Nagelstudios: Brennen unterm Nagelbett
Nagelstudios sind ein Wachstumsmarkt. In Berlin ist das Geschäft mit dem Körperschmuck besonders hart: Mobile Studios und Kleinbetriebe kämpfen gegen asiatische Billigketten um ihre Kundinnen.
Jacqueline Müller-Trunschke macht Nägel "über den Dächern Berlins". Genauer gesagt: "Nails and more". So nennt sich ihr Nagelstudio im 12. Stock des Internationalen Handelszentrums an der Friedrichstraße. Zwischen Anwaltskanzleien und Botschaften funkeln hier in einem Aufsteller Glitzernagellacke, Strasssteinchen und winzige Ringe um die Wette. Es riecht nach Lack und Arztpraxis. Eine freundliche junge Frau erläutert das Angebot: Naildesign und Nail Art, Naturnagelverstärkung und Nagelverlängerung im Gelverfahren, Nagelpiercing, French Style, Auffüllung und Versiegelung.
Auffüllen:
Etwa vier Wochen nach einer Nagelmodellage entsteht eine Lücke zwischen dem Naturnagel und der Kunstschicht, die beim Auffüllen erneuert wird.
French:
Eigentlich "French Manicure". Weiß gefärbte Nagelspitzen und naturfarbene Nägel sollen natürlich wirken. Gefärbt wird mit dem Stift, weißem Lack oder einer Air-Brush-Pistole. Der neueste Trend sind farbige und gemusterte Nagelspitzen.
Modellage:
Ursprünglich in der Medizin entwickeltes Verfahren der Nagelverlängerung und -verstärkung. Dabei wird ein künstlicher "Tip" auf dem Naturnagel befestigt und mit mehreren Kunststoffschichten modelliert. Am weitesten verbreitet sind Acryl und Gel, das unter UV-Licht gehärtet wird. Eine neue Methode ist Modellage mit Fiberglas.
Nagelstudio:
Bietet meist keine medizinische Maniküre, sondern Nagelverlängerung und -verschönerung. Vom Nagelpiercing bis zur Acrylkralle mit dem Gesicht des Liebsten auf jedem Finger.
Nail Art:
Kein Nagellack, sondern Kunst: Ornamente, Sticker, Tattoos und Nagelschmuck. Das Einsetzen eines echten Diamanten kostet rund 100 Euro - pro Nagel. API
Wer um alles in der Welt investiert so viel Geld und Zeit in seine Fingernägel? "Mehr, als Sie denken", sagt Chefin Müller-Trunschke: "Zu mir kommen Supermarktverkäuferinnen, Politikerinnen, Abiturientinnen und Rentnerinnen". Zahlreiche Stammkundinnen nehmen alle vier Wochen den Service von Müller-Trunschke und ihren zwei Mitarbeiterinnen in Anspruch, manche seit Jahren. Und das, obwohl für eine Naturnagelverlängerung 83 Euro fällig sind. Das Geschäft mit dem Nagel hört nie auf, weiß die gelernte Arzthelferin aus Reinickendorf, die seit zehn Jahren Nageldesignerin ist: "Die Hände einer Frau sind ihre Visitenkarte."
Offenbar wollen immer mehr Frauen eine professionell designte Visitenkarte, denn Nagelstudios sind eine Wachstumsbranche: Der Bundesverband deutscher Nail Designerfreut sich über einen seit Jahren stabilen "guten zweistelligen Umsatzzuwachs", die Branchenzeitschrift Prof Nails wird an rund 39.000 Adressen bundesweit versandt. Und das sind nur die Profis. Dazu kommen noch einmal tausende Frauen, die sich zu Hauseein Zubrot verdienen, als "mobiles Studio" Hausbesuche machen oder als Untermieterinnen in Friseursalons oder Bräunungsstudios arbeiten. Der Beruf "Nageldesigner" ist nicht geschützt und leicht zu erlernen. Mit geringem finanziellem Aufwand wird daraus ein Business. Nagelverschönerung ist ein Markt für Kleinstexistenzgründerinnen. Kein Wunder, dass er in Berlin besonders heiß umkämpft ist.
"Ein schlimmes Pflaster, wo sich alle gegenseitig kaputt machen", ist die Einschätzung der Verbandspräsidentin Terri Malon aus Bayern der Berliner Situation: "Ihr habt da oben Mädels, die einen Satz Nägel für 19 Euro machen". Bei einer Meisterin koste das 40 Euro, Nageldesignerinnen mit Ausbildung hätten bei den besonders preisbewussten Berlinerinnen aber immer weniger Chancen. Auch Müller-Trunschke, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hat und der Nagelgesundheit zuliebe auf billige Kunstnägel verzichtet, hätte in einem klassischen Ladenlokal mit Laufkundschaft keine Chance. "Ich würde momentan niemandem empfehlen, sich mit einem Nagelstudio selbstständig zu machen", sagt sie. "Es gibt zu viele schwarze Schafe in der Branche."
Die Konkurrenz, die sie fürchtet, heißt "American Nails" oder "New York Nails" und wirbt mit Dumpingpreisen: Billigketten, in denen meist Vietnamesinnen für 20 Euro einen Satz Kunstnägel aus Acryl anbringen, Billigware aus China, die sie beim Asia-Großhändler zum Tiefstpreis gekauft haben. Laut Branchenverband verdienen die Angestellten dieser Ketten oft nur 3 bis 4 Euro die Stunde. Seit ungefähr drei Jahren dominieren sie den Billigsektor des Nagelstudiomarkts in Berlin. Für die neue Konkurrenz haben die etablierten Studios nur Verachtung übrig. In den russischen Läden rund um den Kudamm, den Nagelpflegesalons, in denen geschulte Kosmetikerinnen im Kittel hantieren, und den grellen Fashion-Studios, die während der Tattoowelle entstanden, erzählt man sich Horrorgeschichten von Dilettantismus und Hygienemangel.
Besonders die Nagelmodellage mit Acryl, also das Anbringen künstlicher Fingernägel aus robustem Kunststoff auf dem Naturnagel, erfordere Professionalität, so Sonja Waschke vom Fachgroßhandel Profi Nail Products aus Sulzbach. Die sogenannte Gelmethode, also die Aushärtung der aufgetragenen Kunststoffschichten unter UV-Licht, sei einfacher zu handhaben und daher auch besonders gefragt.
Die Schöneberger Hauptstraßen säumen unzählige Nagelstudios, viele davon sind Billigketten. Bei Pretty Nails in der Kaiser-Wilhelm-Passage riecht es beißend nach Lacken und Chemie, es wirkt nicht sehr sauber. Auf etwa fünfzehn Plätzen bearbeiten vietnamesische Frauen mit Mundschutz im Eilverfahren die Nägel von Schülerinnen und Hausfrauen. Deutsch scheint nur der Mann am Empfang zu sprechen, der verspricht: "Heute alles billiger." Fürs Wochenende "mal kurz schön machen" will sich eine Mittdreißigerin, der gerade ein Tigermuster auf den Nagelrand gesprüht wird. Sie hat beim Tagesangebot zugegriffen: Neumodellage mit Acryl für 20 Euro, dazu 7 Euro für das mit der Farbpistole applizierte "Airbrush-Design". Vier Wochen soll die Zierde halten.
Solche Angebote machen Sabrina Siebert wütend: Die amtierende deutsche und ehemalige Europameisterin im Naildesign betreibt ein Studio in Pankow. "Ich kenne den Preis dieser Billigarbeit: Nagelpilz, ruinierte Nägeln und entzündete Nagelbetten", sagt sie. Siebert, die selbst Wochenendseminare und Fortbildungen gibt, hat die Berliner Nail Academy gegründet, um Qualitätsstandards in der Ausbildung zu gewährleisten. Zusammen mit dem Bundesverband dringt sie auf bundesweite Anerkennung ihres Berufs durch die Handwerkskammer. Zur Qualitätssicherung, aber auch um die immer zahlreicheren frisch gebackenen Nagelunternehmerinnen vor sich selbst zu schützen.
