Nationalismus bei der WM: „Die Mannschaft massakriert“
Das Spiel zwischen Serbien und der Schweiz wurde von einem verbalen Schlagabtausch überschattet. Provokationen gibt es auf beiden Seiten.
Es ging nicht nur um eine fragwürdige Elfmeterentscheidung. Es ging vor allem um den politischen und nationalistisch motivierten Konflikt zwischen Serben und den Kosovoalbanern im Schweizer Team, der durch Provokationen beider Seiten auf die Spitze getrieben wurde.
Als der deutsche Schiedsrichter in der 66. Minute einen in serbischen Augen berechtigten Elfmeter für Serbien nicht gab, fühlte sich die serbische Seite schwer benachteiligt, der Konflikt eskalierte. Alles fing schon damit an, dass die Schweizer Spieler mit Kosovo-albanischem Hintergrund Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri von den serbischen und russischen Fans gnadenlos ausgepfiffen wurden.
Mit dem Befreiungskrieg der UCK und dem Eingreifen der Nato 1999 hatte sich Kosovo zwar von Serbien losgesagt und sich 2008 für unabhängig erklärt. Nach serbischer Lesart sind die Kosovaren aber Verräter, die serbisches Land geraubt haben, also Feinde.
Empfohlener externer Inhalt
WM 2018 – Die Spielorte
Granit Xhakas Vater dagegen war Opfer der serbischen Repression gegenüber Albanern in den 90er Jahren. Er saß drei Jahre in serbischen Gefängnissen. Beide Spieler stammen aus kosovarischen Flüchtlingsfamilien, beide sind in der Schweiz aufgewachsen. Sie fühlen sich wie viele Menschen mit Migrationshintergrund als Schweizer, aber auch als Kosovaren.
Albanischer Adler
Xherdan Shaqiri hatte vor dem Spiel die serbische Seite bewusst provoziert, indem er seine Fußballschuhe mit der Schweizer und der kosovarischen Flagge verziert hatte. Dass es ausgerechnet diesen beiden Spielern gelang, die entscheidenden und spielerisch herausragend vollendeten Tore für den Sieg der Schweiz zu erzielen, gehört zu den Ausrufezeichen in diesem Spiel. Doch dass beide dann als Zeichen ihre Triumphes mit ihren Händen den albanischen Adler formten, brachte die serbischen Fans zur Weißglut.
Die Schweizer Polizei meldete kurz nach dem Spiel Überfälle auf albanische Fans in Zürich und anderen Städten. Dass es zudem ausgerechnet ein deutscher Schiedsrichter war, der den Serben in der ersten Halbzeit einen Elfmeter verweigerte, steigerte die Enttäuschung und die Wut auf serbischer Seite ins Maßlose, werden doch Deutsche als parteiisch empfunden, als Freunde der Albaner.
„Der Deutsche Felix Brych, eine Schande für die Schiedsrichterorganisation der FIFA, hat Serbien auf dem Weg ins Achtelfinale gestoppt. (…) Das ist einer der der schlimmsten Diebstähle bei den letzten Weltmeisterschaften,“ lautete der Tenor in der Presse. „Der Deutsche hat uns bestohlen – der Unparteiische massakrierte unsere Mannschaft und ermöglichte unserem Gegner, eine Niederlage in einen Sieg umzuwandeln.“
Fifa prüft
Der serbische Verband protestierte in einem offiziellen Brief bei der FIFA über den deutschen Schiedsrichter und seine Assistenten. Doch der aus Sarajevo stammende Trainer des serbischen Teams, der bosnische Serbe Mladen Krstajic, setzte noch einen drauf. „Ich würde ihn nach Den Haag schicken, damit man ihm den Prozess macht, so wie man uns den Prozess gemacht hat“, sagte der Ex-Bundesligaprofi über Brych und stellte damit den deutschen Schiedsrichter und auch sich selbst auf eine Stufe mit den verurteilen Kriegsverbrechern Ratko Mladic und Radovan Karadzic.
WM 2018: Diese Stammgäste fehlen
Nach seinen skandalösen Aussagen wird sich nun Serbiens Coach Mladen Krstajic beim Weltverband verantworten müssen. Die Schweizer Presse dagegen bedauert, dass der sportliche Erfolg durch den politischen Konflikt zugedeckt wurde.
„Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka provozieren mit ihrem Torjubel die serbischen Zuschauer. Sie befeuern damit eine Diskussion, die man für beendet oder zumindest für abgemildert hielt. Sie haben so feine Füße wie kaum jemand sonst in dieser Auswahl. Aber ihre politische Sensibilität und ihr gesellschaftliches Bewusstsein sind unterentwickelt,“ schrieb die Neue Züricher Zeitung. Dem serbischen Protest gegen die Wertung des Spiels werden in der Schweiz nur wenig Aussichten auf Erfolg eingeräumt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung