Neue Liebe zum Inlineskaten: Call me Blade-Queen
Unsere Autorin hat nochmal die alten Rollerblades rausgeholt. Erst ist das öde, aber dann regelt der „Roller Skating Disco Mix“ alles.

H eute könnte ich behaupten, dass ich zu einem besseren Menschen geworden bin. Zu einer disziplinierten Frühaufsteherin, die das Haus verlässt, um Frühsport zu machen. Dass ich heute um 7.00 Uhr mit meinen Rollerblades auf dem Tempelhofer Feld stehe, resultiert aber eher aus dem üblichen Chaos. Erstens ist mir heute Nacht eingefallen, dass ich noch die Sportkolumne schreiben und dafür überhaupt erst einmal Sport machen muss.
Zweitens habe ich gestern in einem Anflug von Organisationswahn ein paar Mails beantwortet. Eine davon von meinem Kickboxverein, Beitragserhöhung wegen steigender Kosten. „Kann ich bitte kündigen, vielen Dank“, habe ich zurückgeschrieben. Kurz fühlte sich das gut an, erledigt, zack. 35 Euro im Monat mehr für andere Dinge. Also muss natürlich erst einmal ein neuer, günstiger Sport her, aus schlechtem Gewissen und überhaupt. Als ich vor ein paar Jahren nach Berlin gezogen bin, habe ich meine uralten Inlineskates für das Tempelhofer Feld – einen alten Flugplatz aus viel Beton – mitgenommen und natürlich nie benutzt. Wann wäre also ein besserer Zeitpunkt dafür?
Damals, Anfang der 2000er, war Inlineskaten ja ein richtiger Trendsport und ich mit Abstand die Coolste auf dem Schulhof mit meinem überdimensionalen silberglänzendem Helm und ein paar Tricks auf Lager (seitlich bremsen, Schlangenlinien, Achten usw.).
Heute ist der Hype nicht mehr so groß und ich bereits schlecht gelaunt, bevor ich anfange. Auf dem Feld befindet sich so früh morgens nur ein anderer Inlineskater. Dafür sieht der aus wie aus dem Bilderbuch: knallroter Helm, passende rote Skates, Schützer an allen Gelenken und ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Pretty domesticated for a rockstar“. Er stützt die Hände in die Hüften und schaut mich skeptisch an.
Ich starte los. Mir ist langweilig. Es geht viel zu schwer. Meine schwachen Erinnerungen bestätigen sich nicht, denn Kurven kann ich irgendwie keine mehr fahren. Und es ist mir ein Rätsel, wie es sich bei den vielen kleinen tückischen Steinchen auf dem Boden je sicher angefühlt haben kann, mit den Rollen drüberzufahren. An was ich mich jetzt klar erinnere, sind die stechenden Schmerzen im Steißbein, wenn man wegen Übermut hintenübergekippt und auf den Asphalt geknallt ist.
Gedanken nicht abschalten
Die Blades klatschen auf den Boden, es hört sich fast die Kufen auf Eis an. Was gab es eigentlich zuerst, Schlitt- oder Rollschuhe? Warum haben Inlineskates meist vier Rollen? Ist das eigentlich olympisch? Warum heißt es Rollerblade?
Meine Gedanken kann ich beim Bladen nicht abschalten, und dafür mache ich doch eigentlich Sport. Musik muss also her. „Roller Skating Disco Mix“ wird angemacht, und alles ist nicht mehr so schlimm. Besonders freue ich mich, als mir ein passender Song einfällt: „Baby mit dir bladen“ drönt es von DJ Schinkensuppe, während ich so langsam Gefallen am Rollen finde. Linkes Bein, rechtes Bein, linkes Bein, swush swush. Eine Windböe auf dem Feld treibt mich voran, ich überhole den domestizierten Rockstar und widerstehe knapp dem Drang, ihm die Zunge rauszustrecken. Nach ein paar Bahnen reicht es mir dann wieder.
Immerhin bin ich nicht hingefallen. Nächsten Monat bin ich mit Freund*innen zur Rollerdisco angemeldet, auch kann ich mir auf einmal vorstellen, Rollhockey auszuprobieren. Call me Blade-Queen.
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