Nachwahl in Ungarn: Regierung verliert Zweidrittelmehrheit
In Veszprem konnte Oppositionskandidat Zoltan Kesz der Partei Viktor Orbáns ein Mandat abringen. Dem Premier ist so die Macht zur Verfassungsänderung flöten gegangen.
VESZPREM/BUDAPEST dpa | Die ungarische Regierungspartei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán hat ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament verloren. Bei einer Nachwahl in der westungarischen Stadt Veszprem errang der Oppositionskandidat Zoltan Kesz mit überraschend deutlichem Vorsprung das entscheidende Mandat, wie am Sonntag aus Angaben der Wahlbehörde hervorging.
Nach Auszählung von nahezu 100 Prozent der Stimmen lag Kesz am Abend mit 43 Prozent vor dem Fidesz-Kandidaten Lajos Nemedi, der 34 Prozent auf sich vereinen konnte. „Die Wähler in Veszprem haben die Erwartungen des ganzen Landes erfüllt und die Zweidrittel-Herrschaft des Fidesz beendet“, sagte Kesz. Der neue Abgeordnete ist parteilos und wurde von linken und liberalen Oppositionsparteien unterstützt.
Erforderlich wurde die Nachwahl, weil der bisherige Mandatsträger Tibor Navracsics als EU-Kommissar nach Brüssel gegangen war. Mit ihrer Zweidrittelmehrheit hatte die seit 2010 regierende Fidesz-Partei eine neue Verfassung verabschiedet und zahlreiche Gesetze im Verfassungsrang geändert, darunter das Mediengesetz und die Wahlgesetze.
Navracsics und der unterlegene Nemedi gratulierten Kesz am Abend. „Der Wähler hat immer recht“, sagte Navracsics im Fidesz-nahen Nachrichtensender Hir TV. In der Regierungspartei habe man nicht erwartet, dass das Veszpremer Mandat verloren gehen werde. Bei der Parlamentswahl im April 2014 hatte er das Direktmandat aus Veszprem noch mit 20 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen.
Kritiker werfen Orbán autoritäre Tendenzen vor. Seine Anlehnung an das Russland von Wladimir Putin erregt bei den Bündnispartnern EU und Nato Argwohn.
Zugleich hatten in den letzten Monaten Bürgerproteste Orbáns Herrschaftsstil infrage gestellt. Kesz war im vergangenen Herbst einer der Organisatoren einer Demonstration in Veszprem. In der 60.000 Einwohner zählenden Stadt waren mehr als 500 Bürger auf die Straße gegangen, um ihren Unmut über Orbán auszudrücken.
Der Politologe Attila Juhasz sagte am Abend dem oppositionsnahen Fernsehsender ATV, dass der Wahlausgang in Veszprem große Bedeutung habe. „Für die Orbán-Regierung ist das ein Zeichen, dass im Land derzeit eine starke Proteststimmung herrscht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!