Neue Hamburger Linksfraktion: „Ich bin keine Kronprinzessin“
Sie wäre lieber in der zweiten Reihe gestartet, sagt die neue Linke-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.
taz: Frau Boeddinghaus, Sie sind mit Cansu Özdemir die neue Vorsitzende der Linksfraktion. Haben sie sich Ihren Wiedereinzug ins Parlament so vorgestellt?
Sabine Boeddinghaus: Nein. Und ich sage auch ganz offen: Es geht mir sehr schlecht. Die erste Sitzung der Bürgerschaft war für mich wie ein Spießrutenlauf.
Wie kam es zu Ihrer Wahl?
Es gab eine Wahl für die Fraktionsspitze, bei der die frühere Vorsitzende Dora Heyenn kandidierte und nicht die erforderlichen Ja-Stimmen bekam. Ich war wie vom Donner gerührt, weil ich sicher war, dass sie eine Mehrheit hat. Wir haben gesagt, lasst uns das als Probeabstimmung sehen. Wir hatten nicht auf dem Zettel, durchzuzählen, wer stimmt wie ab.
Und dann wollte Frau Heyenn nicht mehr. Verständlich, oder?
Ja. Ich kann die Verletztheit verstehen. Sie war dann leider nicht mehr zu heilen.
Waren Sie als Gegenkandidatin angetreten?
Nein. Zunächst hatten sich Dora Heyenn und zwei weitere Abgeordnete beworben. Es gab ein Meinungsbild, wer die Fraktion am besten vertritt, und da bekamen Cansu Özdemir und ich die meisten Stimmen. In dem Moment war mir klar, dass ich diese Verantwortung übernehmen muss.
58, Erziehungswissenschaftlerin und Vorsitzende des Hamburger Elternvereins. Sie war sieben Jahre in der SPD, bevor sie 2008 in die Linkspartei wechselte.
Nun haftet Ihnen der Ruf einer Königin-Mörderin an. Dabei sollten Sie Kronprinzessin sein und Dora Heyenn in zwei Jahren beerben.
Dass ich die Nachfolge übernehmen soll, war mit mir nicht abgestimmt. Ich hab das in der Presse gelesen und Anrufe erhalten von Genossen, die fragten, was lesen wir denn da? Ich seh mich nicht als Kronprinzessin. Ich wäre gern in der zweiten Reihe gestartet.
Aber Sie sind eine gestandene Politikerin, haben viele Jahre den Elternverein geleitet, waren vier Jahre Abgeordnete für die SPD und zuletzt für die Linke Fraktionsvorsitzende im Bezirk Harburg. Verständlich, dass man Ihnen einiges zutraut?
Ja. Aber ich bin nicht ohne Grund aus der SPD ausgetreten. Der strenge Führungsstil eines Olaf Scholz gefällt mir nicht. Bei der Linken werden Posten nicht vererbt. Wir wählen. Und auch die Idee der Doppelspitze ist kein Affront gegen Frau Heyenn. Es ist demokratisch und hat sich bei der Linken schon an anderer Stelle bewährt.
Was hat Sie bewogen, noch einmal für die Bürgerschaft zu kandidieren?
Die Freude darauf, dass ich in den Themengebieten, wo ich unterwegs bin, etwas bewegen kann. So gern ich das im Bezirk gemacht habe, Bildungspolitik findet da nicht statt. Ich habe total Lust, in diesem Bereich wieder zu arbeiten, verknüpft mit Kinder- und Jugendpolitik.
Da hat die Linke ja einiges vor. In Rede steht doch immer noch eine Enquete-Kommission zu Kinder- und Jugendhilfe.
Eben. Bei diesen Dingen möchte ich mitwirken.
Schulreform-Gegner Walter Scheuerl hat schon auf Facebook vor Ihnen gewarnt. Sie wären eine noch entschiedenere Verfechterin der ’Schule für alle‘. Nach der Reala Heyenn wären Sie der Fundi.
Ich werde ganz sicher nicht gleich Morgen einen Antrag für die Schule für alle einreichen. Aber es lohnt sich das Thema soziale Gerechtigkeit zu thematisieren und zu gucken, wie bildet die Schule das ab. Im Grunde driften die Stadtteile weiter auseinander, das sieht man jetzt wieder an den Anmeldezahlen der weiterführenden Schulen.
Hört sich fast an wie Dora Heyenn. Inhaltlich haben Sie keine Differenzen?
Nein. Frau Heyenn war eine gute Spitzenkandidatin. Ich kann jeden verstehen, der von außen guckt und sagt: so ein toller Wahlerfolg und jetzt dieses Debakel. Wir können aber auch nicht so tun, als ob es keine Konflikte gab. Da kam einiges zusammen, weswegen es in der Fraktion eine Klärung gab.
Und nun sitzt Frau Heyenn als Fraktionslose im Parlament. Haben Sie eine Idee, wie Sie sie zurückgewinnen?
Ich hoffe, dass es zu Gesprächen kommt. Ich würde das sehr begrüßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich