Nachruf auf einen Entdecker: Enzyklopädie des Spiels
Der Fußball der Frauen war das Lebensthema des Journalisten Rainer Hennies. Er hat es schon beackert, als es für andere noch Niemandsland war.
In diesen Tagen der Fußball-WM der Frauen würde Rainer Hennies zum Telefonhörer greifen, die Sportredaktion auch der taz anrufen und ganz gewiss eine Geschichte über Beverly Ranger und ihre sportlichen „Erbinnen“ anbieten. Zum Überraschungsteam aus Jamaika würde er nicht aufschreiben, was es jetzt gerade ausmacht in ihrer defensiven Stabilität, die sie ohne Gegentor ins Achtelfinale getragen hat.
Rainer Hennies, gewiss ein Unikum, würde weit in die Vergangenheit zurückblicken, als jene Beverly Ranger der erste echte Star im deutschen Frauenfußball war. Auf irgendwelchen Wegen, die Hennies genau beschreiben könnte, fand die Jamaikanerin vor fünf Jahrzehnten nach Deutschland, erzielte 1975 in ihrem unnachahmlichen Stil als Dribbelkönigin ein Tor des Monats und prägte die frühen Jahre des deutschen Frauenfußballs vor allem im Trikot der SSG Bergisch-Gladbach.
Der längst untergegangene Klub ist bis heute Rekordmeister. Das Ausscheiden des deutschen Teams würde ihn derweil gar nicht so sehr beschäftigen. Hennies würde vermutlich stattdessen einen Text verfassen zur Entwicklung des marokkanischen Nationalteams, das vom sportlichen Desaster der deutschen Frauen profitiert hat.
Aber Rainer Hennies ist im Juli gestorben, kurz vor dem Turnier. Er wurde nur 63 Jahre alt, Krankheiten hatten seinem Körper zu stark zugesetzt. Seinem Gemüt und seiner Begeisterung für den Fußball der Frauen aber konnten sie nichts anhaben.
Neugierige Freude
Menschen, die noch zuletzt Kontakt mit ihm hatten, bestätigen, dass er sich seine neugierige Freude bewahrt hat. Diese Einstellung war es, die ihn schon in den achtziger Jahren zum Frauenfußball geführt hatte. Die ersten Länderspiele eines deutschen Nationalteams waren so etwas wie journalistisches Niemandsland. Außer Hennies befasste sich niemand intensiver mit der zarten Pflanze, die da heranwuchs.
Hennies war auch der einzige Journalist, der beim einzigen Länderspiel einer DDR-Auswahl im Mai 1990 gegen die Tschechoslowakei zugegen war. Er kannte alle und jede. Gelegentlich bahnte er ausländischen Spielerinnen gar den Weg in die Bundesliga, nicht als Spielerberater, eher als Idealist.
Hennies war dabei kein unkritischer Begleiter, aber ein Verfechter des Rechts der Frauen auf Fußball. Und er schrieb Geschichten auf, die sich gelegentlich wie Märchen aus tausendundeiner Nacht gelesen haben, wenn in der arabischen Welt allen gängigen Vorurteilen zum Trotz Mädchen und Frauen gefördert wurden. Er schrieb das nicht ideologisch aufgeladen auf, sondern aus einer Grundhaltung, die man wohl humanistisch nennen darf.
2007, nach einer denkwürdigen WM in China, überredete ich Rainer, gemeinsam mit mir als Novizen in „seinem“ Revier ein Standardwerk über den Frauenfußball zu verfassen. Das Buch wäre ohne ihn undenkbar gewesen. Unvergessen ist eine gemeinsame Recherchereise zum Algarve-Cup nach Portugal, damals so etwas wie der Szenetreffpunkt der Welt des Frauenfußballs.
Weltweit wohl einzigartig, nun fast verloren
Nahezu jede Akteurin, die irgendeine Bedeutung hatte, seien es Trainerinnen, Spielführerinnen oder die Schiedsrichterchefin, kannte Rainer Hennies, alle begegneten ihm mit Offenheit, als männliche Eindringlinge in die noch recht verschlossene Szene oftmals noch beargwöhnt wurden. Rainer Hennies aber war akzeptiert, weil er wusste, worum es ging.
Zuletzt, als der Fußball der Frauen allzu oft politisch aufgeladen und die Entwicklung andererseits aus seiner Sicht allzu unkritisch begleitet wurde, schüttelte er gewiss des Öfteren den Kopf. Ihm fehlte bei manch schnellem Urteil die Tiefe des Hintergrundwissens. Dieses Wissen, eine Enzyklopädie des Fußballs der Frauen, weltweit wohl einzigartig, ist nun fast verloren. Nur in seinen Texten lebt es weiter.
Daniel Meuren war lange Jahre journalistischer Begleiter des Frauenfußballs für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Gemeinsam mit Rainer Hennies hat er das Standardwerk „Frauenfußball – Aus dem Abseits an die Spitze“ verfasst.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!