Neubauprojekt Blankenburger Süden: Für die Bürger am Bürger vorbei
Senatorin Katrin Lompscher will in Pankow 10.000 Wohnungen bauen. Anwohner und Bezirkspolitiker gehen auf die Barrikaden.
Berlin taz | „Eine monströse, vollkommen überdimensionierte Retortenstadt wird hier geplant, ohne Rücksicht auf das Bestehende“, schreibt der User jsxheinersdorf auf dem Bürgerbeteiligungsportal mein.berlin.de. Ein anderer fordert „alternative politische Kräfte“, denen es nicht um „Enteignung und Vertreibung“ der Bevölkerung gehe. Es ist ein kleiner Wutbürgeraufstand, der seit Samstag tobt. Da hatte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) bei einer BürgerInnenversammlung Bebauungspläne für den Blankenburger Süden in Pankow vorgestellt.
Es ist die Planung einer eigenen kleinen Stadt: Etwa 10.000 Wohnungen für mehr als 20.000 Menschen, dazu ein Gebiet für Gewerbeflächen, angebunden durch eine Straßenbahn und einen Autobahnzubringer. Die Präsentation von Berlins größtem Neubauprojekt hätte für Lompscher ein Befreiungsschlag sein können – im Ringen um mehr und bezahlbaren Wohnraum. Und gegen die Kritik, nicht nur seitens ihres Koalitionspartners SPD, sie würde den Neubau vernachlässigen.
Doch statt endlich als Bausenatorin zu punkten, fliegt Lompscher seitdem die Kritik um die Ohren, ausgerechnet beim Thema Bürgerbeteiligung, das sie wie kaum eine andere im Senat zu ihrem Schwerpunkt erklärt hat. Denn ein Großteil der 700 Anwesenden fühlte sich nach der Präsentation dreier alternativer, von der Grundkonzeption aber ähnlicher Bebauungspläne (siehe Grafik) nicht etwa mitgenommen und eingeladen, sich weiter zu beteiligen, sondern vor den Kopf gestoßen. Von Wortbruch war die Rede und von Bürgerverarschung.
Über das Projekt Blankenburger Süden wird seit Langem gesprochen, mit der Zielsetzung, auf den unbebauten, der Stadt gehörenden Rieselfeldern 5.000 bis maximal 6.000 Wohnungen zu bauen. Die Erschließung des 70 Hektar großen Grundstücks steht im Koalitionsvertrag. Die Anwohner, organisiert im Forum Blankenburger Süden, sind seit anderthalb Jahren in den Planungsprozess eingebunden, trafen sich mehrfach mit dem Projektleiter der Senatsverwaltung.
Überraschend für alle
Doch von der nun verkündeten Bebauung sowohl des angrenzenden Golfplatzes als auch der Erholungsanlagen aus etwa 1.500 Parzellen mit Garten- und Einfamilienhäusern hörten sie zum ersten Mal.
Und nicht nur sie: Der SPD-Wahlkreisabgeordnete Dennis Buchner sagte der taz, die Einbeziehung dieser Gebiete kam wie „Kai aus der Kiste“ und hätte auch ihn „völlig überrascht“. Ähnlich erging es Pankows Bürgermeister Sören Benn (Linke): „Wir sind wie alle davon ausgegangen, dass nur über das Kerngebiet geredet wird.“ Dass nun auch die Erholungsanlage mit in die Bauplanung einbezogen ist, nennt Benn eine „nachvollziehbare Idee, wenn man die Situation vor Ort nicht kennt“.
Buchner und Benn verweisen auf die Eigentümerstruktur der Gärten. Etwa 40 Prozent gehören privaten Besitzern, der Rest ist verpachtet. Angeblich hat sich der Senat bereits im Juni 2017 das Vorkaufsrecht für die Erholungsanlagen gesichert. Benn fordert von der Senatsverwaltung, auf die Ängste derjenigen, die dort ein Grundstück haben, einzugehen. „Die wollen wissen, ob es sich jetzt noch lohnt, eine Dachrinne zu sanieren.“
„Ein Dorf mit momentan 5.000 Einwohnern auf 25.000 aufzuplustern, halte ich für schwierig“, sagt Buchner, „zurückhaltend formuliert“. Auch sei die Anbindung durch eine vierspurige Straße, die sogenannte Tangentialverbindung Nord, und die verlängerte Straßenbahnlinie M2 nicht ausreichend.
Ein Signal an die SPD?
Über die Gründe für die erweiterte Planung kann Buchner nur mutmaßen. Womöglich hänge es damit zusammen, dass die Anwohner bislang „wenig Widerstand“ gegen das Projekt gezeigt hätten. Eventuell seien die neuen Pläne eine Taktik, um sicherzugehen, die ursprünglich geplanten 5.000 Wohnungen durchzukriegen. Dass Lompschers Offensive etwas mit der anhaltenden Kritik der SPD an ihrer mangelnden Bereitschaft zu bauen zu tun haben könnte, hält Buchner ebenfalls für denkbar. Mit dem Blankenburger Süden könnte Lompscher „ein Signal setzen wollen“.
Die Senatorin ließ am Dienstag verlauten, es sei „nicht klar genug kommuniziert worden“, dass im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen nicht nur die Rieselfelder, sondern das „komplette Areal“ in den Blick genommen wurde. Sie könne „den Unmut von Anwesenden deshalb verstehen“.
Um die Wogen etwas zu glätten, verweist Benn darauf, dass die Pläne einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren beschreiben. Der Bezirksbürgermeister glaubt zudem nicht an die Umsetzung im vorgestellten Umfang. Er fordert den Senat auf, zurückzurudern: „Man sollte sich auf die Entwicklung des Kerngebiets konzentrieren und nicht zu viel Planspiele drum herum betreiben.“
Leser*innenkommentare
Andi S
So richtig erschließt sich mir nicht vollständig die Für und Wieder des Projekts.
Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass notwendige Maßnahmen für Umwelt (siehe Fernleitungen für die Energiewende) und Gesellschaft (Verdichtung und Neubauten) zwar immer schön begrüßt werden, aber bitte wenn es konkret wird, bei den anderen...
Oskar
@Andi S Das ist genau das Problem. Windkraft, Sozialwohnungen, Ausländer: JA BITTE (woanders)!
rero
Das ist die Wohnungsbaupolitik der Linken. Symbolpolitik in Form von nicht wirkender Mietpreisbremse einerseits, andererseits schön die Leute täuschen.
Stasi-Lügen-Holm war schon der richtige Staatssekretär für Frau Lompscher. Das passte.
Es war ein rot-roter Senat, der die GSW verkauft hatte und damit ein Lawine ins Rollen brachte.
Das trieft nur so vor Heuchelei.