Nationalismus in Bosnien: Geschichte über Verrat

Die noch junge Regierung der bosnischen Hauptstadt wird gestürzt – zum Entsetzen der Bürger. Denn die fürchtet einen Rückfall in alte Zeiten.

Blick auf Sarajevo

Blick auf Sarajevo: Die Regierung der bosnischen Hauptstadt wurde vor kurzem gestürzt Foto: Damir Bosnjak/Unsplash

SARAJEVO taz | Vielen Künstlern, die die bosnische Hauptstadt Sarajevo verlassen haben, fehle etwas sehr Wichtiges für ihr Inspiration, sagte einmal der berühmte Musiker Goran Bregović. „Das sind die Kommentare der Taxifahrer.“

Enes ist so einer, der den Künstlern und Schriftstellern helfen kann. Er hat studiert – was, weiß er selbst nicht mehr so recht oder will es nicht sagen. Enes ist wie viele seiner Kollegen einer, der sich mit Musik, Kunst und Politik in der Stadt gut auskennt.

Die Frage nach den Gründen, warum die erst vor wenigen Monaten gebildete Regierung des Kantons Sarajevo unter Führung der nichtnationalistischen linksliberalen Partei Naša Stranka (Unsere Partei) am Montag gestürzt worden ist, lässt seine Halsadern anschwellen. Er schnappt nach Luft. „Das ist die schlechteste Nachricht der vergangenen Jahre. Die hatten gerade angefangen, den Saustall der alten Regierung auszumisten, und wurden gleich gestürzt.“

Diese alte Kantonsregierung war von der muslimischen Nationalpartei, der Partei der Demokratischen Aktion (SDA), geführt worden. Unterstützt von der Islamischen Gemeinschaft und dem konservativen muslimisch-nationalen Kleinbürgertum, sorgte sie dafür, dass vor allem Parteigänger auf die Posten der Stadtverwaltung gehievt wurden.

Nicht mal Putzfrau

Wer die SDA unterstützte, konnte sich Chancen auf einen Job ausrechnen. „Nach Qualifikationen wurde nicht gefragt, nur nach dem Parteibuch. Wenn du nicht in der SDA-Partei warst, konntest du nicht einmal Putzfrau im Ministerium werden“, ereifert sich Enes. „Hier in Sarajevo sind die meisten Menschen aber gegen den kleingeistigen Nationalismus.“

Die Korruption erboste sogar manche Mitglieder der muslimischen Nationalpartei, sodass sie eigene Parteien gründeten. Weil gleichzeitig die modern und westlich auftretende nichtnationalistische Partei Nasa Stranka bei den letzten Wahlen stärkste Partei in Sarajevo geworden war, konnte sie mit anderen kleineren Parteien die Kantonsregierung übernehmen.

„Jetzt hatte die neue Kantonsregierung gerade angefangen, alle Qualifikationen der Angestellten der Stadt und des Kantons zu überprüfen. Das war gut“, sagt Enes. Die religiösen Konservativen aber waren aufgeschreckt und fürchteten um ihre Jobs. „Die SDA-Politiker haben mithilfe aller möglichen Tricks Naša Stranka gestürzt.“

Dževada hat einen Obststand auf dem Ciglane-Markt. Als die 35-Jährige, die Oköprodukte verkauft, vom Sturz der Kantonsregierung hörte, reagierte sie sofort. „Ich ließ alles stehen und liegen und bin zum Präsidentschaftsgebäude gelaufen.“ Tausende protestierten dort bereits. Gegen Željko Komšić, den Vorsitzenden der Partei Patriotische Front und kroatischen Vertreter im Staatspräsidium.

Tiefe Enttäuschung

Er half dabei, die neue Kantonsregierung zu kippen, indem er seine Partei anwies, aus der Koalition mit Naša Stranka auszusteigen. Weil Komšić stets gegen die religiösen Nationalisten aufgetreten war, enttäuschte der „Verrat“ Dzevada zutiefst.

Nach einer Veranstaltung im Philosophischen Institut der Universität Sarajevo über den Schriftsteller Peter Handke waren sich viele Studenten und Professoren einig. „Wir hatten Hoffnung, dass jetzt Qualifikationen und nicht Parteibücher bei Neueinstellungen entscheiden, wir wollen unser Land nicht verlassen, sondern hierbleiben. Aber jetzt?“, sagt einer.

Der 84-jährige Historiker, Deutschlehrer und Exkommunist Meho schwärmt von den jungen Frauen in der Politik. Sie repräsentierten eine neue Generation unbelasteter Politiker. Für die Riege der etablierten konservativen Männer seien vor allem sie eine Provokation. Auch dass Naša Stranka mit dem Serben Predrag Kojević und der Bosniakin Irma Baralija äußerst populäres Spitzenpersonal hat.

Irma Baralija, die an englischen Eliteuniversitäten studiert hat, organisierte Demonstrationen gegen die Müllmafia in Mostar und setzte mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof durch, dass nach zehn Jahren Kommunalwahlen in Mostar durchgeführt werden müssen. „Die haben Angst, dass der Funke auf andere Städte überspringt“, sagt Mejo. „Wer Sarajevo beherrscht, kann auch den Ton in anderen Regionen angeben.“

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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