ist, ist ein Kunststück, das Elsa van Damke und Jana Forkel über eine Spielzeit von nur knapp zwei Stunden meisterlich gelingt. Die herausragende Chemie zwischen Marie Bloching, Shakiba Eftekhari-Fard und Bless Amada hat einen bedeutenden Anteil daran.
Am Ende liegt der eigentliche Triumph von „Angemessen Angry“ jedoch vor allem in der entschlossenen Weigerung, den bitteren Ernst hinter dem Furor zu relativieren. Was von dieser Serie bleibt, ist der fortwirkende Eindruck, dass Wut über sexuelle Gewalt und den gesellschaftlichen Umgang damit nicht nur angemessen, sondern schon längst überfällig ist.
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