Nebenwirkung von Medikamenten: Wenn die Lust nachlässt

Eine Expertin warnt: Jede vierte Sexualstörung geht auf Arzneimittel zurück. Vor allem Psychopharmaka können großen Einfluss auf das Sexualleben haben.

Ein Mann liegt bauchlinks auf einem Sofa

Mangelnde Libido: Es können auch die Medikamente sein Foto: Lutz Wallroth/imago

Der Sex steckt in der Krise. Fast jede dritte Frau berichtet von Lustlosigkeit, etwa jede vierte kommt kaum oder gar nicht zum Orgasmus, bei den Männern leidet jeder dritte Ü60er unter Erektionsschwäche. Als Ursache dieser Sexstörungen werden Hormone, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht zuletzt die Psyche diskutiert. Dabei spielt der tägliche Arzneimittelkonsum eine mindestens genauso große Rolle.

Experten schätzen, dass rund 25 Prozent aller Sexualstörungen auf Medikamente zurückgehen. Besonders auffällig seien in dieser Hinsicht, wie die Schweizer Toxikologin und Pharmakologin Antje Heck berichtet, die Psychopharmaka. „Aber auch Medikamente, die bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden, spielen eine große Rolle.“

Unter den Psychopharmaka haben vor allem die Antidepressiva aus der Gruppe der sogenannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibito­ren einen großen Einfluss auf das Sexualleben. Sie führen bei 60 bis 70 Prozent der Patienten und Patientinnen zu sexuellen Funktionsstörungen. „Ich kann mich da noch an die Mail einer depressiven Patientin erinnern, die sich bei mir bedankt hat“, berichtet Heck, die als Oberärztin an der Psychiatrischen Klinik in Königsfelden arbeitet. „Es würde ihr wieder richtig gut gehen und ihre Stimmung sei viel stabiler geworden. Doch ihr Mann, der sei nun leider total traurig. Und der Grund war, dass seine Frau keine Lust mehr auf Sex hatte.“

Glücklicherweise fand Heck jedoch eine Lösung für das Problem. Die Frau wurde auf ein Antidepressivum mit dem Wirkstoff Bupropion umgestellt, der den Serotoninhaushalt unbehelligt lässt und dadurch nicht als Lustkiller wirkt. „Es kämen aber auch andere Wirkstoffe in Frage, die sogar sexuell anregend wirken können“, betont Heck. Man müsse da allerdings wieder aufpassen, weil sie beispielsweise zu einem Priapismus, also einer Dauererektion beim Mann führen könnten.

Neben Antidepressiva können auch Antipsychotika, die beispielsweise bei Schizophrenien und Wahnvorstellungen eingesetzt werden, zu Sexualstörungen führen. Und auch hier hat Toxikologin Heck ein Fallbeispiel parat. Nämlich einen jungen Mann, der mit Anfang 20 eine Psychose entwickelte: „Er musste die Ausbildung abbrechen, ist zu Hause rausgeflogen, sein Leben ging also regelrecht bergab.“ Dann kam er in stationäre Behandlung, wo er mit einem Antipsychotikum behandelt wurde. Es ging ihm zunächst deutlich besser, doch das Mittel führte zu einem Anstieg des Prolaktinwerts, was man sonst eher von stillenden Frauen kennt. In der Folge bekam der junge Mann Libido- und Erektionsprobleme. Nur dass er der behandelnden Psychiaterin nichts davon sagte und stattdessen das Medikament eigenmächtig absetzte, was wiederum seine psychotischen Zustände förderte.

Medikament ändern

Die Folge war: Jobverlust, abermalige Einweisung in eine Klinik. „Aber dort stellte ich ihn dann um auf ein prolaktin-neutrales Antipsychotikum, sodass Libido und Erektion nicht mehr beeinträchtigt wurden“, so Heck. Rund sechs Wochen später ging es ihm dann auch deutlich besser. Seine Libido war zwar noch etwas schwächer, aber die Erektionsprobleme waren weg.

