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Netzwerk von religiösen Extremisten„Wir müssen wachsam sein“

Agenda Europe ist ein europaweites Netzwerk gegen Homoehe, Abtreibung und Verhütung. Neil Datta hat es aufgedeckt und erklärt die Absichten.

Agenda Europe würde gerne zurück in die Vergangenheit Foto: dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Herr Datta, Sie beschreiben Agenda Europe als Netzwerk religiöser ExtremistInnen, das Verbindungen bis in die EU-Kommission und den Vatikan hat. Wieso wussten wir bisher nichts davon?

Neil Datta: Die AkteurInnen waren sehr vorsichtig und diskret, um im Verborgenen zu bleiben. An den Treffen durfte offenbar nur teilnehmen, wer eine persönliche Einladung hatte, und die TeilnehmerInnen hatten klare Anweisung, nicht über die Treffen zu sprechen.

Wie haben Sie selbst davon erfahren?

Ich wusste, dass es eine breite Bewegung ultrakonservativer AkteurInnen gibt, dass es den Blog gibt und kannte ihre Themen. Ich wusste auch, dass es eine ganze Reihe politischer Initiativen gegen Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Ehe gibt. Aber mir fehlte der Link zwischen beidem. Dann gelangten die Produzenten einer Doku des Senders Arte über Abtreibungsgegner an Kopien von Dokumenten, die sie mir gaben.

Was waren das für Dokumente?

Es waren Programme mehrerer Treffen von Agenda Europe. Ich konnte die Puzzleteile zusammensetzen: Dass die Treffen Jahrestreffen sind, und dass es ein gemeinsames, inhaltlich explizites Manifest namens „Die natürliche Ordnung wieder herstellen“ gibt. Damit hat das große Ganze Sinn ergeben.

Haben Sie die AkteurInnen konfrontiert?

Wir nicht, aber die JournalistInnen von Arte. Da sieht man sehr deutlich, wie sie reagieren, wenn sie zu Agenda Europe gefragt werden. Sophia Kuby zum Beispiel, die Leiterin des EU-Büros der christlichen Organisation „Alliance Defending Freedom“, gibt erst auf Nachfrage zu, dass die geheimen Jahrestreffen existieren. Sie ist deshalb sichtlich verlegen.

Im Interview: Neil Datta

ist Geschäftsführer des Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung in Brüssel. Im EPF arbeiten ParlamentarierInnen zum Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.

Haben Sie sich ausführlicher mit den Strukturen von Agenda Europe in den einzelnen Ländern beschäftigt?

Bisher haben wir versucht zu verstehen, wie das gesamte Netzwerk funktioniert. Die deutschen HauptakteurInnen sind Sophia Kuby und ihre Mutter Gabriele Kuby, eine katholische Autorin mehrerer Bücher gegen Gender, zum Beispiel „Die globale sexuelle Revolution – Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit“ oder „Gender – Eine neue Ideologie zerstört die Familie“.

Sagen Ihnen die Namen Beatrix von Storch oder Hedwig von Beverfoerde etwas?

Ich bin mir darüber im Klaren, wer diese beiden sind und dass sie einen sehr ähnlichen konservativen Ansatz verfolgen. Auch sie arbeiten gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe. In den Dokumenten zu Agenda Europe tauchen ihre Namen aber nicht auf.

Wie gefährlich ist Agenda Europe?

Ich möchte nicht überbetonen, wie gefährlich sie sind. Aber sie stehen für ein strategisch sehr gut organisiertes politisches Netzwerk, das Rückendeckung von verschiedenen hochrangigen Institutionen und Geldgebern bekommt. Wir als Gesellschaft haben in Sachen Frauen- und LGBTI-Rechten bisher viele Fortschritte gemacht und gehen davon aus, dass das so weitergeht. Jetzt, wo wir die Ziele von Agenda Europe zum ersten Mal offen vor uns sehen, ist klar, dass wir das Gefühl des Automatismus dieses Fortschritts in Frage stellen müssen.

Wie hängt das Erstarken der extremen Rechten in Europa mit Agenda Europe zusammen?

