Neue Kolumne „Eastsplaining“: Dem Spuk ein Ende bereiten
Nach über zehn Jahren russischer Aggression in der Ukraine hält sich ein harter Kern von „Westsplainern“. Unsere Kolumnistin setzt dem etwas entgegen.
Ich selber kenne beruflich und persönlich die Ukraine und Russland besser wie (sic!) vielleicht ein Ukrainer oder Russe,“ schrieb mir kürzlich ein Herr, der sich an meiner Analyse eines russischen Propagandafilms störte. Er wollte mich mittels eines Gregor-Gysi-Videos darüber aufklären, dass der Krieg in der Ukraine nicht von Putins Desinformations- und Kriegsmaschine, sondern von der vermeintlichen „ukrainischen faschistischen Regierung“ verursacht sei.
Seit dieser tobt, hat sich in Anlehnung an Mansplaining der Begriff Westsplaining immer mehr für die Russlandversteher-Haltung von Westeuropäern durchgesetzt, die Osteuropäern deren Geschichte und Gegenwart erklären – in der Regel aus einer gleichermaßen selbstsicheren wie ahnungslosen Position heraus.
Alexander Kluge etwa verglich in einem Interview, das er dem Philosophie Magazin wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs gab, diesen mit einem „Ehekrieg“. Er kenne eine berühmte Schauspielerin, deren Mann sie mit einer jüngeren Frau betrogen habe. Statt sich aufzuregen, habe sie einfach gelassen abgewartet – und voilà, bald hatte sie ihn zurück. „Sie sind heute noch verheiratet und die zwei Kinder kommen nicht aus einer geschiedenen Ehe. So lässt sich ein Friedensschluss beschreiben.“
Eine paternalistische, aber auch schlichtweg falsche Metapher. Putin schlug bei einer Pressekonferenz in Moskau kurz vor Beginn der Invasion eine passendere vor – die einer Vergewaltigung: „Ob’s dir gefällt oder nicht, halt’s aus, meine Schöne!“ Gemeint war die Ukraine.
Lasst euch erobern, vergewaltigen, ermorden
Ein Paradebeispiel für Westsplaining war das Gespräch von Jakob Augstein mit der in Wien lebenden ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk im Herbst 2022. Wie wichtig es sei, eine Eskalation des Krieges durch angebliche Provokationen in Richtung Russland zu vermeiden, versuchte Augstein mit seiner persönlichen Sprecherposition zu untermauern, als Nachfahre von Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten.
Am absurdesten waren jedoch seine Ausführungen zu Paris: Wie gut, dass man es nicht militärisch verteidigt habe, denn sonst würde diese Stadt nicht mehr existieren. Explizit ausgedrückt: Wehrt euch nicht, lasst euch erobern, vergewaltigen, ermorden, damit Kyjiw hübsch anzusehen bleibt.
Dass sein Gegenüber in diesem Augenblick erleben musste, wie die Heimat von all den genannten Schrecken heimgesucht wird, schien er vor lauter Selbstbezogenheit vergessen zu haben. Und auch, dass es die Deutschen waren, die im Zweiten Weltkrieg weite Teile der heutigen Ukraine in Schutt und Asche gelegt hatten.
Obwohl es glücklicherweise empathischere Stimmen gibt, hält sich nach über zehn Jahren russischer Aggression in der Ukraine ein harter Kern von Westsplainern – mit Galionsfiguren wie Richard David Precht. Desinteresse an den Perspektiven von Menschen aus den östlichen Nachbarländern, die maximal als Ziele von Sauftourismus oder Quelle von billigen Arbeitskräften taugen.
Antislawische Vorurteile und fehlende Solidarität
Diese Haltung lässt sich durch jahrhundertealte antislawische Vorurteile erklären. Eine Ausnahme bildet dabei allein Russland – mit der imperialen Macht kann man sich wegen der deutschen Vergangenheit wohl besser identifizieren als mit Tschechien, Polen oder der Ukraine. Russland wird im Gegensatz zu jenen gemeinhin als selbstbestimmt und als Kulturnation anerkannt.
Und es führt zu realem Leid: Dazu, dass die Ukraine aktuell nicht die Solidarität erfährt, die sie benötigt, und dazu, dass Diktaturen beschönigt werden. Im November reiste Til Schweiger nach Belarus, um – Achtung – einen Car-Drifting-Werbeclip zu drehen. Er trat bei der Gelegenheit auch im dortigen Propagandafernsehen auf und sagte, er habe „das Beste“ über das Land gehört, es sei so sauber und sicher, das Essen und das Hotel großartig.
Bei der belarussischen Exilcommunity sorgte das freilich für Spott, schließlich gibt es über 1.200 politische Gefangene zu beklagen. Sie schweben wegen bewusster Unterversorgung in Lebensgefahr.
Um dem Westsplaining-Spuk ein Ende zu bereiten, werde ich künftig in meiner Kolumne „eastsplainen“ – als Slawistin, Journalistin und Osteuropäerin über Kultur und Politik aus Mittel- und Osteuropa schreiben. Und über die vielen Menschen aus der Ukraine, aus Belarus und Russland, die nun im Berliner Exil leben.
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