Die Frauen, die zu ihr kämen, seien zwischen 25 und 50 Jahre alt: Quereinsteigerinnen, die nach einer Phase der Arbeitslosigkeit oder der Babypause ihr Glück mit Nägeln versuchen wollten. Viele suchten einen Nebenverdienst zum Halbtagsjob oder zu Hartz IV, ohne dabei hohe Hürden nehmen zu müssen. Eine Grundausstattung mit Tisch, UV-Lampe, Fräse und Arbeitsmaterial sei schon ab 2.000 Euro zu haben. Doch nur die wenigsten, die mit einem gemieteten Tisch in einem Nagel- oder Kosmetikstudio begannen, schafften es in die Gewinnzone. "Erst bei 30 Stammkundinnen im Monat und mindestens 35 Euro pro Nagelsatz lohnt es sich", weiß Siebert. "Unter 1.000 Euro im Monat ist es kein Geschäft." Dafür müsse man aber geübt, schnell und versiert sein. Ein Grund, warum viele, die sich das Hantieren mit Flüssiggel, Lack und Acryl selbst beigebracht hätten, bald wieder aufgeben müssten.
Siebert selbst ist nach zehn Jahren in der Branche mit allen Techniken und Trends vertraut. Bei den nächsten Fachmessen, "Tan and Nails" in Bozen und "Beauty Forum" in München, wird sie wieder zur Meisterschaft antreten. Ihr Motto: "Immer vorne bleiben und Spaß haben."
Das "Rose Nails" in der Potsdamer Straße ist auch ganz vorne dabei, zumindest bei der Deko: Pin-up-Girls im Fifties-Look und Spezialangebote locken nach drinnen. Nägel aus Fiberglas und Chinaseide, Zehenmodellage, Körperwickelmassage. Im Inneren sieht es recht bodenständig aus: Gerahmte Diplome der Inhaberin an der Wand, Kunstpalmen, auf einem Glastischchen drapierte Beauty-Zeitschriften. Die beiden jungen Frauen kommen aus Vietnam und sprechen passabel Deutsch. Für eine Naturnagelverstärkung im French-Design setzt die Frau erst Brille, dann Mundschutz auf. "Hygiene", erklärt sie bündig. Zuerst feilt sie die Spitzen, entfernt Nagelhaut, raut mit einer Fräse den Naturnagel auf, dann trägt sie unzählige Schichten Gel auf, die in einer Art Nagelsonnenbank mit UV-Licht bestrahlt werden. Am Ende sieht der Nagel länger und dicker aus. Und nun? "Die meisten Kundinnen wollen French, das sieht natürlich aus." Für den französischen Look werden weiße Halbmonde mit Pappschablone und Air-Brush-Gerät auf die Fingerspitzen gesprüht, der hintere Nagel in transparentem Rosa lackiert. "Was Schönes" fehlt aber noch, findet die Nageldesignerin. Und zieht mit einem feinen Pinsel eine silberne Glitzerborte zwischen Rosa und Weiß. Nach einer guten Stunde sehen die Nägel aus wie kleine Cremetörtchen. Macht 31 Euro.
Für etwas weniger kann man bei Nicole Burmeister eine original French Manicure bekommen. Die 25-Jährige lackiert Nägel im Edelkaufhaus Galeries Lafayette an der Friedrichstraße. Extravaganzen wie Air Brush und Nagelpiercings überlässt sie den Kolleginnen, bei ihr gibt es nur traditionelle Maniküre. Die ist dafür professionell: Die gelernte Kosmetikerin betreibt im Auftrag der Schweizer Marke Mavala seit einem Jahr ein 1-Frau-Nagelstudio zwischen Kosmetik-und Parfümständen. Über Mangel an Kundschaft kann sie sich nicht beklagen, auch die 30-minütige Herrenmaniküre mit Nagelkonturverschönerung und Handmassage werde sehr gut angenommen. "Ein Bedürfnis nach gepflegten Nägeln haben eigentlich alle", sagt sie. Ihre eigenen sind sehr lang, von makelloser Form und lila lackiert. "Alles Natur", sagt sie stolz. "Mit Acryl können Sie mich jagen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken