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Nachruf auf Jesper JuulVom Tellerwäscher zum Erzieher

Jesper Juul gab so manchen jungen Müttern und Vätern die Erziehungsgelassenheit zurück. Der Pädagoge ist im Alter von 71 Jahren gestorben.

R.I.P., Jesper Juul Foto: dpa

Berlin taz | Eine seiner beeindruckendsten Eigenschaften war die Stille. Wie er lange Zeit regungslos dasaß und zuhörte, ohne ein Wort zu sagen. Er nahm tief in sich auf, was er vom Gegenüber hörte. Er nickte nicht, er kommentierte nicht mit Blicken. Er schwieg – und dachte nach.

Wer jemals zusammentraf mit Jesper Juul, dem vielleicht größten Elternberater der vergangenen Jahre, dürfte diese Begegnung nie vergessen. Ein Berg von einem Mann, massiv im Körper, massiv im Denken. Ein Gesicht mit gelebtem Leben darin, und jeder Menge Lebensfreude. Auch wenn die Realität gerade anders aussah. Er musste gar nicht viel sagen, denn was er sagte, das saß. Sätze wie dieser: „Kinder brauchen keine Grenzen, Kinder brauchen Eltern mit Grenzen.“ Sätze, die er oft wiederholte, und die doch nicht abgedroschen klagen. Sätze, die viele Großstadteltern in sich aufsogen wie ein ausgetrocknetes Feld den ersehnten Landregen.

Vor zwei Tagen ist der dänische Familientherapeut nach langer Krankheit im Alter von nur 71 Jahren gestorben.

Juul gab so manchen jungen Müttern und Vätern eine Erziehungsgelassenheit zurück, die sie im Anspruch, es anders zu machen als die eigenen Eltern, verloren hatten. Statt der einst gepriesenen Autorität hieß es nun Grenzenlosigkeit. Mit fatalen Folgen: Die Töchter und Söhne tanzten den liberalen, aber hilflosen Eltern auf der Nase herum, die Erwachsenen wurden mit den Kindern „nicht mehr fertig“, wie man früher so schön sagte.

Juul hatte einen Rat: Eltern, werdet Freunde eurer Kinder! Klingt einfach, war für viele aber schwer zu machen. Denn Juul meinte damit eben nicht, dass man Zweijährige fragt, ob sie lieber ein Crunchy-Chocolate-Chip-Eis oder eher das mit der Mango-Mascapone-Creme haben möchten. Oder doch lieber das mit Joghurt-Waldbeere? Ach, nein, Schatz, schau, es gibt auch sizilianische Pistazie, das kennst du doch aus Palermo, erinnerst du dich nicht mehr?

Grenzen setzen

Mit „Erwachsenenfreunden“ meinte Juul, dass Eltern ihren Kindern natürlich Grenzen setzen müssen. Auch und vor allem in schwierigen Lebensphasen wie Trennungen und Scheidungen, in denen Mütter und Väter vielfach ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kindern haben, sollten sie keinesfalls zu spendabel sein mit kindlichen Freiheitsrechten.

So hatte er es auch einmal in einem taz-Interview beschrieben. Für Juul waren Erwachsene und Kinder gleichwertig, ohne jedoch zu verwechseln, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Man könnte es auch so formulieren: Es gibt ein Kinderleben und es gibt ein Erwachsenenleben. Beide passen oft zusammen, müssen oft zusammenpassen, aber eben nicht immer. Und dann gibt es verschiedene Regeln – und Grenzen.

Juul war Koch auf See, Tellerwäscher, Barkeeper, Betonarbeiter. Er hat Geschichte und Religion studiert, ein Erziehungsinstitut und eine Elternberatungsstelle gegründet und rund 40 Bücher geschrieben, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Er hat Elternfragen unter anderem im Spiegel und in der Süddeutschen Zeitung beantwortet, saß auf hunderten Podien und war ein gefragter Gast in Talkshows. Wurde er auf der Straße angesprochen, hatte er selbst dann noch ein freundliches Wort übrig, wenn er es eilig hatte.

Die Zeit, in der Kinder „nebenbei groß werden“, ist vorbei. Sie wurde abgelöst durch die Zeit, in der Kinder „zu Projekten“ gemacht werden. Diese Entwicklung beobachtete Juul stets kritisch. Aber er verdammte Eltern nicht, die ihre eigenen Ansprüche und unerfüllten Sehnsüchte auf ihre Kinder projizierten. Er versuchte, den Eltern ihr eigenes Verhalten zu spiegeln und ihnen auf diese Weise zu erklären, warum es gerade nicht gut läuft zwischen Mutter, Vater, Kind.

Am Ende kann man es auf eine einfache Formel bringen, mit einem Satz, den Juul ebenfalls oft sagte: „Eltern, liebt doch Eure Kinder einfach.“

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