piwik no script img

Nächster Lapsus beim EinheitsdenkmalDie unendliche Wippe

Erst zu teuer, dann zu fledermäusig – und nun droht auch noch die Insolvenz. Die Verzögerungen bei der Einheitswippe erinnern an das BER-Chaos.

Den Bau der Einheitswippe vor dem Berliner Schloss fanden nicht alle toll (hier ein Protest von 2020) Foto: dpa

Berlin taz | Das, was an der Westseite des Berliner Schlosses – offiziell Humboldt Forum – schon längst fertig sein sollte, sieht im Dauergrau des diesjährigen Februars noch trister aus, als seine ganze Geschichte sowieso schon wirkt. Denn das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das an die friedliche Revolution von 1989 und die Wiedervereinigung erinnern soll, und außerhalb offizieller Publikationen nur unter „Einheitswippe“ läuft, könnte erneut einen Einweihungstermin reißen.

Denn nun droht laut Medienberichten jenem Unternehmen die Insolvenz, das seit Längerem am Kernstück des Ganzen baut: einer begehbaren 50 Meter langen Schale, die mit Schwingungen zeigen soll, dass Menschen etwas in Bewegung bringen können. Immerhin: Es ist keine Berliner Firma, sondern eine aus Nordrhein-Westfalen – sonst würde die sowieso schon lange Saga vom angeblich nichts hinbekommenden Berlin noch ein Kapitel länger.

Angeblich steht nötigenfalls eine andere Firma bereit, um einzuspringen und die ­offenbar zu 85 Prozent fertige Schale noch ­dieses Jahr zu Ende zu bauen. Aber wer mag das schon glauben in einer Stadt mit BER-Trauma?

An diesem grauen Donnerstagmorgen jedenfalls ist zwischen Schloss und Spreekanal weiterhin eingezäunt nur der Sockel dieser Wippe zu sehen, der teils neu ist, teils aus den Resten eines Sockels besteht, auf dem mal ein 1950 zerstörtes Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. zu sehen war. Treppen und Stufen sind fertig, zwischen einem Bauwagen und Containern sind bloß noch kleinere Bauteile abgestellt, mutmaßlich für den Einbau der Schale.

Die Idee entstand 1998

1998 schon gab es erste Überlegungen für ein Erinnerungsdenkmal, 2007 fasste der Bundestag einen Beschluss dazu. Drei Jahre später wurde der Wippenentwurf eines Stuttgarter Architekturbüros ausgewählt. Der Bau selbst aber begann erst zehn Jahre später: Erst waren die Kostenschätzungen von 10 auf 15 Millionen hochgeschnellt, dann brauchten im Sockel gefundene Fledermäuse einer gefährdeten Art eine neue Heimat.

2022 hieß es dann, dass ein Metallbauunternehmen in NRW bereits an der Schale arbeiten würde. Die soll aus Stahl sein, mit Messing überzogen und darum unten goldig schimmern. Obendrauf soll es nüchterner zugehen: Da soll grauer Edelsplitt verhindern, dass Besucher ins Rutschen kommen. Dass die nicht von der Wippe fallen, sollen Geländer am Rand verhindern.

Wobei Wippe im Grunde der falsche Begriff ist. Denn der steht ja für jene Spielplatzkonstruktion, bei der ein Balken um eine mittige Achse mal links, mal rechts hochschwingt und mit dem anderen Ende auf einem Gummistück aufschlägt. Die Einheitswippe erinnert eher an eine sogenannte Nestschaukel, die voller Kinder hin und her schwingt.

Um in allem Schlechten noch etwas Gutes zu sehen: Dass die Causa Denkmal nunmehr über ein Vierteljahrhundert währt – und damit mehr als halb so lang, wie die DDR alt wurde – hält die Erinnerung an etwas sehr Schönes lebendig: an Michael Endes wunderbares Buch „Die unendliche Geschichte“. Dann wäre es auch nicht so schlimm, wenn die jüngste Wendung bei der Wippe nicht die letzte ist. Denn zumindest eine Herausforderung wartet ja noch: die 50-Meter-Schale ohne Schaden auf den Sockel am Schloss zu bringen. Aber wie heißt es in Endes Buch? „Doch dies ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Dieses bekloppte Spaßdenkmal sollte nie gebaut werden.

    Jeder normale Mensch sieht sofort, was passieren wird: kreischende Schulklassen auf Berlinfahrt rennen hin und her und versuchen das Ding in möglichst heftige Schwingungen zu versetzen. Folge: das Ding wird öfter kaputt sein als betretbar. Von der berlintypischen Verdreckung und Verlotterung drum herum ganz zu schweigen.

    • @Suryo:

      Ist es denn an sich schlecht, wenn kreischende Schulklassen sich ein zukunftsweisend gedachtes Denkmal aneignen und sinnlich erleben können?

      Warum darf ein Denkmal keinen Spaß machen?

      Die spaßfreien Varianten stehen ja nun schon genug rum.

      Man könnte es auch so bauen, dass diese Nutzung einkalkuliert wird.

      (Ok, wird in Berlin eher nicht passieren...)

      Verdrecken wird es, da haben Sie recht.



      Wie quasi alles in Berlin.

      Vielleicht kann man auch wippen, wenn es verdreckt und besprüht ist.

      • @rero:

        Das, was Sie „sich aneignen“ nennen, sehe ich eher als Kaputtspielen. Das Ganze wird zum Spassevent. So wie mittlerweile fast die ganze Stadt. Warum ist es denn so verdreckt in Berlin? Warum gibt es so gut wie keine Fläche ohne Grafitti, keinen Park ohne Zerstörungen? Weil eine Minderheit meint, in Berlin ginge einfach alles und das alles nur zu ihrem Vergnügen da sei. Und es gibt ja auch fast nie Konsequenzen.

        Dieses Spassdenkmal erinnert niemanden an die friedliche Revolution. Es erinnert an die Vermarktung Berlins als Event.

        Nebenbei: auch das Mahnmal für die Ermordung der Juden wird gerne mal „sich angeeignet.“ Shahak Shapira machte mal aus den Selfies von Touris vor dem „coolen“ Hintergrund des Mahnmals und den Bildern von fröhlich über die Stelen turnenden Kids die Webseite „Yolocaust“.

    • @Suryo:

      Sehe ich genauso.

      Der Sinn vons Janze:

      " Es ist als begehbares kinetisches Objekt konzipiert, dessen Erscheinungsbild die Besucher mitgestalten und das sie sich dadurch aktiv aneignen. Sie müssen sich verständigen und zu gemeinsamem Handeln entschließen, um etwas zu bewegen: Erst wenn sich auf einer Schalenhälfte mindestens zwanzig Personen mehr zusammenfinden als auf der anderen, beginnt sich die Schale langsam und sanft zu neigen."

      Oder: Wie die DDR aus der Geschichte geschaukelt wurde.

      de.wikipedia.org/w...nd_Einheitsdenkmal

      Der ehemaligen Ministerin für Volksbildung hätte es womöglich auch gefallen. Natürlich im Sinne eines sozialistischen Moves.

      Und wieder einmal zeigt Berlin, was es kann:

      Nüschte.

      • @Jim Hawkins:

        „Sie müssen sich verständigen und zu gemeinsamem Handeln entschließen, um etwas zu bewegen“

        Spätestens seit den per Telegram und WhatsApp koordinierten Demos von Querdenkern und Co bekommt das einen Beigeschmack. Verständigung geht auch über bloßes Bauchfühlen.