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Netflix-Serie „Wednesday“Kalter Blick, klare Haltung

Im ersten Teil der zweiten Staffel wird „Wednesday“ wieder mehr zum Störfaktor – und bekommt dabei Unterstützung aus dem „Addams“-Kosmos.

Jenna Ortega in der zweiten Staffel „Wednesday“ Foto: Netflix

„Wednesday“ kehrt zurück, und es hätte schaurig-leicht schiefgehen können: Als Regisseur Tim Burton die titelgebende Goth-Ikone vor wenigen Jahren für Netflix zu neuem Leben erweckte, gelang die Balance zwischen dem Kultstoff der Neunziger und aktuellen Trends nur bedingt. Aus der Tochter der „Addams Family“ war eine an das ästhetische Vokabular von TikTok und Co. angepasste Internatsschülerin geworden.

Wednesday Addams (Jenna Ortega) fand sich nun in einer Erzählung wieder, die sich trotz ihres düsteren Potenzials als überraschend formelhaft erwies: eine Mixtur aus angesagten Subgenres – „Murder Mystery“ und der gerade beim jungen Publikum populären „Romantasy“, einer fantastisch aufgeladenen Liebesgeschichte. Konkret heißt das: Die einstige Galionsfigur jugendlicher Unangepasstheit wurde plötzlich zur Ermittlerin in einer Mordserie und verliebte sich fast in den Täter: Tyler (Hunter Doohan), ein scheinbar harmloser Barista, entpuppte sich als sogenannter „Hyde“ – ein übernatürliches Wesen von monströser Kraft.

Geblieben war der unbestechlichen Außenseiterin damit eigentlich nur ihr markig-makabrer Wortwitz, der sich nun – rund dreißig Jahre nach der ersten „Addams“-Kinoverfilmung – etwa gegen die hohle Selbstdarstellungslogik der sozialen Medien wandte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass „Wednesday“ ausgerechnet dort zum Massenphänomen wurde, Abertausende auf TikTok eine Choreografie aus der ersten Staffel nachtanzten und der ohnehin Netflix-Rekorde brechenden Serie eine zusätzliche Aufmerksamkeit verschafften.

Von der „TikTok“-Ikone zurück zur Antiheldin?

Umso mehr überrascht es, dass die neuen Folgen – erneut von Tim Burton inszeniert und Alfred Gough und ­Miles Millar geschrieben – die Titelantiheldin jetzt wieder stärker zur unbequemen Gegenfigur machen. Zwar bleibt der Schauplatz die „Nevermore Academy“, doch statt in weichgezeichnete Selbstfindungskonflikte gedrängt zu werden, darf Wednesday wieder unverhohlener Störfaktor sein.

Nachdem sie die Schule im Finale der Vorgängerstaffel gerettet hatte, wird sie dort eigentlich als Heldin vereinnahmt und soll auf einem Fest nach den Sommerferien eine mitreißende Rede halten. Vor der Kulisse eines überlebensgroßen Ehrenporträts ruft sie der versammelten Schülerschaft zu: „Der Kampf fängt gerade erst an und ich gebe erst Ruhe, wenn unsere Feinde ein für alle Mal besiegt wurden.“

Erhobene Fäuste, frenetischer Jubel, doch dann folgt der Bruch: „Und mit Feinden meine ich jeden Dummkopf, der blöd genug ist, für so eine hetzerische, oberflächliche Tirade wie diese hier zu applaudieren.“ Der vermeintliche Schulterschluss wird zur Bloßstellung kollektiver Hörigkeit.

Momente wie diese, die Wednesdays exzentrischer Antihaltung eine Funktion verleihen und sie über eine bloße Pose hinausheben, gibt es in der Fortsetzung häufiger – und so tritt sie in den vier einstündigen Episoden vernehmbarer als das auf, was sie im besten Sinne immer war: eine Figur, deren schroffe Eigenständigkeit sich gegen unhinterfragte Konformität richtet und damit zum popkulturellen Korrektiv wird, das die Gefahr einer gedankenlosen Masse sichtbar macht.

Die Ordnung im Verdacht

Zwar widmet sich auch der erste Teil der zweiten Staffel durchaus typischen Highschool-Dramen, diesmal aber verlagern sie sich vor allem auf Nebenfiguren wie Wednesdays kontaktfreudigere Mitbewohnerin Enid (Emma Myers). Wednesday hingegen agiert eigenständiger, wird wieder zur Ermittlerin – die Mordserie geht schließlich weiter –, doch deutet sich dieses Mal eine tiefgründigere Erzählung um eine größere Verschwörung an, die gesellschaftliche Abweichung zur kontrollierbaren Ressource machen soll.

Umso passender ist es, dass die gesamte Addams-Verwandtschaft nun mehr erzählerisches Gewicht erhält: Sowohl die Eltern Morticia (Catherine Zeta-Jones) und Gomez (Luis Guzmán) als auch Bruder Pugsley (Isaac Ordonez) sind aktiver Teil des Geschehens. Dadurch treten familiäre Reibungen in Erscheinung, aber auch jener liebevoll-zersetzende Familiensinn, der der Logik der Anpassung eine schräge, archaische Ordnung entgegensetzt – und „Wednesday“ einen grotesken Charme verleiht, der zuvor nur angedeutet blieb.



Gerade darin zeigt sich, dass die Serie bei aller Überzeichnung doch verstanden hat, worin der Reiz der „Addams“-Welt eigentlich besteht: nicht im Willen, besonders zu sein, sondern darin, gegen die Zumutungen des Normalen zu rebellieren – mit einer Haltung, die aus dem Wissen erwächst, dass Anderssein kein Makel ist, sondern eine Form von echter, nicht glättender Verbundenheit. Zumindest in dieser Familie.

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