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Neue Liebe zum InlineskatenCall me Blade-Queen

Unsere Autorin hat nochmal die alten Rollerblades rausgeholt. Erst ist das öde, aber dann regelt der „Roller Skating Disco Mix“ alles.

Früher Trendsport, mittlerweile beim Halbmarathon angekommen: Inlineskating Foto: Joerg Carstensen/dpa

H eute könnte ich behaupten, dass ich zu einem besseren Menschen geworden bin. Zu einer disziplinierten Frühaufsteherin, die das Haus verlässt, um ­Frühsport zu machen. Dass ich heute um 7.00 Uhr mit meinen Rollerblades auf dem Tempelhofer Feld stehe, resultiert aber eher aus dem üblichen Chaos. Erstens ist mir heute Nacht eingefallen, dass ich noch die Sportkolumne schreiben und dafür überhaupt erst einmal Sport machen muss.

Zweitens habe ich gestern in einem Anflug von Organisa­tionswahn ein paar Mails beantwortet. Eine davon von meinem Kickboxverein, Beitragserhöhung wegen steigender Kosten. „Kann ich bitte ­kündigen, vielen Dank“, habe ich zurückgeschrieben. Kurz fühlte sich das gut an, erledigt, zack. 35 Euro im Monat mehr für andere Dinge. Also muss natürlich erst ­einmal ein neuer, günstiger Sport her, aus schlechtem Gewissen und überhaupt. Als ich vor ein paar Jahren nach Berlin gezogen bin, habe ich meine uralten Inline­skates für das Tempelhofer Feld – einen alten Flugplatz aus viel Beton – mitgenommen und ­natürlich nie benutzt. Wann wäre also ein besserer Zeitpunkt dafür?

Damals, Anfang der 2000er, war Inlineskaten ja ein richtiger Trendsport und ich mit Abstand die Coolste auf dem Schulhof mit meinem überdimensio­nalen silberglänzendem Helm und ein paar Tricks auf Lager (seitlich bremsen, Schlangen­linien, Achten usw.).

Heute ist der Hype nicht mehr so groß und ich bereits schlecht gelaunt, bevor ich anfange. Auf dem Feld befindet sich so früh morgens nur ein anderer In­line­skater. Dafür sieht der aus wie aus dem Bilderbuch: knallroter Helm, passende rote Skates­, Schützer an allen Gelenken und ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Pretty domesticated for a rockstar“. Er stützt die Hände in die Hüften und schaut mich skeptisch an.

Ich starte los. Mir ist langweilig. Es geht viel zu schwer. Meine schwachen Erinnerungen bestätigen sich nicht, denn Kurven kann ich irgendwie keine mehr fahren. Und es ist mir ein Rätsel, wie es sich bei den vielen kleinen tückischen Steinchen auf dem Boden je sicher angefühlt haben kann, mit den Rollen drüberzufahren. An was ich mich jetzt klar erinnere, sind die stechenden Schmerzen im Steißbein, wenn man wegen Übermut hintenübergekippt und auf den Asphalt geknallt ist.

Gedanken nicht abschalten

Die Blades klatschen auf den Boden, es hört sich fast die Kufen auf Eis an. Was gab es eigentlich zuerst, Schlitt- oder Rollschuhe? Warum haben Inline­skates meist vier Rollen? Ist das eigentlich olympisch? Warum heißt es Rollerblade?

Meine Gedanken kann ich beim Bladen nicht abschalten, und dafür mache ich doch eigentlich Sport. Musik muss also her. „Roller Skating Disco Mix“ wird angemacht, und alles ist nicht mehr so schlimm. Besonders freue ich mich, als mir ein passender Song einfällt: „Baby mit dir bladen“ drönt es von DJ Schinkensuppe, während ich so langsam Gefallen am Rollen finde. Linkes Bein, rechtes Bein, linkes Bein, swush swush. Eine Windböe auf dem Feld treibt mich voran, ich überhole den domestizierten Rockstar und widerstehe knapp dem Drang, ihm die Zunge rauszustrecken. Nach ein paar Bahnen reicht es mir dann wieder.

Immerhin bin ich nicht hingefallen. Nächsten Monat bin ich mit Freun­d*in­nen zur Rollerdisco angemeldet, auch kann ich mir auf einmal vorstellen, Rollhockey auszuprobieren. Call me Blade-Queen.

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Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
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1 Kommentar

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  • "Was gab es eigentlich zuerst, Schlitt- oder Rollschuhe? " Das ist einfach: Schlittschuhe. Wahrscheinlich seit 20.000, garantiert seit 3000 Jahren aus Knochen gemacht, seit 1865 fest mit einem Schuh verbunden. Erste irgendwie-Rollschuhe gibt es da überhaupt etwa 100 Jahre, ordentlichen Lauf durch Kugellager erst ab 1883.