Neuanfang im DFB: Und dann noch auf ein Käffchen?
Deutschlands neuer Fußballretter Rudi Völler beehrt den Sportausschuss des Bundestages – und hat die versammelte deutsche Sportpolitik im Sack.
Um Rudi Völler zu verstehen, muss man wissen, wo er herkommt. Sein Vater Kurt arbeitete als Dreher und Lagerist, seine Mutter Ilse als Putzfrau und Näherin. Völler entstammt der hessischen Arbeiterschaft, und für ihn war der Fußball die Möglichkeit schlechthin, aufzusteigen und Klassenschranken einzureißen. Völler ist diesen Weg stets ohne Komplexe gegangen, selbst wenn er sich durch ein Dickicht aus Dünkel schlagen musste.
Rudi Völler, Sportdirektor des Nationalteams
Die gläsernen Decken hat er wie Butterbrotpapier durchstoßen, leicht und lässig. So erscheint das Arbeiterkind auch an diesem Mittwochnachmittag als Souverän vor dem Sportausschuss des Bundestages, der entgegen seiner Gewohnheit öffentlich tagt. Der Raum 4.300 im Paul-Löbe-Haus ist brechend voll. Man will ihn sehen, den Mann, der den deutschen Fußball nach der Schmach von Katar, nun ja, retten soll.
Der CSU-Sportpolitiker Stephan Mayer aus Altötting spricht während der Sitzung vom „erlauchten“ Besuch und ist geradezu begierig, seine Fragen an den Mann zu bringen. Ausschuss-Vorsitzender Frank Ullrich (SPD), der DDR-Biathlonmann, findet es „sensationell“, dass der Rudi vorbeigekommen ist. Gut, DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist wohl auch ein bisschen mitgemeint; der ehemalige SPD-Minister sitzt neben dem eigentlichen Star der Veranstaltung und klaut Völler erst einmal wertvolle Redezeit, die Ullrich so fest im Blick hat wie einst die Rundenzeiten seiner Eleven im thüringischen Oberhof. Über den beiden Gästen tickt eine für alle sichtbare Countdown-Uhr, und wenn die Redezeit überschritten wurde, erscheint ein Minus vor den Zahlen. Dann beginnt Frank Ullrichs Gesicht zu zucken.
Parteifreundin mit Binde
Neuendorf erzählt, was er in den vergangenen Wochen schon so oft und bis zur Ermüdung aller Protagonisten erzählt hat: Wie das mit der One-Love-Binde war. Dass die Kicker mündig seien und selbst entscheiden könnten. Dass er mit Innenministerin Nancy Faeser, der Parteifreundin, in Doha zwar diniert, sie aber nicht onelove-mäßig beeinflusst habe. Auch die parteinahe Agentur BrinkertLück, laut Eigenwerbung eine Werteagentur, habe angeblich keine Rolle in der Politisierung der WM gespielt. Dass die Fifa der eigentliche Böse gewesen sei und nicht der DFB. Dass er angesichts der Sachzwänge gut und richtig entschieden habe, bindentechnisch – und auch sonst.
Der Funktionär beendet seinen Sermon und überlässt Völler ganze 50 Sekunden Restredezeit, aber Ullrich zeigt sich gnädig, sodass Völler doch ein bisschen ausholen darf. Vorm Gast liegen ein paar Ausdrucke auf dem Tisch. Auf dem Deckblatt steht: „Analyse WM 2022, Entwicklung der Nationalmannschaft seit 2018“. Jeder Fußballinteressierte weiß, dass es in den vergangenen fünf Jahren nicht gut lief fürs deutsche Nationalteam: Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, gleiches beim Championat in der Wüste. Völler, Mitglied der hernach eilends zusammengeschusterten „sogenannten Task Force“, wie er die Arbeitsgruppe lustigerweise nennt, blickt noch einmal auf die Rekrutierung des Retters: „Irgendwann schauten mich alle an und sagten: Mensch Rudi, wie wär’s denn, wenn du das machst!?“
Und da er eine gewisse Dankbarkeit und Verpflichtung spüre, er ohnehin ein Kind des Fußballs und des DFB sei, habe er halt zugesagt. Völler wird nicht konkret in Analyse und Ausblick, vielmehr sagt er: „Ich will dafür eintreten, dass wir wieder eine Einheit werden und die Menschen begeistern. Und schöne Grüße auch vom Hansi Flick.“
Völler signalisiert dann irgendwann sein Unbehagen, derart eingezwängt zu sein im Reglement der Redezeiten und schlägt den Parlamentariern vor, nachher noch ein Käffchen in der Caféteria zu nehmen, um über dies und das „zu schwadronieren“. Aber vorerst muss er noch ein paar nette Rudi-Völler-Sätze loswerden: „Wir werden alles tun, damit es wieder funktioniert. Wir sind dran. Es wird Veränderungen geben. So weit weg von den Menschen in Deutschland sind wir doch gar nicht. Das kriegen wir wieder hin.“ Klar, mit Hingabe, Leidenschaft und den letzten fünf Prozent.
Völler bleibt ebenso verbindlich wie vage, nur einmal zucken alle Zuhörer im Saal leicht zusammen, als Völler düster orakelt, die nächste fünf, sechs Jahre sei der deutsche Fußball noch konkurrenzfähig, „aber dann sehe ich ein bisschen schwarz“. Er kabbelt sich noch mehr oder weniger freundlich mit einem AfD-Politiker, gibt jenem Jörn König mit, dass er bei seinen Ausführungen zur WM und der Binde zwar gut angefangen, dann aber stark nachgelassen habe, preist später die italienische Streitkultur („Ich bin ja ein halber Römer“) – und wickelt sie alle ein.
Als die Chose vorbei ist und man sich fragt, warum das Ganze eigentlich veranstaltet wurde, steht die Antwort auf zwei Beinen bereit: Es ist der Sportpolitiker Jens Lehmann, der sich wie ein kleines Kind auf einen Plausch mit dem Rudi freut. Mit roten Bäckchen steht der ehemalige Bahnradler da und wartet auf den so nahbaren Fußballstar. Rudi Völler, das wurde immerhin an diesem Tag deutlich, ist kein Mann der Vergangenheit, sondern einer der Zukunft. Auf ihn hoffen sie bis zur EM 2024 in Deutschland. Der alte weiße Mann muss es richten.
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