piwik no script img

Nachspiel zur Rummelsburger BuchtMit zynischem Kalkül

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Es gab keine geheimen Deals. Doch nach Räumung des Camps an der Rummelsburger Bucht bleiben nach Einsicht in offiziellen Schriftverkehr Fragen.

Das Obdachlosencamps an der Rummelsburger Bucht wurde Anfang Februar dennoch geräumt Foto: dpa/Jörg Carstensen

K leiner Rückblick auf Anfang Februar: Die kälteste Woche des Winters steht bevor, die Temperaturen sinken weit in den Minusbereich und massiver Schneefall kündigt sich an. In einer überraschenden Hauruckaktion beschließt der Bezirk Lichtenberg, das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht zu evakuieren. Die nächtliche Evakuierung bedeutete gleichzeitig das Ende des Camps, indem geschätzt hundert Menschen wohnten. Schon am nächsten Tag rückten die Bagger an, um das Camp dem Erdboden gleichzumachen. Hat der Bezirk Lichtenberg auf Drängen der Eigentümerin Coral World, die auf dem Grundstück ein Aquarium errichten will, das Camp geräumt?

Der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Soziales, Kevin Hönicke, verneint vehement, dass es im Vorfeld der Räumung Deals oder geheime Absprachen mit Coral World gegeben hätte. Auch bekräftigt er, dass es sich nicht um eine Räumung, sondern lediglich um eine Evakuierung des Geländes gehandelt habe. Für die Räumung, wie Hönicke immer wieder betonte, war allein die Grundstückseigentümerin Coral World verantwortlich.

Um die Vorwürfe zu entkräften, hat Hönicke einen Teil des offiziellen Schriftverkehrs auf Anfrage der taz in dieser Woche zukommen lassen. Auch wenn Einsicht in die Akten weitere Erkenntnisse bringen könnte, ist es wahrscheinlich, dass er recht behalten könnte: Keine geheimen Deals. Und aus rein rechtlicher Sicht war die Evakuierung keine Räumung.

Doch die Dokumente zeigen auch, mit welch zynischem Kalkül die Entscheidung zustande kam. Nur wenige Wochen zuvor forderte Coral World den Bezirk auf, die Fläche zu räumen. Hönicke muss also bewusst gewesen sein, dass eine Evakuierung auch das Ende des Camps bedeuten würde. Der Bezirksstadtrat selbst forderte Coral World am Morgen nach der Evakuierung dazu auf, einen Bauantrag zu stellen und zu verhindern, dass wieder Menschen auf das Gelände kommen.

Bezirk fürchtete womöglich unschönen Bilder

Dass das Camp irgendwann geräumt werden musste, war auch den Be­woh­ne­r*in­nen klar. Die meisten hätten sich sicherlich neue Orte gesucht, hätte man ihnen rechtzeitig Bescheid gesagt. Doch der Bezirk fürchtete womöglich die unschönen Bilder, die entstanden wären, hätte man mit Polizeigewalt Obdachlose für den Bau einer sinnlosen Touristenattraktion wegprügeln müssen.

Der Wintereinbruch war hingegen ein willkommener Anlass, eben weil er nicht nur ein vorgeschobener Grund war, sondern eine reale Gefahr darstellte: ein Feuer oder massive Schneemassen hätten verheerend in dem Camp sein können. So konnte sich der Bezirk am Ende noch als Wohltäter präsentieren.

Die großen Ver­lie­re­r:in­nen dieses Spiels sind die ehemaligen Be­woh­ner:in­nen. Kaum einer von ihnen wurde rechtzeitig informiert, viele erfuhren erst nachts von der Räumung, als sie von der Polizei nicht mehr auf das Gelände gelassen wurden. Etliche verloren nicht nur ihr Zuhause, sondern auch das wenige an Eigentum, was sie über die Jahre im Schutze des Camps zusammensammeln konnten: Zelte, Planen, Isomatten, Gaskocher und persönliche Erinnerungsstücke. Verantwortung dafür übernommen hat der Bezirk bis heute nicht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!