Neue Filtertechnik bei Wasserbetrieben: Rettung aus der Reiseapotheke
In Tegel erproben die Berliner Wasserbetriebe eine neue Filtrationstechnologie: Aktivkohle aus einem haushohen Silo holt Medikamentenrückstände aus dem Wasser.
Akronyme sollen ja möglichst im Ohr bleiben. „ASKUWBBR“ wäre die korrekte, aber wenig eingängige Abkürzung für ein Forschungsprojekt mit dem Namen „Anthropogene Spurenstoffe und Krankheitserreger im urbanen Wasserkreislauf – Bewertung, Barrieren und Risikokommunikation“. Stattdessen heißt das Ganze einfach „ASKURIS“ – was elegant, ja sogar ein bisschen mythisch klingt.
Die Realität ist dann doch nüchterner: Auf dem Gelände der Oberflächenwasseraufbereitungsanlage (OWA) Tegel, die seit rund 30 Jahren den Tegeler See vor der Einleitung von Phosphaten und anderen Nährstoffen schützt, steht jetzt weithin sichtbar ein 21 Meter hoher Silo. Er enthält knapp 70 Tonnen Aktivkohle, einen Stoff, der nicht nur in der Reiseapotheke im Falle einer Durchfallerkrankung von Nutzen ist, sondern auch chemische Verbindungen aus scheinbar sauberem Wasser filtern kann, gegen die konventionelle Kläranlagen machtlos sind: in erster Linie Medikamente, aber beispielsweise auch künstliche Süßstoffe.
Der Silo und die daran angeschlossene Reinigungstechnik sind seit Mittwoch offiziell in Betrieb, sie ersetzen eine viel kleinere erste Testanlage auf demselben Gelände und sollen jetzt zeigen, ob sich die Technologie auch im großen Maßstab bewährt. Das Ganze wird im Rahmen des ASKURIS-Projekts der Wasserbetriebe seit 2011 vom Bundesforschungsministerium (BMBF) gefördert und unter anderem von der Technischen Universität (TU) Berlin wissenschaftlich betreut.
Ein Teelöffel Aktivkohle pro Kubikmeter wird ab sofort die unerwünschten Spuren aus dem Wasser eliminieren, das die Anlage über den Nordgraben aus dem Klärwerk Schönerlinde bezieht. Dorthin, an den Nordrand von Berlin, werden dann auch die mit den schädlichen Molekülen vollgesogenen Kohlepartikel zurückgespült. Sie vereinigen sich mit dem ohnehin anfallenden Klärschlamm, der schlussendlich in Ruhleben verbrannt wird. Schon in Schönerlinde kommt ASKURIS übrigens zur Anwendung: in Form einer „Ozonung“, die die chemischen Verbindungen quasi zertrümmert.
Gespräche mit der Pharmaindustrie
Wasserbetriebe-Vorstandchef Jörg Simon wies bei der Inbetriebnahme am Mittwoch darauf hin, dass man auch über eine bessere Aufklärung der Bevölkerung und Gespräche mit der Pharmaindustrie daran arbeite, dass von vornherein weniger der hartnäckigen Medikamentenrückstände ins Abwasser gelangen. „Die Wasserwirtschaft wird ihren Teil leisten“, so Simon, „aber sie ist kein universeller Reparaturbetrieb.“
Nach Abschluss des Großtests gegen Ende des Jahres sollen das Klärwerk Schönerlinde und die OWA Tegel komplett mit der neuen Technologie ausgestattet werden. Bei diesem Ausbau der sogenannten „4. Reinigungsstufe“ geht es um eine Investition von rund 20 Millionen Euro.
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