Nachruf auf Frauke Schirmbeck: Die Macherin aus dem Maschinenraum
Frauke Schirmbeck hat fast 32 Jahre bei der taz verbracht, als Fotoredakteurin, Seite-eins-Macherin und Chefin vom Dienst. Nun ist sie gestorben.
Die allermeisten von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, werden ihren Namen noch nie gehört haben. Frauke Schirmbeck, die am 2. Januar viel zu früh nach langer schwerer Krankheit verstorben ist, war in der taz das, was man eine Maschinistin nennen kann.
Ach was, Maschinistin, das ist viel zu niedrig gegriffen. Frauke war Meisterin im Jonglieren mit Zeilenzahlen, Überschriften und Unterzeilen, Bildunterzeilen, Zwischenüberschriften, nicht zu vergessen in der kompetenten Auswahl von Fotos und Illustrationen sowie in der Gestaltung von Seiten und ganzen Seitenstrecken und, ganz wichtig, in der Themenfindung und Platzierung, der Betreuung von Korrespondenten, Redakteuren und Autoren, der Entwicklung origineller Herangehensweisen an altbekannte Themen, im Hinterfragen wiederholter Behauptungen, der Aktualisierung nach dem Eingang wichtiger Nachrichten, im Trösten niedergeschlagener Autoren. Eine Taktgeberin, und was für eine.
Und doch eine ziemlich Unbekannte.
Es ist nämlich so, dass sich nur ein kleinerer Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Medienhauses wie der taz mit ihren Namen in Texten wiederfindet. Der größere Teil sorgt dafür, dass das Geschriebene anständig präsentiert wird, ob online auf taz.de, digital oder im Print, dass die Rechnungen bezahlt werden, dass das Licht nicht ausgeht und die Computer laufen. Solche Menschen verfallen nicht dem Glauben, sich selbst für berühmt zu halten. Sie machen ihren Job, sie lachen und weinen, haben Spaß oder auch mal schlechte Laune.
Frauke zählte zu diesen Menschen, und sie hatte ziemlich viel Spaß bei der Arbeit, das können Sie uns glauben. Wir wissen es, weil wir das Vergnügen hatten, jahrelang eng mit ihr zusammenzuarbeiten und nicht nur zu arbeiten.
Frauke Schirmbeck, geboren 1964, stieß vor fast 32 Jahren zur taz. Die Lohnbuchhaltung verzeichnet ihren Eintritt zum 1. April 1992 auf einer halben Stelle in der Fotoredaktion. Zuvor hatte sie beim Berliner Lette-Verein eine Ausbildung zur Fotografin absolviert und danach die Bebilderung des Greenpeace Magazins verantwortet.
In der Fotoredaktion einer Tageszeitung kommt man selten selbst zum Fotografieren. Es geht dort vor allem darum, die richtigen Bilder aktuellen Themen zuzuordnen, den Kontakt mit freien Fotografen und Agenturen zu halten und im Idealfall dazu beizutragen, dass die taz eine eigene Bildsprache verfolgt. Frauke war jemand, der das alles gelang. Und weil sie zugleich eine bemerkenswerte Sicherheit in der Gewichtung von Nachrichten bewies, endete nach rund zehn Jahren ihr Job bei den Fotos.
Sie wechselte in die Textredaktion, hin zur Produktion der Seite eins und der wichtigsten Nachrichtenseiten – nett formuliert ins Herz der Zeitung, ehrlicher gesagt ins Stahlbad, dorthin, wo es qualmt, dampft und zischt. Wo Stress und Zeitnot dein ständiger Begleiter sind, wo ergebnislose Seite-eins-Konferenzen den Blutdruck gefährlich steigen lassen – aber auch, wo die taz zu dem gemacht wird, was sie ist: ein unberechenbares, mal bitterböses und mal albernes, immer originelles linkes Blatt. Diese Zeit bei den „Aktuellen“ habe sie am meisten geprägt, sagt Fraukes Sohn Lucas heute. „Wie Arsch auf Eimer“ habe Frauke in diese Redaktion gepasst.
Frauke wurde dort unverzichtbar, als Chefin vom Dienst wie als Titelmacherin. Legendär ihre Schlagzeilen wie das immer wieder kopierte „Es ist ein Mädchen“ nach der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. Frauke, die nie studiert hatte, setzte sich durch gegen philosophielastige Autoren, denen bisweilen vor lauter Verliebtsein in die eigenen Worte die These abhanden kam. „Locken auf der Glatze drehen“, hat sie dies mal auf einer Konferenz genannt.
