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Neubauten in Hamburg-SteilshoopStreit um die Sahneseite

Im dicht besiedelten Steilshoop soll die Schule am See abgerissen und der Platz mit Wohnungen bebaut werden. Anwohner wollen sie für ein Stadtteil-Center erhalten.

Kämpfen für ein Community-Center: AnwohnerInnen in Steilshoop Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | „Na, dann lernen Sie jetzt mal die Sahneseite von Steilshoop kennen“, sagt Angelika Biermaier, als sie die Reporterin von der Bushaltestelle abholt. 17 Minuten mit der Linie 7 ab Barmbek sind es zur Endhaltestelle Borchertring in Steilshoop, Hamburgs dichtestbesiedeltem Quartier. Im Rücken die achtstöckigen Häuser gehen wir der Nachmittagssonne entgegen in Richtung See.

Biermaier ist Mitglied des Vereins zum Erhalt und Nachnutzung der Schule am Borchertring, kurz Vens. Wir sind mit Sprecher Egmond Tenten verabredet. Es kommen gleich noch vier Mitstreiter*innen zum spontanen Gespräch vor der Turnhalle. Geht alles nach Plan, wird diese Schule hier bald abgerissen und das Gelände am See mit Wohnungen der Saga bebaut.

Hier am Rand der Großsiedlung, die in diesem Jahr 50 wird und aus 22 Hochhausringen besteht, die Wohnungen für 22.000 Menschen bieten, steht eine Grundschule vom „H-Typ 68“ – dem Schulbau-Standard aus den 1960er-Jahren. Die Gebäude sind mit Waschbeton verkleidet. Eine Turnhalle, ein H-förmiger Unterrichtstrakt, ein Eingangshaus mit Aula und Räumen für die Verwaltung. All dies wirkt hübsch, die freien Flächen sind bewachsen mit Bäumen und Sträuchern. Auf der langen Holzbank am Pausenhof liegen Tannennadeln.

Der Schulbetrieb ist an diesem Freitag längst aus. Nebenan auf einem Spielplatz wird gegrillt, lachende Kinder sind zu hören. Neben der Schule sind es wenige Schritte zum Bramfelder See. Hier sieht man nur noch Natur. Der Holzsteg vom Anglerverein strahlt im Abendlicht. Gänse fliegen am Himmel, Jogger laufen vorbei. „Hier kann man herum gehen“, sagt Biermaier. „Es gab sogar mal eine Brücke über den See.“

Trotz der idyllischen Lage am See soll die Schule umziehen und die Gebäude weichen. Das ist möglich, weil im Sommer an anderer Stelle Steilshoops der neue „Campus“ fertig ist, der eine dort bereits abgerissene Gesamtschule ersetzt. Die war riesig, ein Bildungszentrum mit viel Platz.

„Dort konnten wir umsonst Räume nutzen“, erinnert sich Anwohnerin Ilona Konrad. „Es gab eine bunte Nutzung vom Yoga-Treff bis Schach. Das war dann alles weg“, sagt die Kunsthistorikerin. Der Neubau sei kleiner. „Am neuen Campus ist der Platz viel weniger, und man muss Miete zahlen“, sagt Anwohnerin Katrin Schliemann. „Da gibt es dann nur einen ganz kleinen Kulturtreff. Der ist so klein.“ Sie zeigt es mit den Händen.

Kurzum: Die Anwohner wollen die Schule am See erhalten und selber nutzen, in Form einer Genossenschaft. Die Turnhalle, wo auch Tänzer trainieren, solle für alle erhalten bleiben. In dem Unterrichtstrakt sollen 60 bis 80 kleine Wohnungen für Auszubildende und ältere Leute entstehen, in der Aula und Fachräumen soll Raum für Musik und Kunst sein. Den Schulhof könne man entsiegeln, es könne „Urban Gardening“ geben und an der Stelle mit dem besten Blick aufs Wasser soll ein Café entstehen.

Es gibt nichts mehr, wo man nach dem Singen in der Kirche was Trinken gehen kann

Katrin Schliemann, Anwohnerin

„Totale Ödnis“

Ilona Konrad könnte sich auf dem Gelände sogar „Tiny Houses“ vorstellen. „Wir brauchen hier junge Leute“, sagt die Künstlerin. „Ich möchte, hier auch mal was Modernes.“ Früher habe es noch ein Kino und ein Restaurant gegeben, heute gebe es nichts mehr, wo sie nach dem Singen in der Kirche was trinken gehen könne, ergänzt Schliemann. „Wir haben hier totale Ödnis.“

Egmond Tenten hat die Planung auf ein Plakat und eine Postkarte gedruckt. Überschrift: „Steilshoop am See 2020/Zum Nutzen für’s Quartier“. Der Ort habe mit seiner besonderen Lage eine „Scharnierfunktion“ für Begegnungen zwischen Spaziergängern aus Steilshoop und umliegenden Stadtteilen, heißt es in einem Brief, den nun auch Stadtteilbeirat und Koordinierungskonferenz an den Planungsausschuss im Bezirk Wandsbek schickten. „Wir fordern einen Planungstopp“, sagt Tenten.

Als die Fotos im Kasten sind, setzen wir uns noch in einem Pavillon zusammen, den der Ausbildungsträger Alraune e.V. für ein Projekt nutzt. Auch der würde abgerissen. Ob da noch was zu machen ist?

Architektur-Wettbewerb in Vorbereitung

Nach Auskunft der Stadtentwicklungsbehörde hat die Senatskommission für Wohnungsbau bereits 2015 die „Rahmenplanung Steilshoop-Nord“ beschlossen. Und die besagt, dass am Nordrand der Großsiedlung auf dem Gelände am See und zwei weiteren Flächen, die durch Wegfall des alten Bildungszentrums frei werden, 400 bis 500 Wohnungen gebaut werden. Auch in Steilshoop wird also nachverdichtet. Bauherr soll die Saga sein, die das Areal per Erbpacht bekommt. Geplant ist Systembauweise.

Der Erhalt einzelner Gebäude der Schule am See sei „nicht vorgesehen“, sagt auch ein Sprecher des Bezirks Wandsbek. Derzeit wird im Auftrag der Saga einen Architektur-Wettbewerb vorbereitet, der am 2. April im Stadtteilbeirat vorgestellt wird.

„Es ist eigentlich alles schon festgelegt, die Baumasse, die Bauhöhe“, berichtet der Linken-Bezirkspolitiker Rainer Behrens. Nur bei den Grünflächen gebe es noch „Spielraum, etwas zu gestalten“. Eine Beteiligung des Stadtteils sei „nicht mehr vorgesehen“.

Dabei engagiert sich die Initiative schon seit 2013. Zunächst wollte sie den Abriss der Gesamtschule verhindern, und weil das nichts wurde, streitet sie für ein neues Comunity-Center. „Zur Schule am See hieß es jedoch: Deren Gelände müsse verkauft werden um den Neubau zu finanzieren. Man hat uns nicht erlaubt, darüber zu diskutieren“, erinnert Konrad. Nun, wo das Grundstück günstig per Erbpacht weggehe, sehe sich der Stadtteil verschaukelt. „Hätten wir das gewusst, hätten wir selber ein Genossenschaftsprojekt initiiert.“ Es habe zwar damals Beteiligungsprozesse gegeben. Doch rückwirkend sei dies eine „Mitmachfalle“ und „Demokratiesimulation“ gewesen.

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