Netflix-Serie „Bridgerton“: Dramen ohne Tote
Die neue Netflix-Serie „Bridgerton“ handelt von der britischen Upperclass im 19. Jahrhundert. Zum Glück nimmt sie sich viele historische Freiheiten.
Nach zwei Folgen ist noch immer keiner gestorben: Kein Flugzeugabsturz, kein heimtückischer Mord und auch keine Naturkatastrophe ist in Sicht. Stattdessen sehen wir in „Bridgerton“, wie Frauen sich in Korsetts schnüren lassen, Männer sich mit ihren Affären vergnügen und die britische Upperclass auf pompösen Bällen feiert. Ungewöhnlich für eine Shondaland-Produktion. Denn die Serienmacherin Shonda Rhimes („Grey’s Anatomy“, „Scandal“, „How To Get Away With Murder“) ist bekannt für Dramaserien, in denen sie ihre Protagonist:innen von der einen Katastrophe in die nächste führt – ohne Rücksicht auf Verluste.
„Bridgerton“ ist die erste fiktionale Shondaland-Produktion für Netflix: Im Jahr 2017 hatte Rhimes einen 150-Millionen-Dollar-Deal mit dem Streaminganbieter geschlossen, um künftig exklusiv für ihn zu produzieren. Was für den US-amerikanischen Sender ABC ein herber Verlust ist, freut internationale Serienlieberhaber:innen, die nun nicht mehr Monate warten müssen, bis Rhimes’ Serien auch in ihrem Land verfügbar sind. Obwohl Rhimes nur als Produzentin an „Bridgerton“ mitgearbeitet hat (Chris van Dusen, der auch schon an „Grey’s Anatomy“ und „Scandal“ mitgewirkt hat, ist der Serienschöpfer), ist ihre Handschrift eindeutig zu erkennen. Denn auch ohne Todesfälle bleiben die Dramen nicht aus.
Im Fokus der achtteiligen Serie steht die Teenagerin Daphne (Phoebe Dynevor), älteste Tochter der Bridgerton-Familie, die auf der Suche nach einem Ehemann ist. Was sich zunächst als gar nicht so einfach herausstellt. Von der Königin als großer Fang der Saison erklärt, schreitet Daphne im perlenbestickten Haute-Couture-Kleid an der Seite ihres Bruders durch den Ballsaal – dem halb-offiziellen Heiratsmarkt. Mit Aussagen, wie „Er ist hinter deiner Mitgift her, nicht dir“, „Er ist nur Zweitgeborener“ oder „Ein Poet kommt nicht infrage“, bügelt ihr Bruder jedoch einen potenziellen Verehrer nach dem anderen ab.
Die Geschichte basiert auf der gleichnamigen Bestseller-Romanreihe von Julia Quinn und ist 1813 in London angesiedelt. In der Zeit der britischen Regency noch vor dem viktorianischen Zeitalter. Dementsprechend erwarten duellierende Männer, Ausflüge mit der Kutsche und Liebesszenen bei Kerzenschein die Zuschauer:innen. Eine historische Abhandlung ist die Serie jedoch in keinem Fall, lediglich für Königin Charlotte (Golda Rosheuvel) und ihren Ehemann King George III gibt es eine reale Vorlage – alle anderen Figuren sind frei erfunden.
„Bridgerton“, ab dem 25. Dezember 2020 auf Netflix
Billie Eilishs Song beim Ball
Nicht nur bei ihren Protagonist:innen, auch in Fragen der Ästhetik, der Geschichte und der Besetzung bricht die Serie immer wieder mit der Realität und wird mit modernen Elementen ausgeschmückt. So spielt das Streichorchester bei einem Ball Billie Eilishs Song „Bad Guy“ im Hintergrund, die Königin wird von einer Woman of Color gespielt– und Daphnes jüngere Schwester ist derartig frech und feministisch, wie es in einer aristokratischen Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts vermutlich nur in seltensten Fällen vorgekommen ist.
Dass die Serie nicht historisch akkurat arbeitet, tut dem Storytelling gut und es schwingt, wie man es von Rhimes kennt, immer wieder eine politische Botschaft mit. So zeigt sich etwa, wenn es um Fragen von Mutterschaft und heteronormative Liebesbeziehungen geht, dass sich das 19. Jahrhundert manchmal gar nicht so stark vom 21. unterscheidet.
Wenig neue Narrative, aber Opulenz
Daphne selbst findet in dem Duke of Hastings (Regé-Jean Page) recht schnell ihren künftigen Ehemann. Doch ist der Partner erst einmal gefunden, bedeutet das noch lange nicht das Ende aller Probleme. Dafür sorgen schon ihre weiblichen Konkurrentinnen auf dem Heiratsmarkt, die Königin oder die gefürchtete wie geliebte Lady Whistledown. Mit ihren Tratsch-und-Klatschmagazinen mischt sie regelmäßig die Aristokratenwelt auf; ohne dass irgendjemand weiß, wer sich hinter ihrem Pseudonym versteckt. Gossip-Girl-Fans dürfte das bekannt vorkommen. Auch unabhängig davon bietet „Bridgerton“ nicht viele neue Narrative. Dranbleiben lohnt sich trotzdem, und sei es nur wegen der aufwendigen Kostüme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“