Wieder rund zehn Jahre später wollte Frauke Schirmbeck es künftig etwas weniger hektisch angehen und wechselte in die Wochenendredaktion, wo sie erneut als Chefin vom Dienst arbeitete.
Frauke wollte von den überfallenen Menschen im Donbass erfahren, als Putin in Deutschland noch als ehrenwerter Gaslieferant galt, wollte von den Frauen, Kindern, Männern im Flüchtlingslager auf Lesbos lesen, von den Zuständen in brandenburgischen Dörfern, dem Leben, dem Wasser und dem Schlamm im Ahrtal. „Das muss man ganz anders einordnen“, sagte Frauke dann. „Das muss man in einen größeren Zusammenhang stellen“, sagte sie und ratterte die Fragen runter, die sich ihr stellten, wie es zum Krieg, zum Brand, zur Flut kommen konnte.
Die ewige Skepsis der Journalistinnen und Journalisten trieb Frauke Schirmbeck an, ebenso die Lust auf gut geschriebene und aufgebaute Geschichten, die sie lesen wollte und ausgiebig lobte in der Redaktion wie gegenüber den Autorinnen und Autoren. Viel zu häufig gilt in Redaktionen der Grundsatz, dass nicht gemeckert schon genug des Lobes sei. Frauke hatte ein großes Herz und fühlte mit den Menschen, sah, welcher Kollege sich aufrieb und unterstützt werden musste, welcher einen herzlichen Zuspruch oder einen kleinen Frauke-Wortwitz brauchte, der zu einem spontanen Lachanfall führte.
„Sie gehörte zu den Kolleginnen, die für uns Korrespondenten im Ausland besonders angenehm waren: Sie war freundlich, klar, ermunternd, pragmatisch und klug“, erinnert sich eine frühere Asienkorrespondentin. Frauke hatte diesen norddeutschen Humor, manchmal hart und glasklar, aber nicht unmenschlich, und sie zügelte sich selbst oder andere bei Wortwitzüberschuss mit einem lang gezogenen „Uiiihhh“ und schrägem Blick.
Und Frauke erwies sich ganz außerhalb der taz als eine wunderbare Gastgeberin. Selten war eine Redaktion so des Lobes voll wie nach den Spargelessen in ihrer Wohnung.
Frauke Schirmbeck hatte noch so viele Dinge vor, freute sich auf ihren zweiten Enkel im Frühjahr 2024, wollte mit den Kindern an die Ostsee fahren, endlich reisen, reisen, reisen und mit Mann und Hund die guten Seiten Berlins genießen. „Perspektivisch“, sagte sie oft und entwickelte dann mit präzisen Worten das Bild einer größeren Geschichte, die sich vor ihren blauen Augen schon am Horizont abzeichnete, während man selbst noch im Alltag kniete und den Wald nicht hinter den gerade vom Sturm umgeworfenen Bäumen sah.
Nicht alle von uns dreien haben in den letzten Monaten den Kontakt zu ihr gehalten. Es kam halt immer etwas dazwischen, die Arbeit, die Familie, das Leben.
Ulrike Fokken aber blieb Frauke Schirmbeck eine Begleiterin. Die letzten Jahre haben sie sich oft im Grunewald oder an einem der Havelseen getroffen, sind stundenlang mit den Hunden spazieren gegangen, haben über sich, die Politik, die Welt, die Bücher geredet. Im Lockdown versorgten sie sich mit den neuesten Entdeckungen. Bernardine Evaristo, Fernando Aramburu, Louise Erdrich, Christopher McDougalls „Das Glück ist grau“. Und weil Treffen unmöglich waren, schickte Frauke im Frühjahr des zweiten Lockdowns ihr exzellentes Bärlauchpesto eben mit der Post an Ulrike. „Mir ist noch ganz viel eingefallen, worüber ich mit dir sprechen wollte“, schrieb Frauke nach dem letzten Spaziergang im September.
Zehn Jahre lang ist Frauke von einer heimtückischen Krankheit gequält worden. Vielleicht wusste sie schon viel länger, als sie durchblicken ließ, dass die immer wieder in tsunamiartigen Wellen durch ihren Körper strömenden Schmerzen sie umbringen. Vielleicht wusste sie beim letzten Telefonat vor Weihnachten, dass sie dem Tod schon nah war. Und wie so oft in ihrem Leben hat sie erst an die anderen gedacht, hat ihre eigene Geschichte zurückgehalten und hat die Geschichte der anderen gesehen, vorausgeschaut und an das Weihnachtsfest gedacht, das sie nicht mit der unfassbar traurigen Geschichte ihres eigenen Todes verderben wollte.
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