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Neue Postpunk-AlbenKatzengold für die Krise

Wut, Nachdruck und Glanz: Bands wie Candelilla und Die Nerven beweisen mit zündenden Alben, dass in Sachen Postpunk noch einiges geht.

Zerpflücken romantische Liebeskonzepte: Candellila. Bild: Promo

Wie soll man musikalisch auf die Krise reagieren? Was ist die Musik zurzeit? Hierzulande versucht man es momentan mit einer altbekannten, aber deswegen nicht weniger interessanten oder relevanten Antwort: Postpunk.

Candelilla – zweites Album „Heart Mutter“ – und Die Nerven – Debütalbum „Fluidum“ – sind die südlichen Vertreter einer neuen Musikergeneration, die sich lose um diese Genreeinordnung versammeln lässt. Dazu gehören die Hamburger von 1000 Robota und Trümmer, in entfernterer Verwandtschaft auch Zucker, und Messer aus Münster, Kollegen von den Nerven auf dem Label This Charming Man.

Man könnte fast von einer kleinen Bewegung sprechen, da sie einen Gegenpol zu den poppigeren deutschsprachigen – wobei Ja, Panik und Candelilla auf Deutsch und Englisch singen – Bands bilden, die vom Berliner Label Staatsakt vertreten werden: Ja, Panik, Hans Unstern, Die Türen oder Die Heiterkeit. Die Nerven veröffentlichen nun ihr Debütalbum „Fluidum“. Laut Fremdwörterlexikon erstens „etwas Fließendes“ und zweitens „die von etwas oder jemand ausgehende Wirkung“.

Die Alben

Candellila „Heart Mutter“ (What‘s so Funny About/Indigo) // Die Nerven „Fluidum“ (This Charming Man/Cargo)

Konzerte:

Candellila, 22. Februar Berlin, 23. Februar Braunschweig; 8. März Fürth

Die Nerven 22. Februar Heilbronn, 4. März Wiesbaden, 5. März Nürnberg

Das von dem Album ausgehende Fluidum: Trotz, Wut, aber auch Stolz auf das Außenseitertum, bisweilen wurde der All-Boy-Band deswegen schon Arroganz und Überheblichkeit vorgeworfen. In Kombination mit dem Endzeitpathos der Texte und den Noise-Einflüssen in der Musik erinnern Die Nerven an alte Helden des Westberliner Noise-Punk wie Mutter.

Stolz auf das Außenseitertum

Aber der Reihe nach: Aufmerksamkeit erregten die Stuttgarter zunächst mit ihrem Cover von Lana Del Reys „Summertime Sadness“. Im Vortrag und in der Übersetzung von Nerven-Sänger Max Rieger gewinnt die trotzige Lebenslust von „Sommerzeit Traurigkeit“, wie die Bearbeitung heißt, an Nachdruck: „Ich trage heute mein rotes Kleid / Ich fühle mich heute Nacht elektrisch / Habe meinen Schatz an meiner himmlischen Seite / Vor nichts fürchte ich mich mehr.“

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Dazu haben Die Nerven in Anlehnung an das Original eigens ein Video mit Aufnahmen einer 8-mm-Kamera produziert. Erstes Bild: die Ankunft in Amerika. Auf „Fluidum“ fällt das ironisch-subversive Spiel mit den Rollen – Mann singt Frauentext – weg.

Das ist einerseits eine verpasste Gelegenheit, andererseits wäre dann die überraschende Stimmigkeit des Debüts vermutlich nicht in der Form durchzuhalten gewesen. Die Grundhaltung ist auf dem gerade 30 punkige Minuten dauernden Album wie im Song „Die Bösen“ formuliert: „Ich sehe 1.000 Menschen / Die wissen, was sie wollen / Ich sehe 1.000 Menschen / Und ich bin nicht dabei.“

Zu rohem, trockenem Sound der in der klassischen Gitarre-Bass-Schlagzeug-Besetzung antretenden Nerven wird das Vokabular der Antriebslosigkeit und das unabdingliche Warten auf den Tod durchdekliniert: „Ich folge einer Linie bis in den Tod / Morgen ist es so weit“, heißt es im Stück „Bald“.

Existenzialisten-Punk

Durchbrochen wird das höchstens von ein wenig Kritik an der eigenen Generation und sich selbst: Andere Frauen, Städte und Sprachen helfen auch nicht, um uns vom Warten auf das Ende abzulenken – Existenzialisten-Punk.

Wesentlich postmoderner geht es dagegen bei Candelilla zu. Schon der Titel „Heart Mutter“ ist aus zwei Sprachen zusammengeklebt, die Songtexte leben von der Strategie der Bricolage: „Wir kitten Teil an Teil an Teil /Und heraus kommt kein Ganzes“, singen sie in „30“.

Das spielt nicht auf das Lebensalter an, sondern gehört zum Konzept der Band. Die Songs tragen keine Titel im eigentlichen Sinn, sie sind durchnummeriert. Auf „Heart Mutter“ werden die Sprachversatzstücke Nummer 21 bis 34, ausgenommen 24, vertont.

Es versteht sich von selbst, dass es mit „28“, „30“ und „27“ losgeht und keine Rücksicht auf vorgefertigte Abzählreime genommen wird. Die Einflüsse reichen von Noise über Punk bis zu den Riot Grrrls, immer wenn das Klavier erklingt, denkt man kurz an die Dresden Dolls.

Groove trotz Lärm

Produziert wurde „Heart Mutter“ von Steve Albini in Chicago, der schon mit Schwergewichten wie den Pixies, The Jesus Lizard oder Nirvana zusammengearbeitet hat. Sein Klangbild ist trocken, jeder Schlag, jeder Akkord mit Bestimmtheit und bewusst gesetzt.

Das hindert Candelilla aber nicht daran, trotz allem Lärm ziemlich zu grooven wie im Song „25“, in dem die Rhythmusmaschine aus Bass, Schlagzeug und einem Basslauf auf dem Klavier den Song auf simple, aber wirkungsvolle Weise vorantreibt.

Textlich halten es Candelilla mit Slogans: „Wir sind viel klüger als euer hot, hot topic“, heißt es in „21“. „If you call it surface / I call it truth“ in „26“ oder „This is just a romantic concept“ in „23/33“. Letzteres kann als eine Maxime für das ganze Album gelten. Candellila haben ein romantisches Konzept: hier das Subjekt, die Band, die Liebe, das Ganze, alles wird zerlegt und versuchsweise wieder zusammengekittet, um es gleich wieder zu zerstören.

Nur eine Forderung hat Candelilla noch: „Was uns noch zusteht / Ist, uns selbst wiederzufinden / In all dem hässlichen Sumpf / We find some golden mica!“, schreit die Band in „30“. In all dem hässlichen Sumpf ein wenig Katzengold. „Heart Mutter“ und „Fluidum“ trotzen den Krisenzeiten mit einer gehörigen Portion Wut musikalischen Glanz ab.

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1 Kommentar

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  • J
    Jojas

    Candelilla, nie gehört. Bin längst raus aus diesem ganzen Dings, weil zu alt. Letztens aber betrachtete ich eine Litfaßsäle in Opladen, welches man als ein etwas garstiges, kleines Städtchen zwischen Köln und Düsseldorf bezeichnen könnte (wenn man es nicht besser kennt, aber auch dann kann das einem passieren, wenn man grade schlecht drauf ist oder so), und sah ein schwarzweißes Plakat von eben dieser Kombo, auf dem zu sehen waren junge, wilde Dinger - weiblich, voll abgehend hinter ihren Instrumenten - sowie eine kleine aber umso enthusiasmiertere Gruppe an männlichen twenty- bzw. thirtysomethings - uff, fuck, der Satz wird immer länger - die völlig losgelöst von irgendwelchen Genderfragen und möglicherweise gut intoxikiert irgendwas veranstalteten zwischen Pogo, Zujubeln und -prosten und Tanzen, während besagte Kombo scheinbar losgelöst von solch externen Geschichten ihre Experimentalpostpunknummer durchzog.

    Da wurde mir ganz wehmütig zumute. Das waren noch Zeiten, als wir (bzw. ich) so etwas als must-see angesehen hätten. Seinerzeit in Opladen (wo ich zur Schule ging) war eine Doors-Coverband (beflügelt durch den Film) schon das höchste der Gefühle. Was waren wir auf der Suche!

    Könnte jetzt ewig labern, mache aber mal Schluß, muß morgen früh raus...