Neue Beratungsstelle in Bremen: Lückenhaftes System
Rot-Grün-Rot bringt eine Landesantidiskriminierungsstelle auf den Weg. Denn das derzeitige Beratungssystem erreicht nicht alle.
Vorbild könnte Berlin sein, aber auch Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben bereits solche Beratungsstellen. Bei der Konzeptionierung sollen der Bremer Rat für Integration, migrantische Selbstorganisationen und das Bremer Netzwerk gegen Diskriminierung einbezogen werden.
Das Netzwerk wurde 2012 gegründet und versammelt merkmalsbezogene Beratungsstellen. Es komme jedoch immer häufiger zu Mehrfachdiskriminierung, heißt es im rot-grün-roten Antrag. Manche Menschen seien mit ihren Merkmalen nirgendwo richtig aufgehoben, sagt Sahhanim Görgü-Philipp (Grüne), Fraktionssprecherin für Integration und Antidiskriminierung. „Eine Frau, die schwarz und lesbisch ist, vielleicht auch noch eine Behinderung hat – wo soll die hingehen?“
Das Netzwerk gegen Diskriminierung wurde damals zudem ohne Ausstattung eingerichtet, sagt Caro Schulze vom Rat-&-Tat-Zentrum für queeres Leben. In einer Stellungnahme von 2018 haben sie und andere Beratungsstellen die Unterfinanzierung des Bereiches kritisiert, vor allem angesichts des steigenden Beratungsbedarfs.
Sofia Leonidakis, Die Linke
Neben dem Problem der Mehrfachdiskriminierung gibt es weitere Lücken im Beratungssystem, wie eine Mitarbeiterin von Soliport weiß, der Bremer Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt: „Viele melden sich bei uns bei Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, in der Schule, gegenüber Behörden.“ Selbstverständlich würden diese beraten, eine gute Verweisberatung sei jedoch nicht möglich.
Auch Aretta Mbaruk vom Projekt Antidiskriminierung in der Arbeitswelt, wie Soliport und Rat & Tat ebenfalls im Netzwerk organisiert, hält es für wichtig, die „Schutzlücken im Bereich des staatlichen Handelns – Schule, Polizei und Bürgerämter – zu schließen“.
Die LADS soll laut Bürgerschaftsantrag nicht nur ein politisches Signal gegen Diskriminierung setzen, Beratungslücken schließen und eine gute Erstberatung anbieten können. Auch die Vermittlung von Rechten der Betroffenen wird Aufgabe der LADS sein. „Im Gleichbehandlungsgesetz stehen nicht wenige Rechte“, sagt Sofia Leonidakis (Linke), Fraktionssprecherin für Flucht und Soziales, „die aber sehr wenig in Anspruch genommen werden.“ Oft schreckten Betroffene vor aufwendigen Verfahren zurück.
Auch die Erarbeitung politischer Handlungsempfehlungen, also Lobbyarbeit, und eine Dokumentation der Vorfälle gehören zu den Aufgaben der LADS. „Wichtig ist, eine Stelle zu haben, die Erhebungen in Auftrag geben kann, um die Erfahrung der Bürger*innen mit Diskriminierung zu erfassen“, sagt Mbaruk – und den „Beratungsbedarf sichtbar zu machen“.
Günther Flißikowski von der CDU-Fraktion ist sich aufgrund dieser bisher fehlenden Erhebungen nicht sicher, ob sich die Einrichtung einer LADS lohnt. „Sicherlich gibt es Beratungslücken, aber wir können uns auch vorstellen, vorhandene Stellen zu stärken.“ Um die Bedarfe in Bremen genauer bewerten zu können, stellte Flißikowskis Fraktion bereits Mitte Mai eine Anfrage an den Senat. Wie viele Beratungsstellen es zurzeit gibt, mit welchen Teilbereiche der Diskriminierung sich diese befassen und wie viele Menschen sie nutzen, möchte die CDU wissen.
Der Senat wird die Antworten voraussichtlich nächste Woche liefern. Die meisten Akteur*innen sind sich aber sicher: „Eine Landesantidiskriminierungsstelle könnte eine gute erste Anlaufstelle sein“, so die Soliport-Mitarbeiterin, „die die schon vorhandene Struktur stärkt, koordiniert und ergänzt.“ Auch Mehmet Ali Seyrek, SPD-Fraktionssprecher für Antidiskriminierung, hofft, dass die Stelle alle in irgendeiner Form benachteiligte Menschen ermutigt, sich zu melden.
Die organisatorische Federführung der LADS wird die Sozialsenatorin haben. „Weisungsunabhängig“ soll sie natürlich trotzdem sein. Das müsse nach außen „glaubwürdig transportiert“ werden, so Schulze. 2021 soll die LADS ihre Tätigkeit aufnehmen. Für ihre Umsetzung, so Görgü-Philipp, sind 400.000 Euro im aktuellen Haushaltsentwurf veranschlagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!