Nachruf auf Udo Reiter: Ein vollendetes Lebenswerk
Udo Reiter baute mit dem MDR das erfolgreichste Dritte Programm auf. Das Recht, sein eigenes Ende zu bestimmen, hat er immer verteidigt.
BERLIN taz | Hat er es nun doch getan? Jeder, der Udo Reiters Autobiografie „Gestatten, dass ich sitzen bleibe“ gelesen hat, wird wohl diesen Gedanken gehabt haben, als die Nachricht kam, dass der langjährige, frühere Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) tot auf seiner Terasse in Gottscheina bei Leipzig gefunden wurde. Neben ihm soll eine Waffe gelegen haben. Fremdverschulden schließt die Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.
Hat er nun doch? Schon vor Jahren hatte Reiter seinen Suizid geplant. Damals, nach seinem schweren Autounfall im Jahr 1966. Reiter lag lange im Krankenhaus. Er war querschnittsgelähmt. „Ich weiß noch genau, wie ich mir eines Abends im Studentenwohnheim dachte: So, das soll es jetzt sein“, erzählte Reiter im vergangenen Jahr im taz-Interview: „Ich hab mir noch ein Bier aufgemacht, einen Brief an meine Eltern geschrieben, den Revolver bereitgelegt, und in dem Moment habe ich gemerkt, dass ich gar nicht tot sein will.“
Reiter lebte sein Leben weiter – und wie. Er ging zum Hörfunk des Bayerischen Rundfunks, wurde dort Chefredakteur und stieg 1986 gar zum Hörfunkdirektor auf. Und dann machte er Anfang der 90er Jahre rüber, um in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt den MDR aufzubauen. „Etwas auszuprobieren, wo die Wege nicht so eben sein würden, das hat mir Spaß gemacht“, sagte Reiter. Im Westen schüttelten die alten Kollegen den Kopf über Reiters Abgang. In Leipzig nahmen sie ihn an: als Mischung aus Besserwessi und Behindertem.
Doch Reiter blieb. Und blieb. Und blieb. Er baute den MDR auf – und zockte dabei von Beginn an. „Sagen wir lieber: Ich habe eine spielerische Ader“, diktierte Reiter im vergangenen Jahr an seinem Esstisch. Dabei tat er genau das: Er zockte mit der Kohle, die er zum Aufbau der öffentlich-rechtlichen Dreiländeranstalt hatte. 560 Millionen Mark waren einfach zu wenig. Also investierte er. „In alles“, wie er freimütig sagte: „In Fonds, in Staatsanleihen. Wir waren ja unglaublich erfolgreich. Mit Ausnahme dieser Peanuts da in Ecuador.“
Viel Heimat, viel Volksmusik
Die Peanuts waren 2,6 Millionen Mark Verlust, die im Jahr 2000 bekannt wurden. Doch dagegen hätten seine Spekulationen dem Sender im selben Jahr 79 Millionen Mark Gewinn gebracht, „aber für die 2,6 Millionen hätten sie uns fast aufgehängt“. Haben sie aber nicht. Denn Reiter war damals fast unantastbar. Er hatte es geschafft, den MDR aus den Trümmern des untergegangenen und von Spitzeln durchsetzten DDR-Rundfunks aufzubauen.
Während Mecklenburg-Vorpommern dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) zugeschlagen worden war, während die Fusion des brandenburgischen ORB mit dem Berliner SFB zum RBB vorangetrieben wurde, machte er aus der einzigen ausschließlich in den neuen Bundesländern beheimateten Rundfunkanstalt das quotenstärkste Dritte Fernsehprogramm der Republik – mit viel Heimat, mit viel Volksmusik. Der Bayer Reiter versorgte die Zuschauerinnen und Zuschauer in den drei Ländern mit einem ostdeutschen „Mia san mia“.
Das kam dort an. Und stieß anderswo auf Verachtung – wohl nicht zuletzt aus Neid. Denn keine andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt schaffte es, in ihrer Region so viele Zuschauer an sich zu binden wie Reiters MDR. Und so kopierten alle anderen sein Erfolgsrezept, wie die in den vergangenen Jahren immer weiter wuchernde Heimatbesoffenheit des Norddeutschen oder Hessischen oder Bayerischen Rundfunks zeigt.
Skandal beim Kinderkanal
Reiter blieb und blieb, doch sein Rückhalt bröckelte. Die leidigen Skandale. Erst flog Wilfried Mohren, der Sportchef des MDR, auf: Er hatte die Übertragung eines Hallenfußballturniers in Halle (Saale) an Zuwendungen vom Turnier-Hauptsponsor geknüpft. Eine Bewährungs- und Geldstrafe folgten. Danach hinterging Unterhaltungschef Udo Foht seinen Boss und wurde ebenfalls wegen Betrugs und Bestechlichkeit von der Staatsanwaltschaft Leipzig angeklagt.
Zuletzt unterschlug ein Herstellungsleiter des Kinderkanals über fünf Jahre hinweg 8,2 Millionen Euro. „Das ist das einzige Ereignis, das dem Begriff Skandal gerecht wird. Das war eine scheußliche Affäre, die mich auch persönlich getroffen hat. Der Kinderkanal war meine Idee, ich hatte viel dafür getan, dass der in Erfurt angesiedelt wird. Dass dann so ein Gauner das derartig diskreditiert, hat mich sehr getroffen.“
Am 26. Mai 2011 dankte Reiter als MDR-Intendant ab. Vier Tage später wurde seine – am 30. Mai 1991 gegründete – Anstalt 20 Jahre alt. Die große Feier war schon vorher abgesagt worden. „Aber was wir hingestellt haben, das steht“, sagte Reiter rückblickend.
Für die Sterbehilfe
Er hatte so etwas wie ein Lebenswerk und er hat es vollendet. Vielleicht hatte er das schon Jahrzehnte zuvor geahnt: Bei seinem ersten geplanten Suizid war „von irgendwoher die Vitalität durchgebrochen“, erzählte Reiter.
Doch für all diejenigen, die diese Vitalität nicht mehr spürten, forderte er Hilfe. Reiter kämpfte für ein Gesetz, das aktive Sterbehilfe erlaubt. „Niemand soll gezwungen sein, gegen seinen Willen ein Leben weiterzuführen, das er nicht mehr leben will“, schrieb er Anfang dieses Jahres in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung. „Ich möchte ganz allein entscheiden, wann es so weit ist und ich nicht mehr will, ohne Bevormundung durch einen Bischof, Ärztepräsidenten oder Bundestagsabgeordnete.“
Er malte sich in dem Gastbeitrag sogar sein eigenes Ende aus: „Ich möchte bei mir zu Hause, wo ich gelebt habe und glücklich war, einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt.“ Er hätte sich dafür ärztliche Hilfe gewünscht, doch die wurde ihm in Deutschland – bei ihm zu Hause – verwehrt. Udo Reiter hat sich erschossen.
Er hinterlässt seine zweite Ehefrau Else Buschheuer und seine Tochter aus erster Ehe.
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