piwik no script img

Netflix-Serie „Arcane“Wütende Frauen und unendlich viele Plots

Die zweite Staffel der animierten Netflix-Serie „Arcane“ glänzt mit Vielfalt an Charakteren und großartigem Soundtrack. Die Fülle zwingt aber zur Eile.

Die Protagonistin Vi aus „Arcane“ Foto: Netflix

Explosionen schockieren die Menschen in der fiktiven Stadt Piltover. Sie flüchten, Kinder weinen, Militärs setzen sich überfordert auf Treppen und erstarren. Das passiert, wenn im Steampunk-Szenario die Unterstadt Zhaun in den Krieg zieht. Wenn die Protagonistin Jinx und ihre Gefolgschaft entscheiden: Sie wollen den ganzen Haufen Mist, der sie seit Generationen unterjocht, brennen sehen. Zhaun will seine Unabhängigkeit. „Arcane“ ist eine Geschichte über Klassenkampf, über gewaltsamen und gewaltfreien Widerstand, aber es ist noch viel mehr. „Arcane“ ist im besten Sinne: voll.

Das war es auch schon in der ersten Staffel, die 2021 erschien und diverse Preise abräumte, unter anderem ganze neun Annie Awards, die höchste Auszeichnung in der Animationsbranche. Der Erfolg sowohl bei Ex­per­t*in­nen als auch bei Zu­schaue­r*in­nen liegt nicht nur an der überragenden, an Steampunk angelehnten Optik, die klar das Game-Studio Riot Games als Produzentin erkennen lässt. Auch nicht nur daran, dass die Serie eine Auskopplung aus dem Universum des Games „League of Legends“ ist und damit eben viele Game­r*in­nen anzieht. Der Erfolg liegt vor allem an der Handlung.

Die Waisen Vi und Jinx werden von einem Barbesitzer und Community-Anführer in der Unterstadt Zhaun aufgezogen. Die große Schwester begibt sich mit einer Bande anderer benachteiligter Jugendlicher auf eher harmlose Raubzüge, die kleine Jinx kommt mit – und vermasselt es.

Sie stiehlt in der Oberstadt eine wichtige, umstrittene neue Energiequelle und löst dabei versehentlich eine Explosion aus. Und schon marschieren wieder Militärs in die Unterstadt ein. Es folgen: großartig animierte Gewalt, Machtspiele und Radikalisierungen. Für Jinx, das tollpatschige Explosionsgenie, steht am Ende der Verlust des Ziehvaters und der Absturz in den Wahnsinn. Für Vi, die mit Gewalt kompensiert, zu welcher emotionalen Arbeit sie in Familie und Gesellschaft verdammt ist, auch den Verlust der kleinen Schwester an ihre psychische Krankheit. Grob gesagt.

Ein Schaubild über alle Handlungsstränge wäre hilfreich

Denn die Zahl der ausgearbeiteten, tragenden Charaktere und Handlungsstränge ist so hoch, dass ein Schaubild fast nötig, sicherlich aber sinnvoll wäre. In zwei Folgen passiert hier so viel wie in einer ganzen Staffel „Game of Thrones“. Und genauso geht es dann auch in der zweiten Staffel weiter.

In der Oberstadt herrscht der Terror von Jinx, die – wenn sie nicht gerade umgeben von Leichen Ratssitzungen halluziniert – Dinge sprengt. Die Regierung der Oberstadt wird zu großen Teilen ermordet und neue Mächte streben in dieses Vakuum. Auch Vi ist auf die schiefe Bahn geraten: Sie arbeitet nämlich jetzt in der Schutztruppe der Oberstadt, angeführt von ihrer Partnerin.

Die möchte aus Rache in die Unterstadt eindringen. Parallel dazu entsteht in der Oberstadt eine neue Lebensform. Und oh: Irgendwo in den Tiefen der Unterstadt, in deren Belüftungssystem tödliche Gase auf ihre Freilassung lauern, wird an einem Monster gearbeitet.

Diese Fülle ist eine außergewöhnliche Kraft. Aber sie zwingt die Serie zur Eile, raubt ihr und dem Publikum Zeit mit den Charakteren. Dafür gibt es einen großartigen Soundtrack, der nicht nur auf Rap zurückfällt, sondern auch mit großartig dreckigem, um sich schlagendem, weiblichem Metal überzeugt. Der unterstreicht noch mal mehr, wer hier die Handlung, die Entwicklung der Welt vorantreibt: ­wütende Frauen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!