Agenda Europe profitiert vom Aufstieg sowohl der extremen Rechten als auch von populistischen Bewegungen. Jedes dieser drei Phänomene stellt etwas bereit, das die anderen beiden brauchen. Die extreme Rechte hat die Infrastruktur und profitiert gleichzeitig davon, dass die Religiösen die Agenda der extremen Rechten moralisch akzeptierbar machen. Beide wiederum surfen auf der Welle des wachsenden Populismus und der Unzufriedenheit mit den Altparteien in vielen europäischen Ländern. Sie bieten ein Narrativ an, das den Status quo in Frage stellt – und das nutzt den Populisten. So kann sich die ultrakonservative Agenda entwickeln.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Es gibt ein großes Interesse unserer Partnern in den europäischen Institutionen und Ländern, mehr über Agenda Europe zu erfahren. Dem kommen wir nach. Zudem publizieren wir weitere Berichte – nicht unbedingt zu Agenda Europe, aber ebenfalls im Bereich der Anti-Choice-AkteurInnen. Momentan sind wir dabei, uns ein paar Länder konkreter anzusehen. Eines kann ich schon sagen: Es gibt noch mehr Netzwerke.

Was können wir gegen Netzwerke wie Agenda Europe tun?

Es ist vor allem wichtig, dass wir die Öffentlichkeit über deren Existenz informieren. Wir müssen wachsam sein, denn 2019 ist Europawahl. Wir müssen also beobachten, wie das Netzwerk versucht, in die europäischen Institutionen zu gelangen und sie zu beeinflussen. Nur indem wir uns austauschen, können wir sicher stellen, dass die europäischen Institutionen auch weiterhin für die Rechte von Frauen und LGBTI eintreten.

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20 Kommentare

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  • 8G
    83421 (Profil gelöscht)

    Sollte man nicht jeden nach seiner Facon seelig werden lassen? Hatte sich in Preussen bewaehrt.

    • @83421 (Profil gelöscht):

      Das geht nur auf Gegenseitigkeit. Und gerade das wollen diese Herrschaften nicht.

    • @83421 (Profil gelöscht):

      Naja, inwieweit das aber der tatsächlichen Geschichte nahe kommt, das steht auf einem anderen Blatt. Bspw. ist es mit der Judenemanzipation wohl auch in Preußen nicht weit her gewesen.

  • 9G
    96177 (Profil gelöscht)

    Ich wundere mich immer wieder, welcher Bohai um solche klerikalfaschistischen Netzwerke gemacht wird, während die korrespondierenden realfaschistischen der Damen Springer und Mohn, die den Sozialabbau, die Privatisierung für die Gewinne aus den eigenen Umtrieben und die vollständige Aushöhlung der Demokratie zum endgültigen Heilsstaat der Superreichen im Verein mit den etablierten Parteien in rasender Geschwindigkeit vorantreiben, weiterhin kein Thema ist. Oder ist Frau Hecht der liebevoll gepflegte Karpfen im Fischteich der brainwashenden Medienkonzerne?

    • @96177 (Profil gelöscht):

      Die "Klerikalfaschisten" wollen nicht nur das Geld des Einzelnen, sondern seine Freiheit, Körper und Seele dazu.

       

      Und über die anderen schreibt die taz doch dauernd.

  • Die Kirchen plus deren Theologie haben sich in Deutschland an der Basis ziemlich liberalisiert und haben sich je nach Konfession auch (größtenteils) bis nach Oben zur freien und gleichberechtigten Gesellschaft bekannt. Und das mit einem Sprung in wenigen Jahrzehnten, nach ein paar tausend Jahren patriarchaler Tradition. Da bin ich als Christ schon mächtig stolz auf die "Kirchenväter" der Moderne.

     

    Der radikale Bodensatz bleibt aber trotzdem übrig, vorallem wegen dieser Geschichtlich gesehen (eigentlich wunderbaren) krassen Wende der Kirchen. Diese Kriese sind nur leider sehr einflussreicher Bodensatz, denn sie ködern die Leute unter anderem mit der vermeintlich "guten alten Zeit" und erklären den Menschen, dass die Gegenwart angeblich "pervertiert" sei.

    Das empfinde ich als unverschämte Entmündigung! Ein Christ muss seinen eigenen, mündigen Weg mit Gott gehen und sich eben nicht in alte Löcher verkriechen.

    Außerdem, die Gegenwart war schon seit der Antike (oder früher?) angeblich "pervertiert" und unübersichtlich für diejenigen die Angst haben einen Schritt nach vorne zu gehen. Das Interesse bei Agenda Europe liegt wohl darin, sich mit Manipulation eine Mehrheit zu verschaffen, damit sie sich wieder sicherer fühlen: Sorry Agenda Europe, ich gehöre nicht zu eurem Ensemble aus Schnullerdeckchen!

    • @Sven Svarson:

      Die katholische Kirche in Deutschland ist ein Wurmfortsatz des Vatikans, und dort ist man entschieden gegen die Selbstbestimmung der Frau in Fragen der Sexualität und Fruchtbarkeit.

       

      Hier ist übrigens die sehenswerte Arte-Doku: https://www.arte.tv/de/videos/075221-000-A/pro-life-abtreibungsgegner-auf-dem-vormarsch/

      • @kditd:

        Teile der kath. Kirche, ja. Darum sage ich ja "größtenteils".

      • @kditd:

        Und wie viele Katholiken in Deutschland verfolgen die Politik des Vatikan, geschweige denn das sie sich daran halten?

        • @Sven Günther:

          Wenn ihnen die Politik des Vatikans nicht gefällt, sollten sie vielleicht nicht millionenhaft zu Kirchentagen erscheinen oder ihre Kinder auf katholische Schulen schicken...

          • @kditd:

            Ich dachte immer die werden von Moskau gesteuert?!

    • @Sven Svarson:

      Als Christ bekenne ich mich zu dem wichtigsten Gebot der Bibel (Markus 12,29) - 1. Liebe deinen Gott mit ganzem Herzen, ganzer Hingabe und ganzem Verstand und 2. Liebe deinen nächsten wie dich selbst. Die Reihenfolge ist, was den Unterschied macht. Es geht ja auch nicht darum, den Wert der Menschen zu relativieren, sie als schlechter oder sündiger als wir alle sind, zu bezeichnen. Wenn ich mich aber auf Obiges beziehe, dann ist die Richtung eben durch z. B. 1. Mose 2, 24 (Ehe betrifft Mann und Frau) bzw. Jeremia 1,5 (Gott hat jedes Leben dazu bestimmt zu werden) vorgegeben. Auch wenn ich persönlich mit Homopärchen sympathisiere, die sich ebenfalls eine Ehe wünschen oder einer Frau, die in einer schwierigen Lage ist, weil sie ungewollt schwanger wurde, gehorche ich meinem Gott. Gerade in der heutigen Zeit ist es unpopulär für einen Weg einzustehen und andere wie den Humanismus oder die Postmoderne abzulehnen. Wer sich auf ein christliches Abendland beruft, der fängt - leider oft unbewusst - aber oben im Text bei Markus an, da dies - in der Reihenfolge - die Werte des christlichen Abendlandes sind, auf die er sich bezieht.

      • @Daniel Reynaud:

        Das ist schön, dass sie sich die Gebote zu Herzen nehmen und die Bibel versuchen zu studieren. Auch dass sie Menschen nicht abwerten wollen ist ein guter Vorsatz. Es ist auch ihre eigene Meinung, wenn sie keine Männer lieben oder ihrer Freundin anbieten (!) ihr bei einer ungewollten Schwangerschaft beizustehen. Die Beziehung zu Gott und die Religiosität ist nämlich eine persönliche Sache. Sie ist kein fixes Programm von Normen die anderen Personen übergestülpt wird. Selbst Jesus hat die ungerechten Normen seiner Zeit gebrochen. (Z.B. die Zuwendung zu Unreinen) Wenn eine Person den Weg nicht mit Jesus gehen will, dann kann man als Christ zwar von seinem Glauben bezeugen, aber keine Gesetze herbeimobben welche die Selbstbestimmung von anderen einschränkt, die dem christlichen Konzept überhaupt nicht zugestimmt haben.

         

        Auch was die Bibel zur Homosexualität sagt ist zwiespältig: Verpönt ist eine Homobeziehung, bei der der andere in eine niedere Position gerät. So wie bei einer Frau, die damals (wenige außnahmen!) kaum etwas wert war. Oder als Sexsklave gehalten wird, wie bei den verhassten Griechen. Ein Bund auf Augenhöhe zwischen Gleichgeschlechtlichen ist jedoch legitim. Z.B. zwischen Jonathan und David.

         

        So ist es mit vielen ethischen Fragen in der Bibel. Lesen Sie doch nochmal die Gegenmeinungen von professionellen Bibelexegeten. Sie glauben garnicht wie feinsinnig und kulturell geprägt mancher Bibeltext ist. Am besten lernen sie Altgriechisch und lesen die Orginale (Website der Uni Münster) mit Begleitliteratur selbst. So fix und gut belegt sind die Texte manchmal garnicht wie Sie diese hier zitieren.

      • @Daniel Reynaud:

        Und: Was wollen Sie uns mit Ihren vielen Worten in Kürze und präzise sagen?

  • Ich bin froh, daß dies aufgedeckt wird. Diese ultrakonservativen / religiösen Netzwerke bedrohen nicht nur Minderheiten oder Frauen, sondern alle Bürger, die in einer modernen, aufgeklärten, offenen, vernunftsorientierten, säkularen westlichen Gesellschaft leben und deren Vorteile genießen möchten. Ich gehe davon aus, daß das trotz AFD und Pegida immer noch die Mehrheit ist.

     

    Wir normalen Bürger müssen uns tatsächlich an den Gedanken gewöhnen, daß unsere Freiheiten nicht selbstverständlich sind und wir sie verteidigen müssen. Und zwar nicht nur gegen Islamisten und Konsorten, sondern gegen rechtskonservativ-christliche Kreise in Europa ganz genauso.

     

    Wer Christ sein möchte und mich auch so leben läßt, wie ich möchte, mit dem habe ich kein Beef! Nur man versuche bitte nicht, mittelalterliche Zustände wiederherzustellen. Das geht zu weit. Kommt jetzt nach dem Rassismus/Sexismus-Backlash der christliche Backlash? Gegen die sündhafte, gottlose moderne Gesellschaft? Hoffentlich nicht...

     

    Ich frage mich, wie weit nach oben das im Vatikan geht. Gibt es übrigens einen Link zu der erwähnten Arte-Doku?

    • @kditd:

      AfD und Pegida wird vor allem von Konfessionslosen getragen.

      • @Rudolf Fissner:

        1.) Können Sie dieses bewusst vage "vor allem" etwas eingehender beschreiben? Was genau wollen Sie damit entkräften - oder widerlegen?

         

        2.) "Pforzheimer Kreis - Christen in der AfD" ...

         

        3.) Beatrix v. Storch: Stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion plus Stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Berlin ...

         

        4.) "Vor allem Konfessionslose" heißt umgekehrt: es tragen eben sehr wohl AUCH Kirchenkonfessionelle diesen schwarzbraunen Sud mit.

         

        5.) Die Frage ist nicht: wie christlich sind AfD & Pegida, sondern: mit wem paktieren diese im Artikel genannten christlichen Ultrareaktionäre? Wenn gewisse Christen mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache machen, dann ist genau diese Sorte Christen danach zu fragen, warum sie eben das in voller Absicht tun.

    • @kditd:

      Nein wirklich, man muss die Freiheit auch verteidigen und die fällt einem nicht in den Schoß?

       

      Von welchem Baum der Erkenntnis ist denn die Weisheit.

      • @Sven Günther:

        @Sven Günther. Was finden Sie an KDITDs Ausführungen denn so lächerlich? (Oder wollten Sie vielleicht nur mal eben schnell etwas Spott über einen Nichtchristen ausgießen? Seien Sie gewiss: Derartige Reaktionen sind durchschaubar.)

      • @Sven Günther:

        Gewaltsames Mißverstehenwollen? Bin mir recht sicher, daß eine Menge Bürger in Ländern wie Deutschland, gerade die Jüngeren, diese Freiheiten tatsächlich als selbstverständlich ansehen.