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Nachruf auf Autorin Minnie Bruce PrattVom Donner gerührt

US-Autorin Minnie Bruce Pratt ging mit ihrer Leserschaft und Community einen Bund ein, zu dem auch Gedichtbände gehörten – und die Beziehung zu Leslie Feinberg.

Die lesbische Dichterin, Aktivistin und Hochschullehrerin Minnie Bruce Pratt Foto: Rachel Fus

L iebe Minnie Bruce – so spreche ich dich an, denn so hast du dich immer bei deinen Vorträgen vorgestellt. War es im feministischen Buchladen in Atlanta oder an der Georgia State University, wo mir das zum ersten Mal auffiel, ich weiß es nicht mehr. Genauso auf deiner Website. Du stehst dort mit deinem Vornamen, diesem klangvollen doppelten Vornamen („so wie Fannie Lou oder Ana María“, schriebst du) und nicht mit deinem Doktortitel oder einer Aufzählung der vielen Auszeichnungen, die dir für deine Lyrik und deine politische Arbeit zuteil wurden.

Du gingst mit deiner Leserschaft und deiner Community in dieser kurzen, einladenden Vorstellung deiner Selbst einen Bund ein, zu dem stets auch deine Gedichtbände und Essays gehörten und deine Beziehung zu Leslie Feinberg, aus deren Feder „Stone Butch Blues“ stammte und der_dem du mit „S/HE“ und später, als Feinberg nicht mehr lebte, mit „magnified“ öffentliche Liebesbriefe schriebst.

Ihr musstet nicht von außen als Lebenspartner_innen erzählt werden, oder gar über die andere Person definiert werden, diese oft fragwürdige Geste. Nein, ihr habt euch selbst gegenseitig an eure Seite geschrieben, immer auch die Arbeit der_des anderen hervorgehoben, ein Dienst des Respekts für das Politische der Liebe, den wir vielleicht verlernt haben.

Zum 30. Jubiläum von „Stone Butch Blues“ hast du für das Spinnboden Lesbenarchiv aus dem Gedicht „Tattoos“ gelesen, das von dem Respekt unbekannter Menschen für euch als Paar erzählt, der sich in allen Pronomen ausdrücken konnte, wie es Feinberg immer betont hat.

Tochter Alabamas

Zu so vielem werden wir noch reflektieren, was du als weiße Tochter Alabamas über das antirassistische Erbe des Südens der USA geschrieben hast, die Solidarität im Klassenkampf. Hätte dich jemand zu Frankreich gefragt, du hättest sicher die selektive Empathie angesprochen: Wie in der Berichterstattung zu den Protesten gegen die Rentenreform sofort nach den Gründen und politischen Forderungen gefragt wurde und bei den Protesten gegen Polizeigewalt nur von Sachbeschädigung die Rede ist.

Liebe Minnie Bruce also, ich lese gerade die vielen Erinnerungen aus meinem Freundeskreis, eines deiner Bücher zum ersten Mal in der Hand gehabt zu haben: Es im Stehen lesend, die Luft anhaltend und vom Donner gerührt. Von den unverkennbaren Worten der Zuneigung und des Begehrens für Butch Lesben, für trans*­mas­ku­li­nen Ausdruck. Gelegt hast du deine Worte in einen Hemdsärmel, einen spontanen Tanz in einem Diner, den Stoff eines Unterhemds.

Ich bin auch immer wieder vom Donner gerührt, wenn eine feminin gelesene Person sich in der Öffentlichkeit bei mir einhakt. Den Arm festhält, ein Stück so mit mir zusammenläuft, den Weg markiert, sei es eine „heterosexuelle“ Freundin, meine Cousine, meine Partnerin. Ihr seid in diesem Momenten unser Schutzschild, nicht umgekehrt.

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Noemi Molitor
Redakteur:in
Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. 2022-2024 Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle von Queer-Theorie, abstrakter Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.
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