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Naturschutz im SchwarzwaldBewohner gegen Nationalpark

Die Ängste der Kommunen vor Borkenkäfern, Totholz und einer Schwächung der Holzindustrie sind groß. Die grüne-rote Regierung beschwichtigt.

Mit fahrbarem Untersatz protestiert es sich effektiver. Bild: dpa

STUTTGART taz | „Kritik? Wir lassen uns nicht beirren, aber alles wird gut.“ Diesen Eindruck bemühte sich die baden-württembergische Landesregierung am Dienstag zu vermitteln, als sie ihren Gebietsvorschlag für den umstrittenen Nationalpark im Nordschwarzwald präsentierte.

Gesucht wurde eine zehn mal zehn Kilometer große Fläche, auf der die Natur sich selbst überlassen werden soll. Der Mensch wäre dann nur noch Beobachter. Was Naturfreunde spannend und ökologisch wichtig finden, weckt in anderen Ängste. Die Diskussion vor Ort hat die sachliche Ebene längst verlassen, emotional wird gegen die befürchtete Ausbreitung des Borkenkäfers gewettert, gegen die Verschandelung der Landschaft mit Totholz und eine Verschwendung des wirtschaftlichen Potenzials für die Holzindustrie.

„Wir teilen die Argumente nicht“, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Die Auswahl des Gebiets sei vor allem nach naturschutzfachlichen Erwägungen erfolgt. Dennoch ist die Regierung den Nationalpark-Gegnern entgegengekommen.

In dem jetzigen Vorschlag erstreckt sich der Nationalpark über den Ruhestein und den Hohen Ochsenkopf. Nicht mehr in das Gebiet einbezogen sind fünf von sieben Kommunen, in denen sich die Bürger bei unverbindlichen Befragungen gegen das Projekt der Landesregierung ausgesprochen haben.

In der Gemeinde Baiersbronn, die als Widerstandsnest gilt, wurde die geplante Nationalparkfläche um fast 1.500 Hektar verringert. Außerdem befindet sich der Großteil des ausgewählten Gebiets in den Höhenlagen oberhalb von 800 Metern, in denen die Erträge der Holzindustrie geringer sein sollen.

Potenziale für die Tourismusbranche

„Der Nationalpark wird der Region sehr, sehr gut tun“, sagte Kretschmann. Ein Gutachten im Auftrag der Regierung sieht unter anderem große Potenziale für die Tourismusbranche. Am Abend wollte sich Kretschmann mit Bürgermeistern und Landräten treffen, um den Vorschlag zu diskutieren. „Es sind durchaus noch Veränderungen möglich“, sagte der Ministerpräsident. Auch die Bürger könnten im Internet mitmachen.

Kritik kam von der schwarz-gelben Opposition. „Ohne Rücksicht auf die Meinung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und ohne Rücksicht auf Kosten tut Grün-Rot alles, um ihr Prestigeprojekt Nationalpark durchzudrücken“, sagte FDP-Landeschefin Birgit Homburger.

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4 Kommentare

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  • HS
    Hari Seldon

    @sam:

     

    Wir sollten bei den Fakten bleiben: Die CDU wollte den Nationalpark schon vor 12 (ZWÖLF) Jahren, aber der Widerstand der Bevölkerung war so gross, dass die damals CDU-geführte Landesregierung den Plan aufgegeben hat. Jetzt wollen die Grünen---mit aller Gewalt---einen Vergnügungspark---sehr teuer, versteht sich---durchpeitschen.

     

    Atomenergie: Bitte, warum gibt es Atomhysterie nur in Deutschland? Wären alle anderen Länder und Völker dumm und blöd, und nur die Grünen in D im Besitz der einzigen und absoluten Wahrheit?

  • S
    Sam

    Also, dass die Gegner taz lesen wundert mich jetzt fast ein bisschen...

     

    @ Hari Seldon: Das Atom co2 arm ist ist eine lange widerlegte Legende, ganz zu schweigen von den Gefahren, der Endlichkeit des Urans und der weltweit ungelösten Endlagerfrage. Aber zur Sache: Die geziehlte Schmutzkampagne und Desinformation der Bürger durch emotionale Meinungsmache durch erzkonservative Kräfte im Schwarzwald hat zu diesen Umfrageergebnissen m. E. entscheidend beigetragen. Ich habe das ganze als einen Reflex der abgewählten Parteien erlebt, die den Grünen ordentlich in die Suppe spucken wollten. Darum auch das endlose Lavieren der Landes-CDU während man die Mitglieder der Ortsverbände munter polemisieren ließ.

     

    @ farmer tom: Schon mal was von den 5% Wald gehört, die wir uns international verpflichtet haben aus der Bewirtschaftung zu nehmen (z.B. wieder Fr. Merkel vor ein paar Tagen)? Dass wir auf den Schutz der fremden Urwälder bestehen, die unsere Konzerne für unseren Bedarf (Holz, Soja, Palmöl) und in unsere Kasse (und die unserer korrupten lokalen Erfüllungsgehilfen) abholzen, dabei aber nicht einmal 10x10km im Schwarzwald unter Schutz stellen wollen, ist doch mehr als Schizophren. Sie sehen, fast ihr Argument...

     

    Darum: Herzlich Willkommen im Nationalpark Nordschwarzwald!

  • HS
    Hari Seldon

    @farmer ton:

     

    Bitte, Sie schreiben: "Wir haben in Deutschland einen Mangel an CO2 neutralen Energieträgern". Nun, gerade die Clowns der Grünen wollen den CO2-ärmsten Energieträger, die Atomenergie stoppen.

     

    Zum Nationalpark in Nordschwarzwald: Die Grünen haben die Wahlversprechung gemacht, dass bei den Entscheidungen die BürgerInnen gehört werden, und die Position der BürgerInnen berücksichtigt werden. Nun die betroffenen Gemeinden sind ALLE gegen den "Naturpark", bei einer Bürgerbefragung sogar ca. 75% gegen den Nationalpark votiert haben (gerade im Heimatgemende des grünen Umweltministers!), trotzdem wollen die Grünen etwas gegen die Interessen der BürgerInnen aus ideologischen Gründen durchpeitschen. Eigentlich geht es beim Nationalpark nicht um Natur, sondern ein Vergnügungspark für die grünen Klientel aus den Großstädten.

  • FT
    farmer tom

    Ich bin durch die Art und Weise der Argumentation nicht zufrieden.

    Es steht für mich unstrittig fest, dass wir stabilere Ökosystem brauchen um den KLimawandel zu meistern. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir in der richtigen Hierarchie an die Themen GERSAMTHAFT rangehen sollten.

    Wir haben in Deutschland einen Mangel an CO2 neutralen Energieträgern zu denen Biomasse gehört.

    Während in NRW ganze Ortschaften dem Braunkohletagebau weichen müssen und später Kraterlandschaften hinterlassen, Kriege ums Öl geführt werden, Ölkatastrophen unvorstellbaren Ausmaßes die Golfregion schädigt, usw. erlauben wir uns den Luxus über Nationalparke zu reden und die Energieträgerentnahme (Holz) zu stoppen. Gleiches ist für FSC zertifizierten Waldflächen in ganz BaWü geplant.

    Wie wollen wir in D leben? Wollen wir uns eine Verweigerungshaltung zu unserer eigenen Daseinsvorsorge leisten. Null Nachteil, nur Vorteile? Immer die Sahne abschöpfen, und der Rest der Welt muss weitaus höhere Nachteile in Kauf nehmen, damit wir uns der Natur näher fühlen können.

    Aber das kennen wir ja auch aus anderen Bereichen. Mindestlohn bei uns, billigste Klamotten kaufen die Risiken bleiben in Bangladesh. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.