Neid-Debatte: Beim Mümmeln der Mandarine
Wer ist schon wirklich reich? Was fehlt uns eigentlich? Zur Zeit der Besinnung, zur Zeit für Mitgefühl, zur Weihnachtszeit also eine kleine, gepflegte Meditation über den Neid.
Es scheint, als hätten wir wieder ein Jahr überlebt, auch wenn unsere Vitalfunktionen eine andere Sprache sprechen. Im Bett lümmeln wir, mümmeln Migros Clementinen, der Rücken schmerzt vom vielen Lümmeln, ein Masseur müsste her, doch wir haben es wieder nicht geschafft. Wir sind auch dies Jahr nicht reich geworden. Nicht durch Arbeit, nicht durch Erbschaft. Wir haben versagt. Und wenn wir noch eines Gefühles fähig wären, so könnte es Hass sein, auf all die Reichen, die das Leben leben, das uns zustünde. Doch halten wir ein, Hass versäuert die Magenflora, es ist die Zeit der Besinnung, Zeit für Mitgefühl. Randgruppen umarmen zum Jahresende. Zeit, an die Reichen zu denken. Die keiner mag, denn Reiche sind nicht beliebt. Zu Unrecht. Denn es sind Menschen. Sie haben Gefühle. Irgendwie. Aber wer ist eigentlich reich?
Haben Sie schon einmal Leute gesehen, die gar nichts hatten? Die liegen nackt an der Straße, in verschiedensten heißen Ländern, wie Müll liegen sie da und warten auf den Tod, denn dann bekommen sie wenigstens einmal etwas geschenkt: ihren Abtransport in eine öffentliche Grube.
Fast jeder Tourist, der sich freiwillig nach Kambodscha, Haiti oder in die Ukraine begibt, ist wohlhabender als 80 Prozent der Einheimischen. Selbst wenn ein Schweizer Sozialhilfeempfänger, aus welchem Grund er auch immer, eine Reise in die Slums von Dhaka machen sollte, wird sich reich fühlen müssen. Wird es richtig begreifen, wenn er das Land wieder verlassen darf, verfolgt von tausend Augen, die ihn beobachten, am Flughafen. Die Augen in Leuten, die ihn beneiden, um den Weg in die Freiheit, in ein Land unermesslichen Reichtums, das ihnen verwehrt bleiben wird, weil ein Ticket mehr kostet, als sie haben werden in ihrem ganzen Leben, selbst wenn das noch so lang ist. Doch wenn er dann zurückgekehrt ist, in sein Land, der Sozialhilfeempfänger, wird er wieder nichts sein, arm sein und nach oben schauen zu den anderen.
Für ihn bin vermutlich sogar ich reich, denn ich kann es mir leisten, in einem der teuersten Länder der Welt, der Schweiz, zu leben, wo wiederum ich einer der Ärmeren bin, denn es langt mir nicht für ein Chalet in St. Moritz, eine Villa am Zürich See. Selbst der Unterhalt eines Rolls-Royce ist für mich kaum drin.
Reichtum ist relativ. Man fühlt sich reich oder mag sicher sein, das es immer einen geben wird, der reicher ist als man selber, und kann verzweifeln daran. Kann sich denken, dass das Leben vertan ist, ob all der Sachen, die man nie besitzen wird, kann aus der Verzweiflung Neid werden lassen, auf all jene, die über einem selbst zu stehen scheinen, in der Sonne.
Neid ist relativ. Es gibt den kleinen, gepflegten, goldfarbenen Neid eines Herrn Rothschild auf einen Herrn Gates, ein Neidchen, kann man sagen, und es gibt den zerfressenden Neid dessen, der im Straßengraben vor einer Villa schlafen möchte, nicht schlafen darf, weil er das Auge beleidigt. Wird er die Villa sehen und neidisch sein in einer Form, die dem Hass sehr nahe kommt, weil er keine Rechte hat, keine Chancen. Und dann gibt es noch den General-Neid, den viele Menschen in sich tragen, die sich vom Leben betrogen fühlen, die die irrige Idee haben, etwas Großes stünde ihnen zu, einfach, weil sie sind. Der General-Neider hasst Reiche. Aus Prinzip. Die Reichen, die über Leichen gehen, Geizkrägen, die Menschen ausbeuten, Mistkerle, die mit ihren Ferrari-Abgasen die Luft verpesten, blöde Schlunzen, die Pelztierchen totmachen.
Geld macht nicht glücklich, zischelt der Neidische und hat Unrecht. Der Versuch, eine Definition von Glück zu finden, ließ Wissenschaftler auf eine Formel kommen, die Glück sehr fördert: Wohlstand, Bildung, soziale Kontakte und Naturverbundenheit.
Machen wir uns also nichts vor, Reiche sind glücklich. So wie einer eben glücklich sein kann, der um sein Ende weiß. Hat der Reiche sich sein Geld erarbeitet, dann hat er viel gearbeitet, und viel arbeiten macht glücklich.
Ein prima Beispiel für den Mann, der aus dem Nichts kam, ist Deutschlands Ex-Geld-Guru Bodo Schäfer. Er ist reich, und er ist es geworden, weil das immer sein Ziel war. Was wollen Sie werden, mein Junge? Reich. Alles klar. Das hat er gemacht. Vom Versicherungsvertreter zum Millionär. Er hat einen Bestseller darüber geschrieben und ist noch reicher geworden, er hat 20 Stunden täglich gearbeitet und gespart, und heute hat er einen Rolls-Royce, ein Anwesen in der Sonne und vermutlich müsste er nichts mehr machen. Wenn das so leicht ginge.
Denn der sich seinen Reichtum erarbeitet, weiß, wie mühsam das ist, und immer wird er in Sorge leben, dass der Reichtum einfach wieder verschwinden könnte, wie ein geliehener Pelzmantel. Bodo ist zufrieden mit sich, er ist geworden, was er immer wollte, und er tut keinem weh damit. Warum sollten wir ihn hassen?
Es gibt nichts zu hassen an denen, deren Ziel es ist, mit ihrer Arbeit reich zu werden, denn sie denken, sie erbauen, sie kreieren und sie tun es für sich, tun es, weil es sie befriedigt. Meist glauben sie an etwas, haben eine Leidenschaft, und dass sie damit viel Geld verdienen, ist nur richtig. Denn neben den Arbeitsplätzen, die sie schaffen, heißt das, was sie 22 Stunden täglich tun, den Kapitalismus zu fördern, ihn zu beschleunigen, damit er schneller explodiert, und das ist nur zu bejubeln.
Die reich sind, ohne zu arbeiten, haben geerbt. Das ist auch nichts Schlechtes. Gunilla von Bismarck war immer reich, sie kennt es nicht anders. Als sie jung war, feierten alle jungen Reichen Partys, das hat sie auch getan und ist wie unbemerkt in die Jahre gekommen. Als ich sie in Marbella traf, war sie eine Figur, die Gunilla von Bismarck darstellt. Dauerlachen unter einem platinblonden Haardeckel, gehüllt in eine teure Tischdecke. Tags darauf trug sie einen Trainingsanzug und war eine kultivierte freundliche Dame, die mit mehreren Tieren auf einem Anwesen saß und bedauerte, das sie in ihrer Jugend nichts gelernt hatte, nichts getan, außer Partys zu feiern. Jetzt ist es zu spät, sich etwas Neues einfallen zu lassen, sagte sie ein wenig traurig beim Abschied. Nicht zum Hassen, die Gunilla.
Nicht zum Hassen ihre Freunde, die des Nachts in Marbella auf den Tischen tanzen. Tut keinem weh, denn sie ziehen die Schuhe aus dabei. Und wollen doch nur einen Sinn finden, in ihrem Leben, wie wir alle. Nichts Böses, der reiche Erbe. Die Erbinnen tragen die stoffgewordenen Naturkatastrophen von Escada und Versace und das ist gut, denn irgendjemand muss das tun. Sie langweilen sich und deshalb werden sie wohltätig, das ist mehr an andere gedacht, als es sich einer je leisten kann, der um seine Miete besorgt sein muss.
Der Männer-Erbe spielt Polo, das stört keinen, weil es ein leiser Sport ist, er lässt gutaussehende Häuser errichten, die dem Auge schmeicheln, er hat selten ansteckende Krankheiten, weil er sich sehr gute Ärzte leisten kann.
Wer ist noch reich, wen könnten wir verachten und weswegen? Manager wie der zurzeit bekannte Kamerad Ackermann werden vom Universum gestraft, denn meist, und ich scheue mich nicht, diese Wahrheit wieder und wieder zu propagieren, weil sie der Nachsicht mit Randgruppen dient, verlieren sie wegen der Daueranspannung die Kontrolle über ihre Schließmuskeln und müssen Windeln in ihren maßgeschneiderten Anzügen tragen. Tief in ihren Robotereingeweiden wissen selbst Topmanager, die im täglichen Leben agieren, als seien sie unsterblich, die sich nicht scheuen, im Sinne ihrer Aktionäre der Welt zu schaden, wo es irgend geht, dass sie ein kurzes Leben haben. Ein Schlaganfall wird sie dahinraffen, vor dem Erreichen des normalen Rentenalters. Seien wir lieb zu ihnen. Sind sie versöhnt? Mit ihrem Schicksal, dem Rückenweh, dem Winter und dem Abhandensein eines Masseurs? Oder braucht es noch ein wenig, damit sie ihren Frieden mit den Reichen machen?
Dann stellen wir uns ein kleines Land vor. Es wäre von Bergen umgeben, von hellem Himmel bedeckt, Seen lägen und kleine Bäche mit Goldfischen darin. Es hätte keinen Namen, das Land, aber seine Währung wäre der schöne, bunte Schweizer Franken. Stellen wir uns weiter vor, in diesem Land lebten nur reiche Menschen. Es wäre sauber, das Land. Straßenreiniger verdienten 6.000 Franken, eine bisschen mehr als Gepäcksortierer am Flugplatz, ein bisschen weniger als ein Schaffner im Zug wäre das, aber doch so viel, dass jeder seiner Arbeit gerne nachginge.
Nachdem einige der Einwohner des Landes ein kleines bisschen gearbeitet hätten, andere durch Läden geschlendert wären, um die Wirtschaft anzukurbeln, träfen sie sich in schönen Cafés und Restaurants oder beim Schwimmen im fleischwarmen Wasser. Sie würden miteinander reden, die Menschen, weil sie kaum Arg hätten. Reichtum entspannt, er verringert die Angst, und wer sich keine Gedanken darüber machen muss, wie er den nächsten Tag überlebt, hat viel Kraft für vernünftige Dinge. Sie füttern Tiere, bilden sich die Menschen des kleinen Landes, und legen hübsche Gärten an.
Fremden begegnen sie höflich und leise, denn sie sind gut erzogen und haben keine Furcht vor allem, was fremd ist, denn sie sind ruhig und wissen, dass kaum etwas sie bedrohen kann. Darum schlagen sie keine Ausländer zusammen, denn sie sind gut ausgebildet und wissen, dass jeder Mensch gleich ist. Solange er Geld hat. Die Menschen des kleinen Landes riechen nicht unangenehm, weil sie sich sauber halten. Sie bauen ab und an, wenn es ihnen langweilig ist, ein paar Museen, und verschenken Kunstsammlungen. Sie lieben Kunst und Künstler, weil sie wissen, dass Kunst das Einzige ist, das den Menschen vom Tier unterscheidet.
Wenn sie verreisen, so fahren sie an feine Orte, denn sie verachten Tourismus als den vierten Weltkrieg unserer Zeit. Von dem, was sie zu viel haben, geben sie ab, weil sie wissen, dass Wohlstand nur Spaß macht, wenn man teilen kann. Abends fliegen sie eine Runde über ihren hübschen Häusern, winken und lachen. So wäre das in dem kleinen Land, wo der Reichtum lebt.
Doch auch bei Ihnen zu Hause gibt es keinen Grund, die Reichen zu verachten. Wenn Sie in Europa wohnen, eine Arbeit haben und nicht gar zu viele, die sie versorgen müssen, können Sie sich selber alles leisten, was Reiche glücklich macht: freundlich zu anderen sein, nicht nur an sich selber denken, an hübsche Plätze verreisen und fein essen gehen. Die Welt wäre eine bessere, wenn alle Menschen reich wären. Keinen Grund gäbe es mehr für Hass und Missgunst, für Überfälle und Kriege.
Ich fordere an dieser Stelle, das jeder auf der Welt so viel Geld hat, dass er sich leisten kann, was er will, und er wird feststellen, mit der Zeit, dass es gar nicht so viel ist. So, nun lassen Sie sich wieder in Ihr Bett gleiten, wie ein nasser Luchs, mümmeln Sie Mandarinen und freuen Sie sich auf das neue Jahr.
Wer weiß, was es Ihnen bringt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind