Neue Musik aus Berlin: Klangabtausch der Macht
Nik Nowak untersucht Archivfunde aus dem Ost-/Westberliner „Lautsprecherkrieg“ und lässt sie auf Soundsysteme aus Jamaicas Wahlkampf der 70er treffen.
D ass der Sozialismus der gemäßigten Zone anders klingt als derjenige der Tropen, beweist der Klangkünstler Nik Nowak in seinem 43-minütigen Radioessay „A War of Decibels“ anhand von zwei Archivfunden: Da ist einmal aus Ostberlin, Hauptstadt der DDR, das Marschlied „Unsere Panzerdivision“. Dargeboten vom Erich-Weinert-Ensemble, Text Siegfried Berthold, Melodie Kurt Greiner-Pol, führt es in die ewigen Jagdgründe.
Dagegen setzt Nowak einen deutlichen Kontrast mit Pierre Degeyters „Internationale“ in einer strandtauglichen Version der In-House Reggae Group der Workers’ Party of Jamaica. Die kubafreundliche marxistisch-leninistische Partei verwendete den Song mit mobilen Soundsystems im Wahlkampf der siebziger Jahre.
Das Ostberliner Pendant lief in den sechziger Jahren in dem als „Lautsprecherkrieg“ in die Geschichtsbücher eingegangenen Schlagabtausch auf beiden Seiten der Mauer. Der Unterschied in der Diktion mag darin begründet sein, dass sich die DDR gerade einbetoniert hatte, was sich als Pyrrhussieg herausstellen sollte, während die jamaikanische Linke eine Insel gewinnen wollte.
Nik Nowak: „A War of Decibels“ (Doppel-LP und Buch im Schuber; Flatlines)
„A War of Decibels“ mit den Erzählstimmen von Jessica Edwards und Infinite Livez sowie das Begleitbuch führen die Themen der Installation „Schizo Sonics“ aus, die Nik Nowak 2020 für das KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst erarbeitet hat: Politik, Paranoia, Klang als Waffe und eine Utopie, die dabei vor die Hunde geht. Am Ende steht die Farce, als Donald Trump verspricht: „Wir werden die Mauer bauen, Leute.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers