piwik no script img

Nationaler Volkskongress tritt zusammenWohin zieht China?

Die russische Invasion in der Ukraine stellt auch Peking vor neue Herausforderungen. Die Frage ist, ob die Bande nach Moskau weiterhin eng bleiben.

Eröffnungsfeier des 19. Parteikongresses in der Großen Halle des Volkes in Peking, 2017 Foto: Ng Han Guan/ap

Peking taz | Wenn am Samstag Chinas Nationaler Volkskongress in Peking zusammenkommt, haben die rund 3.000 Abgeordnete des Scheinparlaments eine höchst komplizierte Agenda vor sich. Das Land steht zweifelsohne vor den größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte.

Außenpolitisch befindet sich die Volksrepublik China aufgrund der russischen Ukraine-Invasion an einem kritischen Scheideweg. Je nachdem, wie sich die Regierung positioniert, stellt dies die Weichen für den Kurs der nächsten Jahrzehnte: Hält man uneingeschränkt zum strategischen Partner Russland, könnte dies zu einer de facto Neuauflage des Kalten Kriegs und einer polarisierten Weltordnung in zwei Machtblöcke führen.

Wirtschaftlich wäre dies der kurzfristig irrationale Weg. Denn China bezieht zwar große Mengen an Öl und Gas aus Russland, doch kann diese problemlos auch von Staaten im Mittleren Osten bekommen. Insgesamt macht der russische Warenverkehr nur circa zwei Prozent des chinesischen Außenhandels aus – und damit nur einen Bruchteil im Vergleich zu den ökonomischen Schwergewichten USA und EU. Doch vielleicht wäre Staatschef Xi Jinping bereit, die Beziehungen zum Westen für ein langfristiges Ziel zu opfern: die Umgestaltung der Weltordnung, für die man Moskau als geopolitischen Partner benötigt.

Doch auch abseits der Weltpolitik muss Xi auch im Inneren folgenreiche Entscheidungen treffen. Chinas jährliche Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich sind im Zuge der Pandemie, einer drohenden Immobilienblase und einem zunehmend repressiveren Wirtschaftsklima deutlich schneller abgeflacht als erwartet. Einige Ökonomen prognostizieren für das laufende Jahr nur mehr eine Expansion des Bruttoinlandsprodukts zwischen vier und fünf Prozent. Das mag aus europäischer Sicht hoch klingen, doch ist für Chinas angepeilten Aufstieg viel zu wenig. Bereits mittelfristig wird die Volkswirtschaft Probleme bekommen, ausreichend Arbeitsplätze für die jährlich auf den Markt strömenden Schul- und Universitätsabsolventen bereitstellen zu können.

Chinesische Lockerungen

Kurzfristig wird die Parteiführung zumindest schrittweise die Isolation des Landes lockern müssen. Die epidemiologisch erfolgreiche „Null Covid“-Strategie hat auch dazu geführt, dass China bis heute seine Grenzen geschlossen hält und auch innerhalb der Bevölkerung keine nennenswerte Immunität aufgebaut hat. Doch während der Rest der Welt allmählich wieder öffnet, droht das Reich der Mitte ins Hintertreffen zu geraten.

Doch die wirtschaftlich größte Herausforderung kreist langfristig wie ein Damoklesschwert über dem Land. Der demografische Wandel droht den ökonomischen Aufstieg des Landes vorzeitig zu stoppen. Die Bevölkerung altert rasant, was die Produktivität der Volkswirtschaft massiv drosseln wird. Daran ändert auch die Lockerung der einst strengen Geburtenpolitik nicht: Die Leute dürfen mittlerweile per Gesetz drei Kinder haben, doch können sie sich mehr als einen Nachwuchs oft schlicht nicht leisten. Chinas urbane Mittelschicht leidet zunehmend unter langen Arbeitszeiten, horrenden Immobilienpreisen und dem zunehmenden Leistungsdruck.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Ich halte die chinesische Führung für noch gefährlicher als Putin - nicht nur aufgrund der vielfach höheren Militärausgaben.

    Durch unsere hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von der Atommacht China kann sich Xi Jinping schlicht alles erlauben: Hundertausende in Lagern konzentrieren und trotzdem Olympische Spiele abhalten, freie Presse ist verboten, Berichterstattung kaum möglich, wer nicht passt "verschwindet", jedes Land das die Souveränität Taiwans anerkennt, wird sanktioniert - deswegen geben wir hier brav klein bei und spielen das böse Spiel mit.

    Noch! Nach all den politischen Reden, die ich in den letzten Tagen gehört habe, dürfte damit definitiv Schluss sein. Der Groschen ist gefallen, wir werden nicht mehr unterscheiden zwischen "guten" und "bösen" Angriffskriegen unterscheiden. Selbst EVP/CDU- und FDP-Politiker sagen, dass es ein großer Fehler war, Völkerrecht wirtschaftlichen oder geostrategischen Erwägungen unterzuordnen. Oft fällt das Wort "Zeitenwende".

    Sehr gute Nachrichten für die Welt, schlechte Nachrichten für irre Spinner wie Xi, Erdogan, Iliev und durchgeknallte US-Präsidenten.

    Auf die europäische Wirtschaft kommen herausfordende Zeiten zu. Der Angriff Russlands hat faktisch das Lieferkettengesetz massiv verschärft.

    • @Bernd Berndner:

      Ich denke auch so..

      Die Gefährlichste aller Diktaturen sind weit voraus CHINA..

      Enorme Armee und Millarden Menschen unter Maoistische-Propaganda eingeschläfert...

      Nicht zu erwähnen tausende Atom-Rakete und die von China's kleine Bruder Nord-Korea...

    • @Bernd Berndner:

      Netürlich wäre es töricht, die Macht Chinas zu unterschätzen. Im Prinzip sind sie den Amerikanern weit überlegen mit der Ausnahme, dass ökonomisch der $ noch Leitwährung ist. Aber der chinesische Machtapparat ist ausrechenbar und die Abhängigkeit vom Export bei allem Einfluss, den sich die chinesischen Machthaber sichern können, bis hinein in die EU, bleiben sie abhängig vom globalisierten Wirtschaftssystem nur weniger als die USA und die EU. Krieg führen, das muss Putin in seinem Machwahn zu spüren bekommen, ist teuer und verhindert auch keine bevorstehende globale Wirtschaftskrise, auf die sich jedes Land eigenständig vorbereiten sollte.

  • Da war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken. In anderen Medien ist dazu zu lesen



    "Auch erwähnte Li Keqiang die russische Invasion in die Ukraine mit keinem Wort."

  • Aktuell werden Machtblöcke verschoben und in der Ukraine mit Waffen Fakten geschaffen.

    Eine Folge des Konflikts wird sein, dass Russland sich noch viel mehr an China binden wird. Und China wird das dankend mitmachen, denn Russland ist einfach Energiegroßmacht, und China braucht Unmengen an billiger Energie.

  • Wir sind weit weg von China. Trotzdem verbindet 'uns' das Lieferkettenproblem unter vielen Aspekten: Unsere Globalisten haben Produktionsverlagerungen veranlasst, weil für sie die Profitbedingungen günstiger waren: Lange Zeit waren die Umweltauflagen dort niedriger als hierzulande noch vor einigen Jahren zogen die Smogwolken bis nach Korea und Japan, ausserdem waren die Ansprüche der vielen Menschen auf dem Weg zu einem Auskommen (in einem Kommandostaat) viel niedriger als hierzulande und die Kapitalisten hatten 'Geschäftspartner', die aufgrund der Machtstrukturen viel grossräumiger planen konnten. Und dabei eine Emanzipation einer Mittelschicht erlauben konnten, die z.B. bis vor dem Ausbruch von Covid-19 die Mitteleuropäer als Reiseweltmeister ablösten.



    Heute wissen wir, dass die bracchiale Einschränkung jeglicher Mobilität der chinesischen Bevölkerung bewirkte, dass über reisende Chinesen die Auswirkungen der Pandemie einigermassen in Grenzen gehalten werden konnten. Dass es nie wieder eine ausgeprägte Reiseintensität aus diesem riesigen Wirtschaftsraum geben wird, liegt daran, dass die Staatslenker erlannt haben, dass dieser private Flugverkehr bedingt durch die Klimakatastrophe zumindest international nicht mehr erlaubt werden kann. Die Staatslenker von oben haben noch ein anderes Problem: Ihr Bildungssystem produziert zu viele Hochqualifizierte, für die sie keinen Job mehr bereit halten können, während ihnen handwerklicher Nachwuchs fehlte. IT ersetzt viele abgehobene Funktionsträger, für die an anderer Stelle Einsatzmöglichkeiten gefunden werden müssen. Dieses für die Menschen planende System könnte man als Fürsorge, aber auch als bevormundend betrachten, wenn diese Massnahmen 'von oben' getroffen werden 'müssen (?)' . Es ist natürlich einfacher, wenn wenige Entscheider den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft ihren Platz zuweisen, es steht jedoch in starkem Widerspruch zu (chaotischer ?) 'westlicher Selbstbestimmung ..



