Nazipoesie in Österreich: Rattengedicht schlägt Wellen
Christian Schilcher veröffentlichte an Hitlers Geburtstag Verse mit Nazi-Sprech. Nun tritt der Vizebürgermeister des österreichischen Braunau zurück.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der in jüngster Zeit besonders um Abgrenzung vom Gedankengut seines Koalitionspartners bemüht ist, bezeichnete die Postille am Ostermontag mit den Worten „abscheulich, menschenverachtend sowie zutiefst rassistisch“. Das Gedicht habe „in Oberösterreich und im ganzen Land nichts verloren“.
Vizekanzler Heinz-Christian Strache sah die heftigen Reaktionen auf die Poesie seines Parteifreundes zunächst aus der Opferperspektive, auf die sich die FPÖ bei Kritik gern zurückzieht. So postete er auf Facebook, dass „die aktuelle Hetze und Kampagne gegen die FPÖ zeigt, dass unsere politischen Mitbewerber gerade vor der EU-Wahl besonders nervös sind“.
Der Rattenvergleich ist historisch belastet
Christian Schilcher fühlte sich missverstanden. In seiner Kolumne „Die Stadtratte“ versetze er sich ja selbst in die Position des Nagetiers und kommentiere Beobachtungen in der Stadt aus dessen Perspektive. Die Opposition wollte das nicht gelten lassen und fand nicht nur Schilcher rücktrittsreif. Bruno Rossmann von der Liste Jetzt forderte Kanzler Kurz auf, die Koalition aufzukündigen. Selbst dem oberösterreichischen FPÖ-Landesparteisekretär Erwin Schreiner dämmerte, dass man die Sache nicht verharmlosen könne: „Die Allegorie von Ratte und Mensch ist historisch belastet, daher geschmacklos und abzulehnen. Dass der Autor auch sich selbst in diesen Rattenvergleich miteinbezieht, macht die Sache dabei nur unwesentlich besser.“
Schilcher schwadroniert in seinem holprigen Versepos über die angebliche Unterwerfung der heimischen Kultur unter die der Zuwanderer: „Doch wenn dann etwas kommt, das fremd,/dann wird ganz plötzlich ungehemmt/und man wirft rasch ohne jede Scham/Kultur und Bräuche von daham/sehr angewidert in die Tonne!/ Und stellt das Neue in die Sonne!“
International steht Österreich unter Beobachtung seit die FPÖ der Bundesregierung angehört. Da verwundert es nicht, dass selbst die BBC über den Rülpser eines unbedeutenden Lokalpolitikers berichtete. So gab Schilcher nach einer lauwarmen Entschuldigung für seine „unscharfen und zu wenig präzisen Formulierungen“ schließlich am Dienstag dem Druck nach und trat als Vizebürgermeister zurück. Im EU-Wahlkampf kann die FPÖ weder einen Koalitionsstreit noch eine neue Debatte über den rechtsextremen Charakter ihrer Kader brauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen