Nachruf auf Phil Lesh von Grateful Dead: Der mit dem singenden Bass
Er ließ die Grateful-Dead-Idee einfach immer weiterleben. Phil Lesh, der Bassist der legendären US-Avantgarderock-Band, ist 84-jährig gestorben.
Die heute gängigen Techniken des Matchmaking dürften dem abenteuerlustigen Folk-Sänger und -Gitarristen Jerry Garcia unbekannt gewesen sein, als er sich 1965 in San Francisco Musiker für eine Band zusammensuchte. Also entschied er sich für einen trunksüchtigen Hell’s Angel als Frontmann und Organisten, einen klassisch ausgebildeten Violinisten, Komponisten und Jazz-Trompeter als Bassisten, einen minderjährigen R&B-Enthusiasten für die Schlagzeug-Position und einen noch jüngeren Schulabbrecher und Gitarrenanfänger, dessen Äußeres immerhin die gängigen Popstar-Erfordernisse erfüllte.
Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – schrieb diese heterogene Truppe, die sich zudem den sinistren Namen The Grateful Dead gab, eine der überzeugendsten Erfolgsgeschichten der Pop-Historie, baute sich kompromisslos eine ganz eigene stilistische Nische aus und blieb außerdem in dieser Formation zusammen, bis dass der Tod ein Bandmitglied nach dem anderen zu sich nahm.
Nun hat es wieder einen erwischt: Phil Lesh, Bassist. Der mit der klassischen Musikausbildung, wobei „klassisch“ einerseits Johann Sebastian Bach, andererseits die Nachkriegsavantgarde wie Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez oder Milton Babbitt hieß. Lesh, 1940 geboren, studierte zunächst in Berkeley, später am Mills College in Oakland unter dem italienischen Komponisten Luciano Berio, wo der spätere Minimal-Music-Papst Steve Reich einer seiner Mitstudenten war. In seiner Eigenschaft als musikalischer Direktor der San Francisco Mime Troupe bestellte Reich auch gelegentlich Kompositionen bei Lesh.
Jerry Garcia lernte er 1959 auf einer Party kennen. Garcia spielte dort ein paar Songs und Lesh war sofort fasziniert – obwohl Folk für Jazzer eigentlich nicht als ernst zu nehmende Musik galt. Und die Sympathie war gegenseitig. Als Garcia keinen passenden Bassisten zur Realisierung seiner Bandidee fand, beschloss er einfach, dass Lesh diese Aufgabe zu übernehmen hatte. Als Lesh zögerte, weil er schließlich noch nie Bass gespielt hatte, bügelte ihn Garcia ab mit den Worten: „Du bist ein Musiker, du lernst das schnell.“
Die Regeln der Tonalität brechen
Lesh lernte nicht nur schnell auf der Bassgitarre die Folk-, R&B- und Blues-Standards zu begleiten, die bis dahin das Repertoire der Band ausmachten, sondern entwickelte einen ganz eigenen singenden Bass-Sound. Außerdem brachte er die Band auf ganz neue Ideen – es war womöglich auch das, was Garcia mit seiner Casting-Entscheidung im Sinn hatte. Lesh spielte seinen Kollegen Charles Ives und John Coltrane vor, öffnete sie für die Vorstellung, dass Improvisation nicht nur reihum absolvierte Soli bedeuten muss, sondern auch im Kollektiv geschehen kann und dass die Regeln der Tonalität dazu da sind, gebrochen zu werden, wenn man neue Ufer erreichen will.
Inspiriert von Berio hatte sich Lesh auch Kenntnisse in Tontechnik und Elektronik verschafft und prägte damit entscheidend „Anthem Of The Sun“, das 1968 veröffentlichte zweite Album der Band, das sich vom gängigen Songformat komplett verabschiedete und eher eine psychedelische Collage aus Studio- und Live-Aufnahmen und elektronischen Klang-Manipulationen war.
Auch als danach die Band einen neuen Kurs einschlug und zusammen mit dem Textdichter Robert Hunter in wenigen Jahren einen einzigartigen Kanon an kunstvollen Country-Folk-Songs schuf, war Lesh zunächst an vorderster Front dabei, führte seine Kollegen in die Kunst des Satzgesangs ein und half bei den Kompositionen.
In den Folgejahren konzentrierte er sich vor allem darauf, aus dem Hintergrund bei den wilden Kollektivimprovisationen Regie zu führen. Zwischendurch fand er auch Zeit, seinen avantgardistischen Neigungen nachzugeben, etwa bei dem 1975 veröffentlichten Album „Seastones“ mit dem Avantgarde-Elektroniker Ned Lagin. Nach Garcias Tod 1995 ließ Lesh die Grateful-Dead-Idee in lockeren Kollektiven wie Phil Lesh & Friends und Furthur weiterleben und stand trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme bis zuletzt regelmäßig auf der Bühne. Er starb am 25. Oktober.
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