Nachruf auf Käthe Reichel: Mit Kritik sparte sie nie
Käthe Reichel konnte locken, winseln, betteln, anstoßen, schreien, brüllen. Am Freitag ist die Schauspielerin und Brecht-Geliebte im Alter von 86 Jahren gestorben.
Bertolt Brecht schätzte sie sehr. Kurz vor seinem Tod schrieb er: „Käthe Reichel ist ist eine der begabtesten Schauspielerinnen des Berliner Ensembles und auch in Westdeutschland sehr bekannt.“
Und Käthe Reichel, die damals gerade 30 Jahre alt war und erst am Anfang ihrer Karriere stand, schätzte Brecht ebenso sehr. 2006, ein halbes Jahrhundert nach Brechts Tod, schickte sie ihm in Form eines Buches 45 „Windbriefe“, in denen sie die Marotten, aber auch die Arbeitsweise des Geliebten beschrieb.
Käthe Reichel war eine loyale Schauspielerin, sie blieb den Methoden Brechts treu, doch nicht um jeden Preis. Der Figur der heiligen Johanna blieb sie treu, war aber nichts nur Brechts Johanna, sondern auch die anderer Autoren. Käthe Reichel konnte locken, winseln, betteln, anstoßen, schreien, brüllen – wie jede gute Schauspielerin nahm sie dabei auf ihr Aussehen und ihr Ansehen keine Rücksicht, sie tat, wonach die Rolle verlangte.
Später arbeitete sie, die zwar eine kaufmännische Lehre absolviert, aber nie eine Schauspielschule besucht hatte, mit Wolfgang und Thomas Langhoff oder Benno Besson zusammen, lebte in Ostdeutschland und arbeitete trotzdem auch in Westdeutschland. Sie war nie eine Diva. Käthe Reichel war vielmehr das, was sie auf der Bühne so oft verkörperte: eine Frau, eine „einfache Frau“, die weiß, was sie will.
Dementsprechend eckte die beliebte Schauspielerin in der DDR an, etwa als sie Mitte der Siebziger Jahre Unterschriften gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns sammelte. Auch sprach sie sich im November 1989 auf dem Alexanderplatz für Demokratie aus. Dennoch blieb sie immer eine Linke und gehörte nie zu den Wendehälsen, die mit ihrem Leben in der DDR nichts mehr zu tun haben wollten.
Politisch engagiert bis ins hohe Alter
Reichel engagierte sich auch im hohen Alter weiter, beteiligte sich an Arbeitskämpfen oder protestierte mit wackeren Häuflein gegen Hartz IV und andere „Sozialreformen“. Zwar war auch ihr Engagement oft genug vom simplifizierenden Schwarz-Weiß-Denken, wie es so vielen PolitiaktivistInnen eigen ist, geprägt. Gerade das aber verhalf ihr zu großer Wut. Es blieb eine stets große Freude, die energische alte Dame auf Demonstrationen gegen Nazis anzutreffen.
Nach 1990 verlor die Schauspielerin an Popularität. Dies war dem Umstand geschuldet, dass es kaum noch Filmproduktionen gab, in denen ihre Schauspielkunst gefragt war. Und die Methode, sich wie viele andere große Schauspielerinnen und Schauspieler des Geldes wegen darstellerisch zu beschränken, um die mitspielenden Fernsehprominenten nicht an die Wand zu spielen, war für Reichel undenkbar. In diesem Sinne blieb sie wahrhaftig.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Käthe Reichel noch ein Buch, „Dämmerstunde“. Darin erzählte sie aus ihrer Kindheit und zog Parallelen zur Gegenwart. Mit Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen sparte sie nie. Diese Kritik gehörte zu ihrer Kunst. Am Freitag ist sie in ihrem Haus im brandenburgischen Buckow, unweit des dortigen Brecht-Weigel-Hauses, im Alter von 86 Jahren gestorben.
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