Neubau in Ottensen: Das Ende der Gemütlichkeit
Ein Investor will vier Häuser am Spritzenplatz abreißen und neu bauen. Anwohner sehen darin eine Bedrohung für das „dörflichen Flair“ Ottensens.
HAMBURG taz | Der Spritzenplatz im Herzen Ottensens ist so etwas wie das Wohnzimmer des Stadtteils: Hier lungern seit Menschengedenken die Punks rum, hier trifft sich das neue Bürgertum auf dem Bio-Wochenmarkt – fast wie auf dem Dorf. Doch nun droht Veränderung. Vier Altbauten an der Ecke Ottenser Hauptstraße/Bahrenfelder Straße will der Besitzer abreißen und stattdessen einen 18 Meter hohen Neubau an die Ecke setzen. Darin sollen auf fünf Etagen 14 Mietwohnungen, zwei bis drei Gewerbeflächen und eine Tiefgarage Platz finden.
Ob das Vorhaben genehmigt wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Das Bezirksamt Altona bestätigte, dass bereits im September ein Antrag auf Abriss und Neubau der Eckhäuser eingegangen ist. Man prüfe ihn derzeit. Auch der Investor hält sich bedeckt – nicht mal sein Name solle der Öffentlichkeit bekannt werden, wies er einen Ladeninhaber an, der von einem Abriss betroffen wäre.
Nach taz-Recherchen handelt es sich um Michael Streithorst, Vorsitzender der BÖAG-Beteiligungs-Aktiengesellschaft, die Immobilien in Hamburg und Berlin unterhält. Die BÖAG will weder den Besitz der Häuser, noch das Abriss-Vorhaben bestätigen. Man werde „zu gegebener Zeit“ eine Pressemitteilung herausgeben, hieß es auf Anfrage.
„Der Neubau passt einfach nicht ins Stadtbild“, kritisiert Johannes Kohl vom Bündnis „Altonaer Manifest“, einem Zusammenschluss von Stadtteilinitiativen in Altona. Er bezieht sich auf eine Skizze des Neubaus, die dem Bündnis zugespielt wurde. Die Skizze hat das Elbe Wochenblatt mittlerweile veröffentlicht – man sieht darauf einen massiven, futuristisch anmutenden Eckbau.
„Ottensen lebt von seinem dörflichen Flair“, sagt Kohl, „an vielen Stellen ist es niedrig bebaut und man sieht noch, dass es mal ein kleinindustrielles Arbeiterviertel war.“ Geschichtsträchtige Gebäude, wie die über hundert Jahre alten Eckhäuser „einfach plattzumachen“, führe dazu, dass das Stadtbild austauschbar werde. Zudem könne man bei den Neubauwohnungen Mietpreise von elf bis 16 Euro pro Quadratmeter erwarten – „nicht gerade eine Bereicherung für das Viertel“, meint Kohl.
Aber auch nichts Ungewöhnliches – die Mietangebote in Ottensen liegen beim Immobilienportal Immowelt derzeit bei durchschnittlich 14,54 Euro pro Quadratmeter. Im Bezirksamt Altona stuft man das Neubau-Vorhaben deshalb auch nicht als gentrifizierenden Faktor ein. Angesichts der Aufwertung, die das Viertel in den letzten Jahren erfahren habe, würde man im Fall des geplanten Neubaus nicht mehr von Gentrifizierung sprechen, sagt der Pressesprecher des Bezirksamts Martin Roehl.
Auch die Gewerbetreibenden in den vom Abriss bedrohten Häusern sind wenig überrascht. „Es war klar, dass hier irgendwann gebaut wird“, sagt Zia Rana, Inhaber des Eiscafés „Venezia“, das voriges Jahr hundertjähriges Jubiläum feierte. Der Eigentümer habe ihm zugesichert, er könne in den Neubau wieder einziehen.
Betroffen sind neben dem Eiscafé noch ein Frisör, ein Telekomshop, ein Texildruckgeschäft und eine Änderungsschneiderei sowie drei Mietparteien. Die MieterInnen sind laut Bezirksamt längst informiert.
Die KritikerInnen vom Altonaer Manifest hoffen auf eine Beteiligung der MieterInnen und AnwohnerInnen an der Planung, sollte es zum Neubau kommen. Lieber wäre ihnen allerdings, wenn der Bezirk das Vorhaben noch verhinderte. Möglich wäre das: Für das Gebiet gilt ein Aufstellungsbeschluss für eine soziale Erhaltungsverordnung.
Das heißt, die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt prüft, ob dort zukünftig die soziale Erhaltungsverordnung gelten soll, um alt eingesessene BewohnerInnen vor Verdrängung zu schützenund so die soziale Durchmischung des Viertels zu bewahren. Jedes Abriss- und Neubau-Vorhaben wird dann genau vom Bezirk geprüft und gegebenenfalls verhindert. Während der jetzigen Prüfphase können Anträge auf Abriss, Modernisierung oder Neubau aufgeschoben oder vorläufig abgelehnt werden.
„Noch kann die Behörde die Pläne mit einem Zweizeiler ablehnen“, schreibt das Altonaer Manifest und ruft für kommenden Freitag zu einer Lichterdemo auf. Zwar sei die Gentrifizierung des Viertels nicht mehr aufzuhalten, räumt Johannes Kohl ein. „Aber“, sagt er, „gut ist das trotzdem nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“