    Ist 'unsere' Demokratie 'besser' ?

    • @Dietmar Rauter:

      Das macht China nicht besser. Die Relativierung funktioniert hier auch nicht.

      Wenn Sie denken, dass ein Diktatur besser sei, gerne können Sie nach Peking oder Shanghai umziehen..

      Und versuchen die Regierung zu KLEINST kritisieren... Dann sehen wir wohin Sie landen..

      Knast? oder sogar Arbeitslager?

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Ich glaube nicht, dass China sich auf Putins Niveau herablassen wird. Putin stellt sich außerhalb der zivilsierten Welt, hat eine äußerst primitve Sichtweise, wenn es um sein eigenes Volk geht und lässt sich von seiner Paranoia leiten. Ich halte die Chinesische Führung für klüger.

    • @03998 (Profil gelöscht):

      Man hat auch gesagt vor einige Jahren, dass Putin klug sei.



      Jetzt sehen wir, was passiert.

      Ggü China's Potenzial, ist Russland kleine Fliege..



      China hat VIEL größere Armee, mehr Waffen, und enorme Milliarden Menschen, die unter Maoistische-Propaganda eingeschläfert sind..

      Wenn Sie fühlen, dass die Chinesische Regierung klüger sein wird, viel Glück..

      Die harte Fakten sagen aber komplett etwas anderes. Fragen Sie es Tibeter oder Uiguren...

  • "ausreichend Arbeitskräfte" — Arbeitsplätze, richtig?

    • @Arne Babenhauserheide:

      Ja. Arbeitsplätze lenken das Volk vom Denken ab. Eine ganz gute Sache, um es ruhig zu halten.

      • @Bunte Kuh:

        "Arbeitsplätze lenken das Volk vom Denken ab."



        Was ist denn das für eine "Brot-und-Spiele-Logik"?

    • @Arne Babenhauserheide:

      Es ist kein Versprecher (Lapsus) dass im gleichen Artikel auf den Mangel an Arbeitsplätzen wie auch an Arbeitskräften eingegangen wird.



      Ohne ins Detail zu gehen, damit eine Wirtschaft funktioniert müssen Qualifikation, Anforderungen des Arbeitsplatzes, Produktivität und Gehalt in einem vernünftigen Verhältnis stehen.



      China hat bisher vor allem Arbeitsplätze mit niedriger Qualifiation geschaffen. Es fehlt aber an Arbeitsplätzen für Akademiker.



      Zur Zeit brechen aber überall die Firmen ein und die Jugendarbeitslosigkeit nimmt erschreckende Ausmaße an. Meine Freunde in Beijing schätzen die effektive Arbeitslosenquote n Peking für junge Leute auf ~30%.



      Dennoch wird dies in den nächsten 20 Jahren wahrscheinlich dramatische umschlagen wenn die Geburtenstraken Jahrgänge in Pension gehen.

  • Die chinesische Regierung hat auch ein Problem mit den von ihr engagierten Kapitalisten, wenn massenhaft Geschäfte mit Wohnungen gemacht wurden, die sich niemand mehr leisten kann, es häufig zu Stromabschaltungen kommt und auch sie sich als Globalisierer von Lieferketten, die nicht mehr bedient werden oder funktionieren, abhängig gemacht haben. Auch die chinesische Wirtschaft lebt von Wanderarbeitern und braucht (funktionierende) 'Menschen' erster und zweiter Klasse, Die Regierenden 'müssen' im Innern starke Zügel anlegen (KUbickis und Linners hätten keine Chance). um alles am Laufen halten zu können. 1,4 Milliarden Menschen wollen versorgt werden, eine gigantische Aufgabe (bei der die Globalisierer gern aushelfen durften).