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Neue Mitte: Linke müssen draußen bleiben

Große Verwirrung vor dem 1. Mai: Die Polizei will keine linksradikale Demo in Mitte, und in Kreuzberg treten sich Teilnehmer unterschiedlicher Veranstaltungen auf die Füße. Orthodoxe Linke neiden anderen die Mobilisierungskraft

Die Demokonkurrenz ist eine innerlinke Schlammschlacht um die Vorherrschaft.

Alles sollte anders werden am 1. Mai. Nun wird vielleicht doch alles wie im letzten Jahr. Noch eine Woche bis zum Tag der Arbeit, und noch ist unklar, wann und wo die verschiedenen Veranstaltungen stattfinden. Für Peter Grottian, Politologieprofessor an der Freien Universität und Initiator eines Personenbündnisses, das in diesem Jahr ein Bürgerfest mit politischen Diskussionen in Kreuzberg veranstalten wollte, steht fest: „Der Kurs von Innensenator Körting ist alles andere als liberal.“ Vielmehr würde der SPD-Mann Ehrhart Körting durch „indirekte Demoverbote“ aus Mitte eine „Anti-Demonstrationsfestung“ machen.

Gegenstand ist die Route der linksradikalen Demonstration am Abend des 1.Mai, veranstaltet von linksradikalen Gruppen, darunter die „Antifaschistische Aktion Berlin“ (AAB). Gerfried Linder, Leiter des polizeilichen Vorbereitungsstabs zum 1.Mai, betonte zwar gestern, ein Verbot werde nicht angestrebt. Nicht hinnehmbar sei aber, dass die Demo „nahe der Glasmeile Friedrichstraße oder dem Auswärtigen Amt vorbeiführt“.

Und schon sind ähnliche Töne zu hören wie im Vorjahr: AAB-Sprecher Marc Schlosser befürchtet ein „faktisches Äußerungsverbot für die Kritik an Rot-Grün“. Und Grottian, der zuvor noch von einem „erfolgreichen Scheitern“ seines Konzepts sprach, weil sich die Polizei um Kooperation bemühe und Zurückhaltung gelobe, meint: „Die AAB wird in hohem Maße von der Polizei kriminalisiert“.

War es doch nach Ansicht Grottians vor allem die AAB, die sich auf eine neue Diskussions- und Streitkultur eingelassen hat. Bei den einzigen zwei Veranstaltungen, die von der Idee des Bürgerfestes übrig geblieben sind, ist die AAB mit von der Partie: Am 30. April findet auf dem Oranienplatz ein Konzert statt – mit den bundesweit bekannten Bands Fettes Brot, Die Goldenen Zitronen und Das Departement. Am 1. Mai veranstaltet das Personenbündnis eine politische Diskussion am Rosa-Luxemburg-Platz – im Vorfeld der um 18 Uhr beginnenden Demo der AAB und anderer linker Gruppen.

Eigentlich sollte die Verlegung von Kreuzberg nach Mitte die Gemüter beruhigen: Um „potenzielle Konflikte innerhalb einiger linker, zum Teil fanatisierter Gruppierungen zu vermeiden“, habe man den Anfangsort geändert, heißt es. Schließlich führen am 1. Mai noch zwei weitere linksradikale Demonstrationen durch Kreuzberg, deren Veranstalter sich als Vertreter der „wahren Lehre“ präsentieren. Neben einer vor allem von dogmatischen-maoistischen Gruppen traditionell am Mittag veranstalteten Demo, sollte es eine weitere geben – organisiert vom „Gegeninformationsbüro“. Der Name ist offenbar Programm: Die Frage, was diese Demonstration von ihren Konkurrenzveranstaltungen unterscheidet, beantwortet ein Vertreter des „Gegeninformationsbüros“ mit den Worten: „Dazu sagen wir nichts.“

Dabei waren die Aktivisten des „Gegeninformationsbüros“ Mitte März noch ganz sicher, dass sie sich gegen das Konzept des Personenbündnisses um Peter Grottian wenden müssten. Doch mit dem Rückzug des Personenbündnisses fehlt dem „Gegeninformationsbüro“ der Gegenpart. In der linksradikalen Szene ist die Resonanz gering, nur unbedeutende Gruppen wie die „Autonomen Kommunisten“ oder „Autonome Republik Kreuzberg“ stehen dem „Gegeninformationsbüro“ bei, ansonsten wird die Zusatzdemo eher verlacht. „Da kommt eh keiner“, sagt ein Szene-Insider.

Daher planen die Traditionalisten für den 1. Mai nun eine linksorthodoxe Wiedervereinigung. Die dogmatisch-kommunistischen Gruppen, die Jahr für Jahr am 1.Mai um 13 Uhr mit ihrer „Revolution“ beginnen, um sie wenige Stunden später zu beenden, eilen dem „Gegeninformationsbüro“ zu Hilfe. Ihre Demonstration endet dort, wo die Grottian-Gegner anfangen wollen. Am Görlitzer Bahnhof sollen pünktlich um 16 Uhr die revolutionswilligen Massen übergeben werden.

Nur mit Grottian, der AAB und deren Bündnispartnern will man nichts zu tun haben. Die dogmatischen Kommunisten rufen dazu auf, die Demonstration um 18 Uhr zu boykottieren und offenbaren, worum es in der Demokonkurrenz geht: eine innerlinke Schlammschlacht um die Vorherrschaft. Vor allem den Gruppen, die für 18 Uhr mobiliseren, wird übel genommen, dass sie mehr Leute auf die Straße bringen, obschon ihnen Jahr für Jahr „Verrat“ vorgeworfen wird.

Bleibt am Ende also doch alles ganz so wie immer? Nicht ganz. Eine kleine Gruppe Aufsässiger versucht, alles anders zu machen – mitten in Kreuzberg, mitten in den festgefahrenen Ritualen: Die Spaßpartei SED veranstaltet um 22 Uhr in der Wiener Straße die „einzig wahre 1.-Mai-Demo“. Vor der Feuerwache. DIRK HEMPEL

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