Neue DGB-Vorsitzende Fahimi: Selbstbewusst an die Spitze
Mit Yasmin Fahimi führt erstmals eine Frau den Deutschen Gewerkschaftsbund an. Sie gibt sich kämpferisch, steht aber vor keiner einfachen Aufgabe.
Kurz zuvor war Fahimi mit 93,2 Prozent der Delegiertenstimmen an die Spitze des DGB gewählt worden. Mit der gebürtigen Hannoveranerin übernimmt erstmalig eine Frau den höchsten Gewerkschaftsposten in Deutschland. Mit „Selbstbewusstsein und Zuversicht“ gehe sie an ihre neue Aufgabe, sagte die 54-Jährige.
Leicht wird es nicht. Da ist zum einen die unsichere wirtschaftliche Lage in Deutschland angesichts des Ukrainekriegs. Bei der hohen Inflationsrate wird es den Gewerkschaften kaum gelingen, bei den anstehenden Tarifverhandlungen Reallohnverluste zu verhindern. „Wer jetzt Lohnzurückhaltung verlangt, der will in Wahrheit nichts anderes, als die Krisenbewältigung allein auf dem Rücken der Beschäftigten abzuladen“, gab sich Fahimi gleichwohl kämpferisch. „Und das werden wir nicht mitmachen.“ Doch reicht dazu die Kraft?
Innergewerkschaftliche Herausforderungen
„In unserer Zeit fundamentaler Veränderungen ist gewerkschaftliche Gestaltungskraft dringender notwendig denn je“, sagte Fahimi in ihrer Grundsatzrede. Demgegenüber steht, dass der gewerkschaftliche Organisierungsgrad kontinuierlich sinkt, von 11,8 Millionen Mitgliedern 1991 auf jetzt noch rund 5,7 Millionen – bei einer deutlich gestiegenen Erwerbstätigenzahl. „Wir haben schon deutlich bessere Zeiten gesehen“, konstatierte Fahimi.
Als „Schutzmacht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ definierte sie die Gewerkschaften. Doch die bröckelnden Mitgliedszahlen korrespondieren mit schwindendem Einfluss in der Arbeitswelt. Zwar sind die Gewerkschaften in einigen Branchen nach wie vor stark, so die IG Metall in der Autoindustrie oder Verdi im öffentlichen Dienst. In etlichen Branchen sieht es indes mehr als mau aus.
Das lässt sich an der geringen Anzahl der Betriebe ablesen, die sich überhaupt noch in der Tarifbindung befinden. Nach den jüngsten Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sind heute 74 Prozent weder an einen Flächen- noch einen Haustarifvertrag gebunden. Bundesweit arbeiten gerade noch 51 Prozent der Beschäftigten auf einer tarifvertraglichen Grundlage – in den ostdeutschen Ländern sind es sogar nur 43 Prozent. Vor zwei Jahrzehnten verfügten noch fast 74 Prozent der Beschäftigten bundesweit über einen Tarifvertrag. Diese „massive Tarifflucht“ müsse unbedingt aufgehalten werden, forderte Fahimi.
Zum anderen gibt es auch innergewerkschaftliche Herausforderungen, die sie bewältigen muss. Denn der DGB ist ein kompliziertes Gebilde, die eigenständigen Wirkungsmöglichkeiten des Dachverbands sind beschränkt. Wer einen Eindruck von den Kräfteverhältnissen gewinnen will, braucht sich nur die Verteilung der Delegiertenmandate auf dem Kongress anschauen. Von den 400 Delegierten stellt die IG Metall 146 und Verdi 127, beide kommen somit auf eine Zweidrittelmehrheit. Mit weitem Abstand folgt die IG BCE mit 42 Delegierten. Der verbleibende Rest verteilt sich auf die anderen fünf Einzelgewerkschaften, also GEW, IG Bau, NGG, GdP und EVG.
Wiedereinführung der Vermögenssteuer „überfällig“
Entscheidend wird sein, welchen Spielraum IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Verdi-Chef Frank Werneke, beide mit großem Selbstbewusstsein ausgestattet, der neuen DGB-Vorsitzenden lassen. Und wie es Fahimi trotz der Vormachtstellung der beiden Großen schafft, die Interessen der kleineren Mitgliedsgewerkschaften zu berücksichtigen. Denn im geschäftsführenden Bundesvorstand sind die nicht repräsentiert, da ist das IG-BCE-Mitglied eingerahmt vom IG-Metaller Stefan Körzell und den Verdi-Frauen Elke Hannack und Anja Piel. Auch das gehört zum DGB: die parteipolitische Austarierung. Wie Fahimi ist Körzell in der SPD, Hannack ist in der CDU und Piel bei den Grünen.
Ob Fahimi erfolgreich sein kann, wird auch davon abhängen, wie gut ihr der Rollenwechsel von der SPD-Bundestagsabgeordneten zu einer DGB-Chefin gelingt, der Gewerkschafts- vor Partei- oder gar Regierungsinteressen gehen müssen. Die Niederlegung ihres Parlamentsmandats ist ein Zeichen, dass sie das Problem erkannt hat.
Auch mit ihrem Grundsatzreferat dokumentierte Fahimi, dass sie sich in ihrer neuen Funktion nicht mehr der Ampelkoalitionsräson verpflichtet fühlt. Mit deutlichen Worten sprach sie sich gegen die Schuldenbremse aus, die nichts anderes sei „als eine ideologische Bremse gegen einen aktiven Staat und eine sozial verantwortliche Gestaltung“. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer bezeichnete sie als „überfällig“ und plädierte außerdem für eine zusätzliche Vermögensabgabe. Olaf Scholz sagte dazu lieber nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin