Nachruf auf No-Wave-Sängerin Cristina: Die Frau, die nicht zu haben war
No-Wave-Disco-Chanteuse Cristina ist am Mittwoch in New York an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Sie wurde 61 Jahre alt.
Wenn heute vom No-New-York- & No-Wave-Sound um 1980 geschwärmt wird, fällt der Name Cristina selten. Dominierende Künstlerinnen waren Lydia Lunch, Lizzy Mercier Descloux und die Jamaikanerin Grace Jones. Neben diesen Charismatikerinnen wurde Cristina von der Popkritik abgetan als Show-Pin-up, dem August „Kid Creole“ Darnell einige cheesy-sleazy Disco-Mutanten auf den attraktiven Leib geschneidert hat, kalkulierte Camp-Hits wie „Baby You Can Drive My Car“ von den Beatles.
Sexuelle Subtexte sind so eindeutig, dass man sich das „Sub“ sparen kann. Es braucht weitere clevere Dekonstruktionen von Klassikern wie „Is That All There Is“, bis Cristina Monet Zilkha, Sprößling einer US-französischen Intellektuellenfamilie, auch in breiteren Kreisen (an)erkannt wird: als Autorin ihrer selbst, auch und gerade wenn sie Songs von Männern interpretiert und den Genderspieß umdreht: Baby, du darfst mein Auto mal fahren, aber normalerweise sitze ich am Steuer.
Wie Grace Jones performt Cristina im Raum des Spekulativen, der Zweifel an ihrer künstlerischen Autonomie eher nährt als zerstreut: Selbst- oder Fremdinszenierung? Sie kann einfach nicht singen und klingt super; sie stellt sich zur Schau, ist aber nicht zu haben. Frauen wie Cristina revolutionieren um 1980 das Geschlechterrepertoire im Pop, raus aus dem binären Gefängnis: Rockröhre (Hure) oder folky Unschuld (Jungfrau).
Das Meisterinwerk von 1984
1984 erscheint Cristinas verkanntes Meisterinwerk „Sleep It Off“, mit Cut-up-Cover von Jean-Paul Goude. Im geschmeidigen New-Wave-Sound balanciert Cristina zwischen Sexploitation und Subversion von Sexploitation. Als „Executive Producer“ fungiert ihr damaliger Ehemann Michael Zhilka, Gründer des heißen New Yorker Labels ZE Records (Suicide, Lizzy Mercier Descloux).
Der Puppet-on-a-string-Falle entkommt Cristina, in dem sie ihre Rolle thematisiert. Sie singt von der „Lie of Love“, ihr „What’s a Girl to Do“ könnte als sarkastisches Prequel von Cyndi Laupers „Girls Just Wanna Have Fun“ durchgehen, sie spielt hedonistische Frauen in control, auch wenn sie ihren Körper für „Hurengeld“ verkauft, wie in Van Morrisons „Blue money“ oder in Brecht/Weills Ballade der „Immoral Earnings“. Am 1. April ist Cristina an den Folgen von Corona gestorben, sie wurde 61 Jahre alt.
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