Neue Flüchtlingsmission im Mittelmeer: Fischkutter gegen das Sterben
Auf der Flüchtlingsroute zwischen der Türkei und Lesbos beginnt die Mission „Mare Liberum“. Sie will staatlichen Akteuren auf die Finger schauen.
Das Team der neuen Berliner Mission Mare Liberum war da gerade dabei, sein Schiff in den Niederlanden zu registrieren, wie so viele andere Seenotretter zuvor. Doch dann verschärfte die niederländische Regierung ihre Bedingungen – die Aktivisten waren gezwungen, sich eine andere Flagge zu suchen. „Das hat uns zurückgeworfen“, sagt Hanno Bruchmann, der das Projekt Mare Liberum als Vereinsvorstand seit Monaten vorangetrieben hat.
Zwei Monate später sind alle behördlichen Hindernisse aus dem Weg geräumt, die Mission im östlichen Mittelmeer steht vor ihrem Start. Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Seenotrettung infolge der restriktiven EU-Politik habe ihnen auch geholfen, sagt Bruchmann, etwa beim Spendensammeln. Noch diese Woche wird ihr 101 Jahre alter ehemaliger Fischkutter in See stechen, vom Süden der griechischen Insel Lesbos in das Einsatzgebiet im Norden der Insel, dort, wo das türkische Festland nur noch etwa zehn Kilometer entfernt ist.
Bruchmann, der in der Nähe des Karpfenteichs im Treptower Park wohnt, aber keine Erfahrung auf hoher See hat, wird mit an Bord sein. Die private Seenotrettung nennt er die „konsequenteste, richtige Antwort auf das Sterbenlassen im Mittelmeer“. Die Debatten um Migration, Flucht und Asyl seien zur „zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden“.
Mit dem alten Sea-Watch-Kutter
Seit Ende vergangenen Jahres hat Bruchmann zusammen mit dem Kernteam von etwa 15 Aktivisten, viele davon aus Berlin, einige aus Hamburg, Griechenland und Italien, das Schiff „Sea Watch“ 1 gekauft, einen Verein gegründet, die ersten Spenden gesammelt und die Logistik für die Jungfernfahrt vorbereitet.
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Mehr zur Mare Liberum in der aktuellen Folge des taz Podcasts Lokalrunde - das Stadtgespräch aus Hamburg und Berlin. Dazu: fragwürdige Geschenke an Polizisten, das Ende des G20-Sonderausschusses und eine AfD-Attacke auf eine Seebrücken-Kundgebung.
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Zu sechst werden sie nun aufbrechen, um ihren Beitrag gegen Europas Abschottung zu leisten. Mit dabei sind eine Bootsbauerin, ein Arzt, Menschen, die auch schon vor Libyen Leben gerettet haben. Was sie auf dem Meer erwarten wird, weiß Bruchmann noch nicht genau, doch der blonde 32-Jährige kann es kaum abwarten: „Ich freue mich darauf, auf das Schiff zu kommen und zu sehen, dass sich die Arbeit gelohnt hat.“
Knapp drei Wochen wird der erste Einsatz dauern, dann wird eine nächste Crew übernehmen. Bruchmann und seine Mitstreiter wollen die Rettung der Flüchtlinge auf offenem Meer dokumentieren, auch in Zusammenarbeit mit einem Netzwerk internationaler Anwälte und Menschenrechtsaktivisten.
Anders als die Rettungsschiffe von Sea Watch oder Jugend rettet, die vor der libyschen Küste oftmals die einzigen sind, die Flüchtlinge von ihren Schlauchbooten retten, sind im Ägäischen Meer staatliche Akteure nie weit. Griechische und türkische Küstenwache, Europas Grenzschutzagentur Frontex und die Nato kreuzten mit ihren Booten rings um Lesbos.
Steigende Zahlen
Allein in der vergangenen Woche waren es 600 Menschen, die diesen Weg in die Europäische Union suchten. Vielleicht auch, weil es 2015 noch 900.000 Flüchtlinge auf dieser Route gab, ehe die Zahl durch den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal massiv reduziert wurde, schaut momentan kaum jemand in diese Region.
Dabei ist die Ägais weiterhin eine oftmals tödliche Grenze. Erst vor gut einer Woche starben sieben Frauen und zwei Kinder, allesamt aus dem Irak auf ihrem Weg nach Lesbos, Ende Juli überlebten sechs Türken die Überfahrt nicht. Gab es keine Möglichkeit, sie zu retten, fragt Bruchmann. Den staatlichen Akteuren wolle man „auf die Finger schauen, hartnäckig“, auch um zu verhindern, dass es zu Push-Backs kommt, dem illegalen Zurückdrängen von Booten in türkische Gewässer.
Im vergangenen Sommer war schon einmal eine Beobachtermission des Brandenburger Vereins Sea Watch in der Region unterwegs. Aus ihr heraus entwickelte sich dann das eigenständige Projekt Mare Liberum, das den alten Sea-Watch-Kutter günstig übernehmen konnte. „Vielleicht sind wir bald die Einzigen, die noch mit einem Schiff auf dem Mittelmeer unterwegs sind“, sagt Bruchmann betont sarkastisch.
Andererseits sei mit der Aktion „Seebrücke“, die seit Wochen überall in Deutschland Menschen mobilisiere, erstmals eine Gegenerzählung zum rechten Diskurs sichtbar. „Das bringt uns eine Öffentlichkeit, in der man sich bewegen kann.“
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