Unter den Schmerzmitteln wirken sich vor allem die Opioide auf das Sexualleben aus. Sie führen sehr oft zu Libidoverlust, und bei Männern zu 60 bis 70 Prozent zu Erektions- und Ejakulationsproblemen. Hier auf ein anderes Medikament auszuweichen, ist schwierig. Dazu sind die Opioide für die Behandlung von sehr starken Schmerzen, wie etwa bei Krebs und Rheuma, einfach zu wichtig.

Da gelte es dann abzuwägen, betont Heck, wie weit die Schmerzhemmung die sonstige Lebensqualität beeinträchtigen dürfe. „Vom Zudröhnen der Patienten ist man eigentlich weg“, so die Toxikologin, die auch in der Schmerztherapie arbeitet. „Der moderne Schmerzpatient ist heute jemand, der sagt: die Lebensqualität, also auch die Qualität des Sexlebens ist wichtig, und ich habe lieber einen Restschmerz und bin rundum aktiv, als auf diese Qualität zu verzichten.“

Eine Sexualstörung liegt vor, wenn die körperlichen Sexualfunktionen und/oder das sexuelle Erleben sowie die daraus resultierende individuelle Befriedigung gestört sind.

Entscheidend für den Begriff der Sexualstörungen ist aber auch der Leidensdruck der Betroffenen. Wenn etwa in einer Ehe oder Zweierbeziehung beide keine Lust mehr an Sex haben und damit einverstanden sind, bedarf es keiner Therapie.

Die häufigsten Sexualstörungen sind mangelndes Interesse an Sex sowie bei Männern die Potenzschwäche und bei Frauen die Orgasmus­schwierig­keiten und Schmerzen beim Geschlechts­verkehr.

Und darauf aufbauend werde dann die Dosis der Opioide reduziert. Mit dem Wissen, dass dann zwar noch Schmerzen da sind, aber man eben noch am Leben, also auch am Sexleben teilhaben kann.

Unter den nicht psychotropen Arzneimitteln fallen vor allem die Blutdrucksenker als Ursache von Sexualstörungen auf. Wobei man schon genau hinschauen muss. „Wenn ich etwa den typischen Ü60-Patienten mit Erektionsproblemen vor mir habe“, betont Heck, „kann es natürlich auch sein, dass seine Herz-Kreislauf-Erkrankung selbst, und nicht das dagegen eingesetzte Medikament dafür verantwortlich ist.“ Nicht selten sei die Erektionsstörung nämlich nur ein Frühwarnsymp­tom für Gefäßschäden und auch Herzinfarkt.

Womit man bei den Beta-Blockern ist, den Standardmedikamenten zur Behandlung von Bluthochdruck und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie führen bei den männlichen Patienten oft dazu, dass die zwar noch wollen, also die Libido noch da ist, aber sie eben nicht mehr können, weil die Erektion gestört ist. Aber es gibt mittlerweile auch Beta-Blocker mit dem Wirkstoff Nebivolol, die für eine erhöhte NO-Freisetzung und dadurch für eine bessere Durchblutung im kleinen Becken sorgen. „Und man hat noch die Möglichkeit, den Bluthochdruck nicht mit Beta-Blockern, sondern etwa mit einem AT2-Antagonisten zu behandeln oder Viagra und Co zu addieren“, so Heck.

Ein Sexualproblem der besonderen Note können Parkinsonmedikamente mit sich bringen. Denn einige davon bewirken gewissermaßen genau das Umgekehrte, von dem, was bisher beschrieben wurde. Denn der Parkinsonpatient hat in einem bestimmten Bereich des Gehirns – der Substantia nigra – einen Mangel des Botenstoffs Dopamin, der auch eine wichtige Rolle für den sexuellen Antrieb spielt.

Wenn man ihm nun – wie in der Parkinsontherapie üblich – ein dopaminerges Mittel gibt, das zudem noch als Antagonist zum sexuell dämpfenden Prolaktin wirkt, kommt es schnell zur sexuellen Hyperaktivität.

„Aber“, so beruhigt Heck, „das ist nur vorübergehend“. Denn im Laufe der Jahre ginge – trotz der Medikamente – nicht nur der Dopaminwert, sondern auch der Testosteronpegel nach unten. „Und dann“, so Heck, „erledigt sich das Problem mit der Hypersexualität von allein.“

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