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Nahost-Konflikt beim PEN BerlinOffener Brief einiger Mitglieder

Nach mehreren Austritten aus der Schriftstellervereinigung PEN Berlin erklären Mitglieder in einem offenen Brief, warum sie bleiben.

Eva Menasse (l), eine der Unterzeichnerinnen, mit Deniz Yücel (m) auf der Frankfurter Buchmesse 2023 Foto: Arne Dedert/picture alliance

Berlin taz | Nach der Debatte um eine Petition zum Nahostkonflikt in der Schriftstellervereinigung PEN Berlin melden sich jetzt Autoren und Autorinnen zu Wort, die ihre Unterstützung zum Verein trotz politischer Differenzen bekräftigen. Zuvor hatten mehrere Mitglieder in einem offenen Brief ihren Austritt erklärt. Weitere Mitglieder hatten sich öffentlich geäußert.

Zu den Un­ter­zeich­ne­r*in­nen des neuen Briefs gehören die ehemalige Vereinssprecherin Eva Menasse, die Publizisten Michel Friedmann und Stephan Anpalagan, die Autoren Daniel Kehlmann, Wladimir Kaminer, Kristof Magnusson und Jan Wagner, die Autorinnen Francesca Melandri, Kathrin Röggla und Nora Bossong, der Schauspieler Christian Berkel, die Publizisten und Pädagogen Meron Mendel und Saba-Nur Cheema sowie der ehemalige Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit.

Die Verfasser, allesamt Mitglieder des PEN Berlin, erklären in ihrem Statement: „Wir bleiben“. Die „öffentlich ausgetragenen Wortgefechte und Meinungskriege“ würden den Nahostkonflikt nicht lösen, dem noch jungen Verein aber Schaden zufügen.

Bei einer Mitgliederversammlung am vergangenen Wochenende wurde mit nur knapper Mehrheit einer Kompromiss-Resolution zugestimmt. In ihrem Schreiben heißt es dazu: „Nach ausführlicher zweimaliger Diskussion wurde eine Resolution mit einer (!) Stimme Überhang demokratisch verabschiedet; der andere, so knapp unterlegene Antrag unterschied sich nur in – heiß umkämpften – Details.“ Die meisten Unterstützer der unterlegenen Anträge hätten das Ergebnis akzeptiert. Doch manche Mitglieder würden nun austreten. Einige würden austreten, weil der beschlossene Text zu „propalästinensisch“ sei. Andere wiederum, weil er zu „proisraelisch“ sei.

Der offene Brief im Wortlaut

„Was gerade im PEN Berlin passiert, ist ein direktes Abbild der gesellschaftlichen Zerrüttung. Aus Verzweiflung über den Zustand der Welt versinken vernünftige und kluge Menschen im „Narzissmus der kleinen Differenzen“ (Sigmund Freud).

Da weder die eine noch die andere Seite, die sich in Deutschland zu Unterstützern der Konfliktparteien in Nahost formiert haben, auf diesen schrecklichen Krieg irgendeinen Einfluss hat, trägt man ihn im Klein-Klein der Vereinsarbeit aus. Nach ausführlicher zweimaliger Diskussion wurde eine Resolution mit einer (!) Stimme Überhang demokratisch verabschiedet; der andere, so knapp unterlegene Antrag unterschied sich nur in – heiß umkämpften – Details. Der gigantische Wirbel, der sich daran entzündet hat, ist Außenstehenden längst nicht mehr zu vermitteln. Die meisten Unterstützer der unterlegenen Anträge akzeptieren das demokratische Ergebnis.

Doch eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern tritt nun aus, oft genug öffentlich. Manche, weil der beschlossene Text zu „propalästinensisch“, andere, weil er zu „proisraelisch“ sei. Das könnte doch als Beweis dienen, dass ein Kompromiss gefunden wurde. Der israelische Philosoph Avishai Margalit sagt: „Ein guter Kompromiss teilt das Trennende auf.“ Das bedeutet: Er muss einem auch selbst weh tun, sonst ist es keiner. Die öffentlich ausgetragenen Wortgefechte und Meinungskriege – angesichts des massenhaften Tötens und Sterbens in vielen Teilen der Welt zumindest fragwürdig – sind allerdings geeignet, diesem jungen Verein, in dem unglaublich viel ehrenamtliche Arbeit steckt, Schaden zuzufügen.

Wir erinnern daher daran, wozu er gegründet wurde: Als Menschenrechtsorganisation zum Schutz verfolgter Kol­le­g:in­nen einerseits, als maximal offene Plattform für die vielen Debatten andererseits, die uns allen auf den Nägeln brennen. In nur zweieinhalb Jahren ist hier vieles gelungen, auch wenn natürlich, wie überall, Fehler gemacht worden sind. Dieses Anpacken, das Irren und Gelingen, das Machen jenseits des bloßen Meinens ist, was wir weiterhin kritisch begleiten wollen. Den Kolleginnen und Kollegen im Board von PEN Berlin, die sich täglich darum im aufreibenden Ehrenamt bemühen, sprechen wir unser Vertrauen und unsere Unterstützung aus. Auf der richtigen Seite zu stehen bedeutet für uns, immer wieder aufs Neue zu versuchen, Gräben zu überwinden und Kompromisse zu finden sowie die Verantwortung für die exilierten Kol­le­g:in­nen nicht aus den Augen zu verlieren. Von allem anderen haben wir genug.

Eva Menasse, Doris Akrap, Stephan Anpalagan, Imran Ayata, Christian Berkel, Simone Buchholz, Alexandru Bulucz, Daniel Cohn-Bendit, Nora Bossong, Svenja Flasspöhler, Michel Friedman, Wladimir Kaminer, Daniel Kehlmann, Ursula Krechel, Kristof Magnusson, Francesca Melandri, Meron Mendel, Saba-Nur Cheema, Moritz Rinke, Kathrin Röggla, Judith Schalansky, Alain Claude Sulzer, Jörg Sundermeier, Jan Wagner“

Weiter erinnern die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen daran, dass der PEN Berlin zum Schutz von Schrift­stel­le­r:in­nen gegründet worden sei: „Als Menschenrechtsorganisation zum Schutz verfolgter Kol­le­g:in­nen einerseits, als maximal offene Plattform für die vielen Debatten andererseits“. Sie fordern die Rückbesinnung auf das ursprüngliche Anliegen.

Im offenen Brief zitieren die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen von „Wir bleiben“ den israelischen Philosophen Avishai Margalit: „Ein guter Kompromiss teilt das Trennende auf.“ Das bedeute: „Er muss einem auch selbst weh tun, sonst ist es keiner.“ Trotzdem räumen die Unterzeichnenden ein, dass Fehler gemacht worden seien. „Auf der richtigen Seite zu stehen bedeutet für uns, immer wieder aufs Neue zu versuchen, Gräben zu überwinden und Kompromisse zu finden sowie die Verantwortung für die exilierten Kol­le­g:in­nen nicht aus den Augen zu verlieren.“ heißt es weiter.

Transparenzhinweis d. Red.: Mehrere der Un­ter­zeich­ne­r:in­nen sind regelmäßig oder unregelmäßig auch für die taz tätig.

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