Songwriter Hans Unstern über neues Album: „Mit Harfe und High Heels“

Hans Unstern gehört zu den Ikonen des Musikbetriebs. Im Interview erklärt er, wie er auf seinem neuen Album die Vielheiten im Eigenen erkundet.

Der Künstler an der Harfe auf der Bühne

Hans Unstern, ein Künstler zwischen Scharade und Realität Foto: promo

Beim Debütalbum „Kratz dich raus“ (2010) schien es noch klare Sache zu sein, wer Hans Unstern ist und was er will: Ein ehemaliger Straßenmusiker, den die Skepsis an Existenz und Sprache in die Arme der Berliner Indie-Szene getrieben hatte, wo er mit ähnlich ambitionierten Projekten wie der Band Ja, Panik am Sound des neuen Jahrzehnts feilte. Spätestens 2012 zum plakativ „The Great Hans Unstern Swindle“ betitelten Nachfolger und einem zeitgleich erschienenem Gedichtband (Merve Verlag), als er in Persona des Performance-Künstlers Tucké Royale auftrat, war deutlich: Zwischen lustvoller Scharade und komplexer Wirklichkeit dessen, was ein Subjekt sein kann, muss eine Künstler-Definition vertagt werden.

Nach achtjähriger Pause veröffentlicht Unstern nun sein drittes Album, „Diven“. Es inszeniert ihn als zwischen allen Stühlen wandelndes Klangwesen. Munter formuliert es ein Ich, das stimmlich in Nachtigall kippen kann und das mit einer selbst gebauten, elektrisch modifizierten Harfe musikalisch weit entfernt vom Songwriter-Ich angesiedelt ist. „Unbreak my voice“ singt Hans Unstern im Song „Nichtstestotrotz“ – den Stimmbruch glätten als Zielsetzung. Ein „Bonbon aus Plastik“ bringt Helge Schneiders phallisches „Bonbon aus Wurst“ in die queeren Bereiche von Cyborg-Theorie. „Diven“ ist ein experimentelles Popalbum, dessen Melodien und Klänge strahlen. Es folgt ein Telefonat mit dem Künstler, der vorgibt, Hans Unstern zu sein.

taz: Guten Tag, Herr Unstern, schön, dass es klappt mit diesem Gespräch.

Hans Unstern: Ja, sehr schön. Ich freu mich auch. Und will gleich vorwegschicken, dass die Autor*innenschaft meiner Arbeit keineswegs so eindeutig bei mir liegt, wie oft unterstellt wird. Bei diesem Album bin ich lediglich endlich bereit, höchstpersönlich das Singer-Songwriter-Püppchen zu spielen. Das gilt auch für Interviews. Diese Autor*innenschaft: Da gibt es Wahlverwandtschaften, deren Arbeiten mich beschrieben haben, es gibt Ghostwriter*innen, Selbstauslöserinnen, auch herkömmliche Zitate. Also nicht wundern, wenn hier unterschiedliche Stimmen durchhuschen.

Hans Unstern sind also nicht nur Sie, sondern er ist ein Kollektiv, eine Form, in die auch andere hineinschlüpfen? Trotzdem sind Sie am Schluss der*diejenige, der*die Musik präsentiert. Wie fühlt sich das an, von der Vielfalt zu etwas Materiellem zu werden, spätestens auf der Bühne?

Der Titel „Diven“ beschreibt das schon gut. Die Mehrzahl, the multitude. Ein Puzzle aus kleinen Versatzstücken, die einen geformt haben. Diese Idee, dass das Selbst eine einzige große Imitation ist, die Puzzleteile, die einen ausmachen, die zu einem Bild werden, das wir dann ‚Selbst‘ nennen. Das lässt sich so schön dekonstruieren, dieses Selbst. Ein Puzzle, das sich zusammensetzt aus Dingen, mit denen ich mich wohlfühle.

Das ist optimistisch gedeutet. Ist das nicht auch wahnsinnig anstrengend?

Das ist eine Lebensaufgabe. Es ist wie ein Lebenslänglich-Puzzle ohne Rand. Wir puzzeln ja gerne als Erstes den Rand, weil wir uns dann orientieren und einrahmen können. Aber dieser Rand legt auch viel fest. Er hindert mich am Werden und am Wachsen. Ich sehe das Selbst als Puzzle, bei dem die Teile erneuert werden können, neu konfiguriert, rausgenommen und neu bemalt, oder die Form verändert, bis es sich passend anfühlt. Es gibt viel zu lernen, aber auch viel zu ver-lernen. Ein Entlernen dessen, was eine*n vielleicht geprägt hat in einer Zeit, wo ich vielleicht noch nicht verstanden habe: Wessen Überzeugungen sind das gerade, warum werden die mir mit auf den Weg gegeben? Aus so einer Zeit, die bei mir immer noch die längste Zeit meines Lebens ist, gibt es so viel zu entlernen. Und dieses Entlernen habe ich lieben gelernt. Eine schöne Lebensaufgabe.

Was mögen Sie denn erzählen, über das Album, das Sie da gemacht haben?

Die Songs waren längst fertig und warteten auf diesen Moment der Veröffentlichung. Dass „Diven“ siebeneinhalb Jahre auf sich hat warten lassen, liegt vor allem an der V-Harfe: eine fünfteilige Harfe in V-Form, die ich zusammen mit dem Klangkünstler Simon Bauer gebaut habe. Sie wird zum Teil händisch gezupft und ist aus Hartholz, zum Teil wird sie mechanisch ferngesteuert und ist aus Stahl. Sie steht im Zentrum des Albums und der Konzerte, die hoffentlich im Juni stattfinden. Jede Note dieses Albums haben wir mit dem Instrument aufgenommen. Der vielschichtige Sound kommt dank der über 40 automatisierten Hubmagnete zustande, die an Saiten und Harfenrahmen klopfen können.

Können Sie das an einem Beispiel anschaulich erklären?

Bei der Produktion von „Diven“ verwendeten wir Formen von Aleatorik, also Kompositionsprinzipien, die auf Zufall basieren. Das Arrangement für den Song „Keine Zeit“ zum Beispiel entstand bei einer Improvisation mit der akustischen Harfe zu einem schmatzenden, meditativen Beat. Dieser setzt sich aus vielen rhythmischen Figuren zusammen, die im Sequenzer von einem Zufallsgenerator aneinandergereiht werden. Für die Klangformung des Beats verstärkte Simon Bauer die mechanischen Geräusche der Relais, die die Impulse zum Auslösen der Hubmagnete an die Metallharfe schicken. Statt dieses Klicken als Störgeräusch wahrzunehmen und zu verstecken, betrachteten wir es als Ausgangspunkt für das Arrangement des Songs. Als die V-Harfe durch diese Automatisierung zu einer Maschine wurde, wollten wir ihr möglichst viel Autonomie geben. Sie ist nicht nur befehlsempfangende Klangerzeugerin, sondern gibt uns gleichermaßen Befehle mit Arbeitsanweisungen zurück. Wir „bedienen“ diese Maschine also in zweierlei Hinsicht. Einmal in Gang gesetzt, werden wir zu Fließbandarbeiter*innen, gefangen im laufenden Produktionsband der Maschine.

Wie alt er ist, woher er kommt – man weiß es nicht. Sein bisheriges Werk: die zwei großartigen Alben „Kratz dich raus“ (2010) und „The Great Hans Unstern Swindle“ (2012). Er lebt in Berlin.

Das ist das Gegenteil von der Gitarre, die man in den Koffer steckt und mit der man auf Tour geht. Hat Sie das Sperrige angesprochen?

Nein, eher nicht. Wir haben immer versucht, auch eine Eleganz ins Material zu kriegen, eine ansprechende Form. Und das Instrument so gut wie möglich zu komprimieren. Das mit der Harfe ging beim zweiten Album los, schon bei „Great Hans Unstern Swindle“ wollte ich unbedingt Harfe spielen. Simon und ich begannen damals unsere ersten experimentellen Harfen zu bauen. So hat es angefangen, dass ich mich wohler gefühlt habe im Scheinwerferlicht. Wie anstrengend es war, sich die ganze Zeit zu verstecken! Mit Gitarre in der Hand, war das lange meine Reaktion, die Suche nach einem Versteck. Mit Harfe und Highheels fühle ich mich jetzt sauwohl im Rampenlicht.

Die Harfe wird als Instrument wahrgenommen, das stark geschlechtlich konnotiert ist, das scheinbar notwendigerweise immer von einer elfengleichen Frau gespielt wird, aber zugleich ist es auch ein Instrument, das eben nicht körperlos verhuscht ist, sondern viel körperlichen Einsatzes bedarf.

„Diven“ (Staatsakt/Bertus).

Die Albumtaufe findet am 13. Juni im Berliner HAU ohne Livepublikum statt. Sie wird gestreamt.

Das Gefühl, an der Harfe zu spielen, ist wie eine Umarmung. Ein Halten und Gehaltenwerden.

Besonders eine Zeile auf dem Album sticht heraus: „Unbreak my voice“.

Mit dem Stimmbruch ist es nicht so eindeutig, wie gemeinhin getan wird. Dass bestimmten Personen im Teenageralter ein hörbarer Stimmbruch passiert, ist nur ein Teil der Stimmbruchvielfalt. Es gibt zum Beispiel auch selbstbestimmt herbeigeführte Stimmbrüche, egal in welchem Alter. Und vielleicht habe ich mit „Diven“ versucht, meinen Stimmbruch für meine Singstimme rückgängig zu machen. Bei dieser Arbeit an der Singstimme entsteht für mich so eine Schwingung des Suchens, des Fragens, der Fragilität, die mich interessiert.

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