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Nachwachsende Probleme

In Nordkamerun kämpfen Baumwollbauern gegen Klimawandel, Insektenplage und Terrorgruppen. Und gegen sinkende Preise auf dem Weltmarkt. Statt auf den Staat zu warten, organisieren sie sich selbst

Mahamat Ahemat versucht die Bauern in Region technisch zu unterstützen. Der Staat ist weit weg

Aus Garoua Helena Kreiensiek (Text und Fotos)

Die Erde, über die Mahamat Ahemat läuft, ist knochentrocken. Nur einige wenige Büsche und Bäume stehen spärlich verteilt in der Landschaft, in der Ferne ragen Berge in den Himmel. Die Landschaft im Norden Kameruns ist karg, zumindest in der Trockenzeit. Mit dem ersten Regen aber kommt das Grün zurück. Mahamat Ahemats Blick schweift über das abgeerntete Feld vor ihm. Mit der Hand fährt er über einige wenige Stiele alter Baumwollpflanzen, die noch aus der Erde ragen. „Nach jeder Ernte werden die alten Baumwollfelder abgebrannt, damit sich keine Schädlinge einnisten können“, erklärt er und weist auf das Nachbarfeld. Dort formen dünne Reihen von aufgeschichtetem Geröll und Erde kleine Barrieren. Zum Schutz vor dem nächsten Starkregen sind die Felder in Terrassen angelegt, die Steinwälle verhindern das Wegspülen des Bodens. Von der Baumwolle, die dort in der letzten Saison gewachsen sind, ist nichts mehr zu sehen.

„Die Pflanzen werden mit jeder Saison neu ausgesät“, erklärt Ahemat. Typischerweise werde damit im Mai oder Juni angefangen, je nachdem wann die ersten Tropfen fallen. Als stellvertretender Leiter des „Service für Professionalisierung“ der Firma Sodecoton ist Ahemats Abteilung dafür zuständig, Kameruns Baumwollbauern technisch zu begleiten: von der Auswahl des Saatguts über Schulungen zu nachhaltigen Anbaumethoden bis hin zur Beratung bei Schädlingsbekämpfung und Erntetechniken. Mit etwa 2.500 festangestellten Mitarbeitern und mehr als 3.500 Saison- und Gelegenheitsarbeitskräften ist die parastaatliche Baumwollfirma der größte Arbeitgeber in den drei nördlichen Provinzen des Landes.

Rund 115.000 Tonnen Baumwollfaser hat Sodecoton nach eigenen Angaben 2024/25 produziert. Eine Leistung, mit der die Firma rund 15 Prozent zum landwirtschaftlichen Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Doch gerade in den Produktionshochburgen Nord, Äußerer Norden und Adamaoua zeigt sich, wie anfällig das Ganze ist. Als Teil der Sahelzone gehört die Region zu den weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffenen Gebieten. Immer unberechenbarere Regenzeiten, ausbleibende Niederschläge und Bodenerosion setzen auch dem Baumwollbauern zu. Obwohl Kamerun zu einem der Länder mit den höchsten Baumwollerträgen in ganz Afrika gehört, leidet vor allem die Bevölkerung in den Anbauregionen unter chronischer Armut.

„Früher konnten wir uns auf die Jahreszeiten verlassen. Heute kommt es vor, dass wir mit dem ersten Regen pflanzen und dann wieder eine Trockenperiode kommt. Dann ist die ganze Aussaat verloren“, sagt Ahemat. In seinem luftigen blauen Boubou, ein traditionelles westafrikanisches Gewand, hebt er sich scharf von den Farben der Landschaft ab. Die Temperaturen kratzen an diesem Tag an der 40-Grad-Marke. Während Mahamat Ahemat der Schweiß von der Stirn rinnt, sind es genau diese Konditionen, in denen sich die Baumwollpflanze wohl fühlt. Rund 200 Sonnentage braucht es, damit die wertvolle Naturfaser gedeiht – vorausgesetzt, es regnet.

Der Verkauf der Baumwolle ist für viele Familien eine feste Einkommensquelle, doch die Anbaubedingungen sind hart. Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung bleibt die Lebensrealität vieler Baumwollbauern prekär. Um ihre Situation zu verbessern, arbeitet Sodecoton seit Jahren mit der deutschen Initiative „Cotton made in Africa“ (CmiA) zusammen. Gut sichtbar hängt das Logo auf dem Werksgelände der Entkörnungsanlage bei Garoua. Es scheppert laut, als der nächste Laster anrückt und rückwärts an die Entladestation fährt. Auf dem riesigen Werksgelände herrscht ein konstantes Treiben. Aus dem Inneren der Entkörnungsanlage ist das gleichmäßige Stampfen und Rütteln der Maschinen zu hören, die die frisch angelieferte Baumwolle reinigen und sortieren. Nur wenige Stunden dauert es, bis die Baumwolle den gesamten Prozess durchlaufen hat und in Ballen abgepackt im Innenhof aufgereiht wird. Fertig für die Reise nach Asien. Der Großteil der in Kamerun produzierten Baumwolle wird in Länder wie Bangladesch, China oder Indonesien geliefert, wo die Rohfaser weiterverarbeitet wird.

Mit dem CmiA-Standard geht die Verpflichtung auf bestimmte soziale, ökologische und ökonomische Standards einher. Auch eine faire Entlohnung gehört zu den Prinzipien.

„Früher konnten wir uns auf die Jahreszeiten verlassen. Heute kommt es vor, dass wir mit dem ersten Regen pflanzen und dann wieder eine Trockenperiode kommt. Dann ist die ganze Aussaat verloren“

Mahamat Ahemat, technischer Berater

Um das zu erreichen, zahlen Marken wie Aldi Süd, Ikea oder Tchibo Lizenzgebühren für zertifizierte Baumwolle. Die beträgt zurzeit weniger als einen Cent pro Kleidungsstück. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Roger Peltzer, unabhängiger Agrarberater und Baumwollexperte. Eigentlich brauche es mindestens fünf Cent pro Kleidungsstück, womit vor Ort schon viel bewegt werden könne. „Um einer durchschnittlichen Familie mit neun Personen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, wären rund 424 US-Dollar monatlich nötig“, erklärt Peltzer, der an der Studie über den sogenannten „Living Income Gap“ beteiligt war. Tatsächlich liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Produzenten jedoch bei nur etwa 50 Prozent davon, in manchen Fällen sogar gerade mal bei 25 Prozent. Etwa die Hälfte des Einkommens stammt dabei aus dem Baumwollverkauf. Die andere Hälfte wird durch den Anbau von Erdnüssen, Gemüse oder anderen Agrarprodukten dazuverdient.

Die Studie von Sodecoton, gemeinsam mit kamerunischen Rechercheinstitut Iresco und der Afriland Bank First, bringt zum ersten Mal schwarz auf weiß auf Papier, was die Bauern der Region längst wissen: Das Einkommen reicht nicht.

Ein zentraler Grund dafür sind die Preise. Diese werden nicht in Kamerun, sondern an internationalen Börsen festgelegt. Wenn diese sinken, wirkt sich das unmittelbar auf die Einkommen der Produzenten aus. Gleichzeitig konkurriert die Handarbeit auf den afrikanischen Baumwollfeldern mit vollautomatisierten Großfarmen in Brasilien, China, den USA und Australien. Hinzu kommen hohe Transportkosten. Auch wenn Kamerun mit Douala und Kribi gleich zwei große Häfen besitzt, ist der Weg von den Anbaugebieten im Norden bis zur Küste weit. Schlecht ausgebaute Straßen, ein kaum existentes Eisenbahnnetz und eine unzuverlässige Fluggesellschaft tun ein Übriges.

„Der Baumwollmarkt ist noch dazu schlicht übersättigt. Es gibt sehr viele Länder, die im Anbau aktiv sind, weil es eine gute Beschäftigungsmöglichkeit für die Landbevölkerung ist. Aber unter anderem deshalb ist der Preis, der gezahlt wird, wahnsinnig niedrig“, sagt Sabine Ferenschild, wissenschaftliche Mitarbeiterin zu textilen Wertschöpfungsketten am Rechercheinstitut Südwind.

Go East: Rohe Baumwolle wird nach der Ernte in Asien weiterver­arbeitet

Für die Bauern paaren sich die niedrigen Preise mit stetig steigenden Kosten für Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger und Pestizide. Hinzu kommt eine massive Schädlingsplage. Seit Anfang der 2020er Jahre breiten sich die ursprünglich aus Südostasien stammenden Jassiden in ganz Westafrika aus. Vor allem Baumwolle wird von den Schwärmen angegriffen, aber auch vor Okra, Auberginen und anderen landwirtschaftlichen Produkten machen die winzigen Parasiten in Form von Heuschrecken keinen Halt. Komplette Ernten können dabei in kürzester Zeit vernichtet werden. Für die Bauern der Region ein Desaster.

Der Umgang mit den Schädlingen gestaltet sich schwierig, denn die Situation ist relativ neu, und bewährte Strategien fehlen. Zwei 2022 neu entdeckte Jassidenarten zeigten sich zudem resistent gegen gängige Pestizide und breiten sich umso aggressiver aus. Hoffnung machen zwei spezielle Insektizide, die auf das Saatgut ausgebracht werden können. Die sind bislang allerdings nicht in Kamerun nicht zugelassen. Der Verband der Baumwollbauern drängt auf eine Freigabe. Doch während bürokratische Mühlen dafür bekannt sind, langsam zu mahlen, drehen sie sich in Kamerun oft gar nicht.

Seit Jahrzehnten ist Kameruns politische Landschaft von Stillstand geprägt. Präsident Paul Biya, heute stolze 92 Jahre alt, regiert das zentralafrikanische Land seit 1982 und ist damit einer der am längsten amtierenden Präsidenten der Welt. Viel Zeit, um ein autoritäres System zu etablieren, in dem demokratische Institutionen ausgehöhlt, politische Gegner kaltgestellt und Medienfreiheit stark eingeschränkt werden konnten. Im Oktober soll gewählt werden. Vieles deutet darauf hin, dass Biya auch weiterhin die Zügel in der Hand halten wird.

„Wer eine gute Ernte hatte, sollte das nicht offen zeigen, ansonsten gerät man schnell ins Visier der Entführer“

Moussa Hina, Baumwollbauer

Es ist eine Politik des Machterhalts, die über die letzten 43 Jahre tiefe Spuren hinterlassen hat. Entscheidungen ziehen sich über Jahre hin und Reformen versanden im Verwaltungsapparat. Der lähmende Status quo wirkt sich auch auf den Baumwollsektor aus. Neue Ansätze bleiben oft an regulatorischen Hürden hängen. Stattdessen organisiert sich die Bevölkerung selbst. Kooperativen werden gebildet, um sich gegenseitig zu unterstützen und Aufgaben übernommen, die eigentlich in der Hand des Staates liegen sollten. So berichtet Baumwollbäuerin Ruth Ndin Divai, dass ihre Frauenkooperative von dem beiseitegelegten Geld zusätzliche Lehrer für die Dorfschule bezahlt. Seit Jahren entsendet der Staat zu wenig Lehrer, vor allem in ländliche Gebiete. Damit ihre Kinder dennoch zur Schule gehen können, ist es nicht unüblich, dass die Anstellung eines zusätzlichen Lehrers gemeinsam finanziert wird.

Auch auf dringende Sicherheitsfragen findet die Regierung keine Antworten. Im äußersten Norden Kameruns – dort, wo auch der Großteil der Baumwolle angebaut wird – ist die Bevölkerung immer wieder Angriffen ausgesetzt. Teils durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, teils durch Banditen. Die Methoden unterscheiden sich dabei kaum voneinander: Felder werden geplündert, Vieh gestohlen und Menschen entführt, um sie gegen hohe Lösegeldsummen freikaufen zu lassen. Während die Übergriffe von Boko Haram in Kamerun eine Zeit lang abgeebbt waren, habe sich die Zahl der Lösegeld-Entführungen 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, sagt Ladd Serwat von Acled, einer Organisation, die weltweit Daten zu politischer Gewalt und Konflikten sammelt.

Feiner Stoff, prekäre Bezahlung: Baumwolle trägt in Kamerun einen großen Teil des BIP bei. Leben können die Bauern davon kaum

Möglicherweise hänge dies mit der Operation „Haskanite“ des tschadischen Militärs zusammen, die Ende 2024 viele Boko-Haram-Kämpfer aus Tschad nach Kamerun und Nigeria zurückgedrängt hatte. Für Bauern wie Moussa Hina hat das konkrete Folgen: „Wer eine gute Ernte hatte mit vielen Einnahmen, sollte das nicht offen zeigen, denn ansonsten gerät man schnell ins Visier der Entführer“, erzählt er. Insbesondere in der Phase der Verkäufe an Sodecoton würden die Entführungen zunehmen, „dann haben die Leute Geld zu Hause“, berichtet Moussa Hina.

Um die Bauern besser zu schützen, fördert Sodecoton daher inzwischen die Gründung von Genossenschaftsbanken. Ziel ist es, die Bargeldflüsse zu minimieren, insbesondere während der heiklen Verkaufsperiode. Statt große Summen zu Hause unter der Matratze aufzubewahren, sollen die Produzenten ihr Geld direkt auf Konten erhalten und es bei Bedarf sicher abheben können, erklärt Francois Kemai. Als Geschäftsführer der Genossenschaftsbank Mufid in der nordkamerunischen Kleinstadt Pitoa leitet er die bescheidene Filiale im Herzen des Ortes.

Nur wenige Schritte entfernt drängt sich an diesem Vormittag ein Strom von Menschen und Tieren über den staubigen Marktplatz. Es ist Viehmarkt. Die lautstarken Preisverhandlungen und Rufe der Händler mischen sich mit dem Muhen der Rinder. „Viele unserer Kunden kommen mittlerweile direkt nach dem Markt zu uns, um ihr Geld einzuzahlen“, sagt Kemai. Eine schwere Tresortür beschützt die mühsam angesparten Einlagen ihrer Mitglieder. Als Teil eines Netzwerks von Genossenschaftsbanken ist Mufid auf Mikrofinanzierung spezialisiert und bietet vor allem für die Kleinbauern der Region Spar- und Kreditprodukte an. Gleichzeitig soll so das Risiko gesenkt werden, zur Zielscheibe von Entführungen oder Überfällen zu werden.

Unterstützung gibt es dafür auch aus Deutschland. So fördert das Hilfswerk Misereor ebenfalls die Entwicklung neuer Mufids, und der deutsche Genossenschaftsverband DGRV berät rund um Themen der Agrarfinanzierung. Im Kern aber ist Mufid ein kamerunisches Modell, das sich immer mehr in den Gemeinden des Nordens verwurzelt. Es ist auch ein Modell, das sinnbildlich für einen breiteren Trend steht. Statt auf den Staat zu warten, werden pragmatische Wege gefunden, um mit den bestehenden Herausforderungen umzugehen. Baumwolle ist dabei eine der zentralen Stellschrauben, an denen gedreht wird.

Die niedrigen Löhne, der oft hohe Pestizideinsatz und problematische Arbeitsbedingungen haben das Image der Baumwolle ziemlich ramponiert. Dabei ist die Pflanze vielfältig einsetzbar, speichert CO2 und bietet als robuster Rohstoff Millionen von Kleinbauern weltweit ein Einkommen. Moussa Hina ist einer davon. Als Repräsentant für die Baumwollbauern aus seiner Heimatregion berichtet er, dass viele seiner Kollegen gerne in einen Traktor investieren würden, um die Arbeit zu erleichtern und die Produktivität zu steigern. Mehr Baumwolle, mehr Verkäufe, mehr Geld, so die Rechnung.

Ob das die langfristige Lösung ist, bezweifelt Sabine Ferenschild vom Rechercheinstitut Südwind: „Wegen des Überangebots könnten dann die Preise noch mehr fallen.“ Eine effizientere Produktion sei das eine, doch bräuchte es vor allem eine Preisbildung, die die reellen Lebenshaltungskosten berücksichtigt. „Ein Preis, der unterhalb der Lebenshaltungskosten liegt, ist eigentlich ein unmoralischer Preis“, sagt sie.

So sehen es auch die Verfasser der Studie über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Baumwollbauern. Demnach braucht es eine gemeinsame Strategie, die die Widerstandsfähigkeit der Baumwollbranche nachhaltig stärkt. Leistungssteigerung und Zugang zu Finanzdienstleistungen zum einen, aber auch die Diversifizierung der Betriebe. 15 Millionen Euro sollen in den nächsten fünf Jahren investiert werden, ein Drittel davon wollen die Antragsteller selbst aufbringen. Knapp 10 Millionen sollen durch externe Geber aufgebracht werden. Langfristig sollen große Marken dazu bewegt werden, höhere Preise zu zahlen. Dass dies bereits seit Jahren versucht wird, macht es nicht einfacher. Die Studie aber liefert erstmals belastbare Daten. Und damit einen Anfang.

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