Nachruf auf Hans Modrow: Ein undogmatischer Sozialist
Er wagte den Balanceakt zwischen Pragmatismus und Ideologie. Nun ist der SED-Politiker Hans Modrow im Alter von 95 Jahren gestorben.
Aus einfachsten Verhältnissen im damaligen Westpommern stammend, wurde er im letzten Kriegsjahr zum Volkssturm eingezogen, geriet in sowjetische Gefangenschaft. Diese Zeit prägte seine sozialistische Grundhaltung und die Vorstellung von einem künftig friedlichen Deutschland. Der meist streng schauende Modrow absolvierte mehrere Hochschulen und stieg schnell in der Sozialistischen Einheitspartei auf.
Zunächst in Berlin, wo er an der HU in Wirtschaftswissenschaften promovierte. 1967 wurde er Mitglied im Zentralkomitee der Partei. Realismus und Pragmatismus trugen ihm den Ruf eines Reformers ein. Angeblich hatte ihn die Sowjetunion 1987 als Nachfolger des Hardliners Erich Honecker an der Spitze von Partei und Staat vorgesehen.
Stundengenau erinnerte sich Modrow bei einem taz-Gespräch 2019 an die schwersten Tage seiner Laufbahn. In Dresden versuchten am 3. und 4. Oktober 1989 Tausende auf die von Prag in die Bundesrepublik durchfahrenden Züge mit DDR-Botschaftsflüchtlingen aufzuspringen. Der Dresdner Hauptbahnhof wird verwüstet, Polizeiautos brennen. Modrow kritisiert die „irrsinnige“ Routenwahl durch die DDR und die späte Information. Den Einsatz der paramilitärischen Kampfgruppen lehnt er ab, bittet die Volksarmee um Hilfe, um Tote zu vermeiden.
Nach der Wende weiß er, er ist ein Auslaufmodell
Auch in interne SED-Weichstellungen gegen einen Gewalteinsatz bei den Demonstrationen vom 7. bis 9. Oktober 1989 vor allem in Dresden und Leipzig ist Modrow eingebunden. Nach dem Sturz Honeckers hat der SED-Staat keinen Besseren als ihn an der Spitze des Ministerrates. Er weiß, dass er ein Auslaufmodell ist, fühlt sich von Bundeskanzler Helmut Kohl wie ein Schuljunge behandelt, spricht mehrfach vom westdeutschen Diktat. Kurz vor der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 versucht er noch, Hauseigentümer vor dem Ausverkauf zu retten.
Die Quittung folgt nach der Wiedervereinigung. 1993 wurde er wegen Wahlfälschung und Falschaussage zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Seine Beobachtung durch BND und Verfassungsschutz wurde 2013 eingestellt. Keine Rolle spielte, dass er seit 1988 von der Stasi ausgespäht wurde. Lange Mitglied im Ältestenrat der Linken, tat er sich mit Kriegsrelativierungen nach dem russischen Ukraine-Überfall keinen Gefallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“