Neonazi-Aufmarsch in Marzahn: Wieder mal Arbeit für die Antifa
In Marzahn versammelten sich 1.500 Antifaschist*innen zu einer Demo. Neonazis hatten zuvor zu einem Aufmarsch aufgerufen.
Die hohe Teilnehmer*innenzahl war ein klares Zeichen der Mobilisierung, besonders wegen eines angekündigten Aufmarschs von Neonazis. Deren Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ sowie die neu gegründeten jugendlichen Neonazi-Gruppen „Jung und Stark“ und „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) hatten unter dem Motto „Gegen Linkspropaganda und Lügen der Antifa“ zu einer Gegendemo aufgerufen. Bei der Antifa-Auftaktkundgebung am S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße trennten nur einige hundert Meter die beiden Gruppen voneinander.
„Wir stellen uns gegen Antifeminismus, Queerfeindlichkeit und Faschisten, die sich hier immer mehr Räume nehmen!“, rief eine Aktivistin zu Beginn der Antifa-Demo. In Redebeiträgen wurden die steigenden Angriffe auf queere Menschen thematisiert sowie Femizide und die Forderung nach der Legalisierung von Abtreibungen. Schilder der „Omas gegen Rechts“, Transgender-Flaggen, Banner der „Letzten Generation“ und Plakate für ein AfD-Verbot prägten das Bild. Gegen 17 Uhr setzte sich der Demozug in Bewegung und zog die Raoul-Wallenberg-Straße hinunter durch die Plattenbausiedlungen.
Abgeschirmt von der Polizei, marschierten dahinter Neonazis mit Deutschland- und Reichskriegsflaggen, in 90er-Jahre-Skinhead-Optik mit Springerstiefeln, Glatzen und Lonsdale-Shirts. Einige trugen T-Shirts vom Dritten Weg. Statt der angemeldeten 400 Personen, waren es nur rund 100, die hinter einem „Stoppt den linken Terror!“-Banner durch Marzahn zogen und Parolen skandierten wie „Ost, Ost, Ostdeutschland!“ oder „Bambule, Randale, Rechtsradikale!“. Immer wieder zeigten die auffällig jungen Teilnehmer*innen das als Hasssymbol eingestufte sogenannte „White Power“-Zeichen, bei dem Daumen und Zeigefinger einen Kreis formen, während die anderen Finger abgespreizt sind.
Nicht alle Anwohner*innen befürworten die Antifa-Demo
Während die Antifas durch die Blocks zogen und „Nazischweine, raus aus den Kiezen!“ riefen, jubelten ihnen einige Anwohner*innen von den Balkonen zu. Ein Banner mit „Gegen Nazis!“ wurde von einem Balkon ausgerollt. Ein kurdischer Mann, der mitlief, berichtete der taz, er sei häufig Opfer rassistischer Anfeindungen und wünsche sich mehr solcher Demos im Kiez. Das galt nicht für alle Anwohner*innen: Andere schwenkten von ihren Balkonen aus Deutschlandflaggen, die in vielen Fenstern hängen, grölten „A, Eff, De!“ und zeigten den Hitlergruß, auf der Straße wie auch auf den Balkonen.
Die Wahl des Randbezirks für die Demo ist nicht zufällig. Bei der Europawahl im Juni hat die AfD in Marzahn-Hellersdorf mit 25,3 Prozent ihr bestes Ergebnis in Berlin erzielt. Zudem ist der Bezirk ein Zentrum für den Dritten Weg, mehrere Mitglieder*innen neuer neonazistischer Jugendgruppen leben hier. Die queere Community sieht sich immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Mehrere der Neonazis, die die diesjährigen Aufmärsche gegen CSDs „federführend mitinitiiert haben“, kämen aus Marzahn, berichten Initiator*innen der Antifa-Demo der taz.
In Berlin ist es der erste Neonazi-Aufmarsch seit vier Jahren. Den zuvor letzten gab es vom Dritten Weg am 3. Oktober 2020 in Hohenschönhausen. Zum Aufmarsch reisten am Samstag auch Neonazis aus Brandenburg und Sachsen an. Die Verbindungen zwischen diesen Gruppen beruhen nach Antifa-Angaben häufig auf losen Bekanntschaften, die in den sozialen Medien jedoch als rechte Bruderschaft inszeniert würden.
Demo bleibt nicht gewaltfrei
Nach Sonnenuntergang wird durch Lautsprecher-Ansagen angekündigt, dass sich Teilnehmer*innen der rechten Demo in Kleingruppen aufgeteilt haben und durch Marzahn streiften. In den vergangenen Wochen kam es mehrfach zu neonazistisch motivierten Raubüberfällen auf Antifaschist*innen. Daher riefen die Organisator*innen die Demoteilnehmer*innen dazu auf, vom S-Bahnhof Mehrower Straße, gemeinsam zurück in die Innenstadt zu fahren. Bei der jüngsten Antifa-Demo im Bezirk im Juli waren Antifaschist*innen bei der Anreise am Ostkreuz von Neonazis angegriffen worden.
Auch am Samstag blieb die Demo nicht gewaltfrei. Am S-Bahnhof Mehrower Allee soll es laut Polizei zu einem Angriff von einer 10-köpfigen vermummten Personenruppe auf zwei Teilnehmer der Neonazi-Demo gekommen seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?