piwik no script img

Nachruf auf Klaus HöhnkDas Glück der Annäherung

Der Bremerhavener Lehrer Klaus Höhnk hat bei vielen seiner Schüler eine Begeisterung für die Philosophie geweckt. Anfang August ist er gestorben.

Philosoph im Urlaub: Klaus Höhnk in der Campagna Foto: Renate Thiemann

„Was ist Glück?“ Mit dieser Frage fing er an, der Philosophieunterricht bei Klaus Höhnk. Dabei war es schon ein Glück, dass der Oberstufen-Grundkurs Philosophie stattfinden konnte, damals, im Sommer 1987, als ich in die 11. Klasse und an das Schulzentrum Geschwister Scholl in Bremerhaven-Lehe ging. Dass ich diesen Kurs unbedingt besuchen wollte, wusste ich schon, bevor ich mich jemals mit Philosophie beschäftigt hatte. Ich wusste es durch die Erzählungen meiner Eltern, die sechzehn Jahre zuvor Klaus Höhnk als Philosophielehrer am Bremerhavener Abendgymnasium begegnet waren.

Der Eindruck, den er auf sie hinterlassen hatte, war nachhaltig. Unsere „Hausbibliothek“ enthielt – ganz anders als in der Generation zuvor – zahlreiche philosophische Titel. Und es war wohl ein Nachhall des Höhnk’schen Philosophieunterrichts, dass mein Vater und meine Mutter neben ihrem Studium der Zahnmedizin weiter Philosophiekurse an der Universität belegten.

Es war also klar, dass man diesen Kurs in der Oberstufe nicht verpassen durfte. Mit einer Liste, auf der sich alle Interessent*innen eintrugen, hatten wir den Philosophiekurs, der eigentlich in diesem Jahr nicht vorgesehen war, dann doch zustande gebracht. Die Gruppe blieb Höhnk und der Philosophie bis zum Abitur – und in einigen Fällen auch darüber hinaus – treu. Ein paar von uns studierten Philosophie, zumindest im Nebenfach.

Mit Höhnk lasen wir Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und den marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz, wir bewegten uns Schritt für Schritt ins dialektische Denken, in die Anthropologie von Helmuth Plessner und andere philosophische Welten. Höhnk beschäftigte sich neben seiner Tätigkeit als Philosophie-, Latein- und Sportlehrer auch an der Universität Bremen mit philosophischen Debatten und brachte uns immer wieder auch Texte des dort lehrenden Philosophieprofessors Hans Jörg Sandkühler mit in den Unterricht.

Adorno am Nachmittag

Etwas später, in der 12. Klasse, gab es sogar noch einen zusätzlichen Intensivkurs, weil sich ein paar von uns nicht mit Eindrücken der Kritischen Theorie zufrieden geben wollten. Gemeinsam mit Höhnk tasteten wir uns am Nachmittag durch Adornos Negative Dialektik.

Was war so besonders an diesem Philosophieunterricht, dass wir statt im Café Blattlaus zu sitzen und mit unseren Freund*innen zu klönschnacken oder einfach zu Hause Musik zu hören, am freien Nachmittag lieber unsere Nasen in dieses komplexe Buch steckten? Was hat Klaus Höhnk als Lehrer ausgezeichnet? Nun, ein paar Tage, nachdem mir meine Mutter eine Traueranzeige, die von seinen Kolleg*innen in der Nordsee-Zeitung inseriert wurde, zugeschickt hat, versuche ich diese Fragen noch einmal aus einer Schüler*innenperspektive zu umkreisen.

Seine Fragen verstanden wir oft erst nach einigen Nachfragen und ich erinnere, wie unglücklich er war, wenn diese Annäherungen ins Leere liefen

Vielleicht war es die intellektuelle Herausforderung, die Adornos Text zweifellos für uns und in unserem Bremerhavener Horizont darstellte, vielleicht der tiefe Wunsch, uns immerhin durch die Schärfung unserer Gedanken und Argumente in der Welt zu orientieren, vielleicht war es aber auch die gelassene Ernsthaftigkeit, mit der Höhnk uns und der Philosophie begegnete, die uns antrieb. Er stellte Fragen, er stellte sie mithilfe philosophischer Texte, Systeme und vielfach mit prägnanten Anekdoten. Oder mit Filmen.

Verstörend und aufwühlend

Ich erinnere mich, dass wir uns der Frage nach dem Glück auf einem Weg näherten, der mindestens ungewöhnlich war: Wir schauten uns gemeinsam Miloš Formans Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ an, ein Film, den ich damals als verstörend und aufwühlend empfand und der die Frage nach dem Glück aus jeder wohlfeilen Banalisierung herauskatapultierte. Er machte uns klar, wie sehr unsere Vorstellung vom Glück abhängig ist von Situationen und gesellschaftlichen und persönlichen Kontexten, Einschränkungen und Spielräumen, dass es angewiesen ist auf ein Handeln, welches solidarisch, empathisch oder humanistisch dazu beiträgt, Glücksbedingungen zu stiften.

So systematisch der Aufbau der philosophischen Lektüre war, so sehr pflegte Klaus Höhnk eine Praxis des Um-die-Ecke-Denkens. Der Philosophieunterricht war häufig ein wechselseitiges Ringen um Verstehen, ein Verstehen philosophischer Fragen und Antworten, aber auch ein Verstehen zwischen seiner Erwachsenen- und unserer Jugendlichenperspektive. Seine Fragen verstanden wir oft erst nach einigen Nachfragen und ich erinnere, wie unglücklich er war, wenn diese Annäherungen ins Leere liefen. Vielleicht war es gerade dieser permanente Prozess des Nicht-Verstehens und Sichannäherns, des Fragenstellens und des Äußerns von Verständnishypothesen, der uns mehr über Philosophie beibrachte als so manches Universitätsseminar.

Anders als ich es in meinem Fachdidaktikstudium der Philosophie lernen sollte, ging es Höhnk nicht in erster Linie darum, uns mit der Geschichte und grundlegenden Positionen der Philosophie vertraut zu machen. Ihm ging es um Selbstreflexion. Und darum, uns eine andere Sicht auf uns und die Welt, in der wir uns bewegten, zu ermöglichen. Diese Haltung verkörperte Höhnk, Philosophie war für ihn eine Lebenspraxis. Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem wir uns die Unendlichkeit des Universums vorstellten. Wir fragten uns, mit welchen Gefühlen diese Vorstellung für uns verbunden sei, und stellten fest, der Gedanke, wie klein die Erde im Universum sei, wirke gar nicht unangenehm, sondern durchaus auch sehr entlastend.

Ein Mannschaftssportler

Es war auch gar nicht Höhnks Art, sich als Person sonderlich wichtig zu nehmen. Er war ein zurückhaltender Mensch, empathisch, aufgeschlossen, aber gänzlich unprätentiös. Mannschaftssportler. Praktizierender Philosoph. Intellektueller.

Jahre später erfuhr ich von meiner jüngeren Schwester, die inzwischen Schülerin am Geschwister-Scholl-Gymnasium war, dass Höhnk in Rente gehen und verabschiedet werden würde. Bei einer Feier in der Aula der Schule wurden mehrere Kolleg*innen begrüßt und verabschiedet. Als Höhnk auf die Bühne der Aula kam, um von dieser abzutreten, gab es Standing Ovations. Offenbar war es – ganz gegen seine Natur – seinen Schüler*innen wichtig zu demonstrieren, welche Bedeutung dieser Lehrer für sie gewonnen hatte.

Wir hatten uns einige Jahre nicht gesehen und in der Zwischenzeit hatte ich an der Bonner Uni Germanistik und Philosophie studiert. Als wir uns auf dem Flur begegneten, wollte er gleich wissen, mit welchen Dingen wir uns an der Universität beschäftigten, welche Texte, Theorien und Philosophen wir denn diskutierten? Als das Gespräch auf die Systemtheorie kam, freute er sich und berichtete, dass er mit seinen philosophischen Freunden in letzter Zeit auch Luhmann entdeckt hätte und die Perspektiven, die sich daraus ergeben würden, für ihn überaus spannend wären.

Ich war beeindruckt, wie wach und neugierig dieser Mann immer noch war und wie bereit, auch lang gepflegte Denktraditionen auf den Prüfstand zu stellen. Er blieb im positiven Sinne anspruchsvoll. Am 8. August ist Klaus Höhnk im Alter von 82 Jahren gestorben. Glücklich, wer ihm begegnen konnte.

Céline Kaiser ist Professorin für Medienkulturwissenschaft und szenische Forschung an der Hochschule für Künste im Sozialen Ottersberg. Sie forscht zu „Szenen des Subjekts. Kulturgeschichte der Theatrotherapie um 1800–1900–1970/2000“. Sie war Ende der 1980er-Jahre Schülerin von Klaus Höhnk an der Geschwister-Scholl-Schule in Bremerhaven.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!