Nachruf auf Hermann Kant: Ein intelligenter Seiltänzer
Kant, ehemaliger Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR, ist 90-jährig gestorben. Wenige haben ihn geliebt, viele mit ihm abgerechnet.
Die Tageszeitung Neues Deutschland erfuhr am Sonntagmorgen „aus privatem Umfeld“ zuerst vom Tod des Schriftstellers Hermann Kant. Im mecklenburgischen Neustrelitz verstarb er zwei Monate nach seinem 90. Geburtstag in einem Krankenhaus. In der Region lebte der langjährige Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes seit mehr als 20 Jahren zurückgezogen. Zu einem kritischen Epilog auf jene „Sache“, der er gedient hatte und die in der korrumpierten Ausprägung als sowjetisch beherrschtes sozialistisches Weltsystem 1990 scheiterte, war er nicht mehr fähig.
„Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten“, resümierte Kant vor drei Jahren gegenüber seiner Biografin Linde Salber. Diesen Traum aber haben nicht nur andere verraten. Im real existierenden Sozialismus verlor der hochbegabte Meister des Wortes selber seine anfänglich wach beobachtende kritische Distanz, schmälerte in Nibelungentreue zu einem System der Epigonen seinen möglichen literarischen Rang.
Hat seine frühe Anerkennung diese Bindung möglicherweise zu einer Verpflichtung gesteigert? Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen ließen die Talente des 1944 zum Kriegsdienst Eingezogenen erst spät zur Entfaltung gelangen. Nach vier Jahren Gefangenschaft in Polen begann der gelernte Elektriker seine Ausbildung an der sogenannten Arbeiter- und Bauern-Fakultät, schloss mit 30 Jahren sein Germanistikstudium an der Berliner Humboldt-Uni ab. Dieses Bildungsmilieu der frühen DDR, das sowohl Chancengleichheit für die „werktätigen Schichten“ herstellen als auch systemtreue neue Eliten heranbilden sollte, prägt Kants berühmtesten Roman „Die Aula“. In 15 Sprachen übersetzt, war er auch in der westdeutschen Bundesrepublik Schulstoff.
Zwischen 1962 und 1967 hatte der relativ junge Autor schon vier renommierte Literaturpreise der DDR erhalten. Das im gleichen Jahr erschienene Schriftstellerlexikon bescheinigt ihm „geschliffene Feuilletons“ und die Fähigkeit, „oft mit Heiterkeit und Ironie die Wandlung von Menschen unserer Zeit durch eine Fülle fabulierfreudig dargebotener Geschichten und Anekdoten darzustellen“.
Kant wurde in der DDR nicht nur pflichtgemäß gelesen. Neben der „Aula“ zählen „Das Impressum“ und „Der Aufenthalt“ zu seinen Spitzenwerken. Obschon die Sujets Gegenwartsstoffe und neueste Geschichte aufgriffen, spielte der Autor auch gern mit „ältlichen Wendungen“.
Spielräume aufgegeben
Als Spieler, ja als Seiltänzer haben ihn schon DDR-Zeitgenossen und vor allem Biografen und Feuilletonisten der Nachwendezeit angesehen. Eine Frage nach den Spielräumen, die man als getreuer SED-Parteisoldat und ab 1978 als Präsident des Schriftstellerverbandes nutzen konnte, Räume, die Kant in seinen Funktionen aber auch aufgab. Und Kant war kein Opportunist.
Den Tiefpunkt markierte drei Jahre nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann der spektakuläre Ausschluss von neun prominenten Schriftstellern aus dem Schriftstellerverband im Jahr 1979. Die Einheitspartei hatte zuvor massiven Druck auch auf die abstimmenden Kollegen ausgeübt. Unter dem Decknamen „Martin“ soll Kant außerdem Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sein, nicht ungewöhnlich für DDR-Verhältnisse.
Wenige haben ihn geliebt, viele haben mit ihm nach 1990 abgerechnet, aber ein gewisser Respekt ist ebenfalls geblieben. Sowohl vor einem scharfsichtigen Intellektuellen als auch vor einem Mann, der anscheinend unbeirrt einer Weltverbesserungsidee folgte, als sie sich längst schon pervertierte. Wie es der Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki formulierte: „Dieser Schriftsteller war und ist ein harter und intelligenter Gegner unserer westlichen Welt. Zur Herzlichkeit haben wir wahrlich wenig Grund. Aber doch zu einer knappen, respektvollen Verneigung.“
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