Neue Marketing-Chefin beim THW Kiel: Handball mit QR-Codes und VR-Brille
Die ehemalige Unternehmensberaterin Alisa Türck will den THW Kiel fit machen für das Sportgeschäft: Es geht um Aufmerksamkeit, Kundenbindung und Geld.

Alisa Türck will leere Ränge nicht hinnehmen. Ihre Positionierung sorgte im vergangenen Sommer für Aufsehen, denn zum einen war der THW Kiel der erste Verein, der überhaupt eine Geschäftsführerin für die Felder Marketing, Vertrieb, Markenentwicklung und Digitalisierung einstellte. Zum anderen sind Frauen an der Spitze von Handball-Klubs rar – wobei Alisa Türck die Gleichberechtigung im Gespräch allenfalls streift; sie will dem nicht zu viel Bedeutung beimessen.
Dabei strahlt sie aus, dass es gleichgültig sei, wer das weite Feld der Digitalisierung anpacke. Sie sagt: „Die gesamte Sportindustrie steht im Wettbewerb mit anderen Unterhaltungsbranchen. Ich möchte hier die Erfahrung von 25 Jahren Digitalisierung einbringen.“ Passend trägt sie einen THW-Anstecker am dunklen Business-Outfit.
Eines ihrer Ziele: Sie will Ticketing, Fan-Shop und Website zusammenbringen, Stichwort: Customer-Experience. Es soll ein Angebot aus einer Hand werden. Mit nur einer Anmeldung sollen die Kundinnen und Kunden in die große, weite THW-Welt eintauchen – und einkaufen. Dazu könnte zur Kundenbindung eine online-Ansprache vom Trainer oder von Spielern zum Geburtstag kommen. Digitale Prozesse sollen kommerzialisiert werden.
Aber erst mal muss der THW Kiel seine Kundinnen und Kunden identifizieren, denn es liegen keine zusammengefassten Daten vor. Immerhin gibt es seit Ende Februar einen Whatsapp-Kanal im kostenfreien Abo für Interessierte; von der Plattform X hat sich der THW verabschiedet. Dafür kommt das Format „Coaches Corner“ mit einer Ansprache Filip Jichas an die Fans auf Facebook gut an. Zuletzt sorgte Alisa Türck mit der Idee einer VR-Brille während der Spiele für Aufsehen – 360 Grad Handball. Die ersten Testpersonen waren begeistert.
Gleicht man Türcks Ansätze und Ideen mit denen der Konkurrenz ab, wird deutlich, dass sich auch Klubs wie die Rhein-Neckar Löwen auf den Weg gemacht haben, während viele andere mit der Digitalisierung gerade erst anfangen. „Das Thema Digitalisierung ist nicht Frage der Woman- oder Manpower, sondern der eigenen Einstellung“, sagt Frank Bohmann, der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL). „Es geht erst mal nicht um die Masse an Projekten, sondern darum, überhaupt anzufangen.“
Der langjährige Liga-Chef sieht vieles ähnlich wie Türck. Im Wettkampf mit Eishockey, Basketball und der in den deutschen Markt drängenden National Football League der USA gehe es um „Wachsen oder Weichen“.
Deshalb findet Bohmann, die Vereine der ersten Bundesliga müssten ihre Umsätze verdoppeln. Nicht durch die Eintrittskarten, denn die meisten Hallen sind schon sehr gut gefüllt, während die Medienrechte wenig Erlös bringen. Also gehe es um das Sponsoring, das aktuell nur etwa 20 Prozent der Gesamtetats ausmacht.
Aus der Handballblase raus
Neuen Sponsoren können die Vertriebler der Klubs dank des TV-Partners „Dyn“ und seiner Formate ein größeres Publikum anbieten als zuvor, aber oft nicht genug: „Wir müssen aus der Handballblase raus und Leute erreichen, die bisher für Handball kein Geld ausgegeben haben“, sagt Bohmann.
Durch ihren Mann, den Moderator Andreas Türck, der lange Handball spielte, kommt Alisa Türck selbst aus dieser Blase – auch der gemeinsame Sohn ist Handballer. Als sie die Anfrage des THW-Aufsichtsratschefs Marc Weinstock erreichte, zögerte sie nicht lange. Seit einem Jahr sitzt die vormalige Unternehmensberaterin in Sachen Digitalisierung nun in Altenholz und steckt mittendrin in der Modernisierung des Klubs mit seinen 20 Angestellten im Backoffice.
Dabei geht es häufig um mehr Umsatz, also mehr als die 13 Millionen Euro, die der THW pro Geschäftsjahr erlöst. Das Versprechen, durch einen höheren Grad an Digitalisierung mehr umzusetzen, erleichtert ihr die Durchsetzung ihrer Argumente, die manchmal simpel sind: Wer mehr für Merchandising-Produkte wirbt, nimmt auch mehr ein.
Spielerbesuche in den Logen
Oft kommt es dabei zu Budgetkonkurrenz. Wenn die sportlichen Interessen mit den unternehmerischen wettstreiten – könnte man nicht lieber einen sechsten Rückraumspieler kaufen statt das Geld für Digitalisierung auszugeben? Alisa Türck stößt hier meist auf offene Ohren, wie auch auf einem anderen Feld.
Frank Bohmann sagt, dass die Nahbarkeit der Profis das größte Pfund des Handballs sei. Dem stimmt Alisa Türck zu, hätte aber gern mehr „Zugriff“ auf sie: Spielerbesuche in den Logen, Autogrammstunden, Talkformate, Webinare, das Bespielen eigener Kanäle mit exklusivem Inhalt.
Wichtig ist ihr dabei, die ganze Mannschaft abzubilden, nicht nur die smarten Lieblinge wie Rune Dahmke. „Wenn am Sonntag ein Spieler in einer Loge war, redet am Montag der ganze Betrieb davon“, sagt Türck. Das ist wenig digital, vielmehr sehr handfest. Handball eben.
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