Nachruf Umberto Eco: Der mit der unendlichen Neugier
Was dieser Autor alles wusste! Und wie wenig snobistisch er dachte! Umberto Eco verband souverän Hoch- und Populärkultur.
„Ein Projekt: das ist die wahre Alternative zum Kreuzworträtselheft, das wirkliche Gegenmittel gegen Alzheimer“. Vor knapp drei Monaten schob Umberto Eco das letzte Projekt seines Lebens an, die Gründung des Verlags La Nave di Teseo (Das Schiff des Theseus), ein Projekt, in das er selbst zwei Millionen Euro steckte, weil er keine Lust hatte, seine Bücher weiter in seinem alten Verlag zu publizieren – denn der war von der Berlusconi-Holding Mondadori übernommen worden.
„Projekte“ hat der am Freitagabend gestorbene Eco in seinem Leben zuhauf realisiert; die Nachrufe tun sich entsprechend schwer, ihn – den Philosophen, Semiotiker, Romancier, Professor und Autor von Zeitschriftenkolumnen, der über Ginger Rogers genauso nachdachte wie über zweitrangige Maler der lombardischen Romantik – anders zu charakterisieren als mit langen Aufzählungen.
„Der Mann, der alles wusste“, ruft die Website der Tageszeitung La Repubblica Eco emphatisch hinterher – und kaum jemand würde dieses Diktum zu einer Übertreibung erklären. 1932, in den Zeiten des Faschismus, in der norditalienischen Provinzstadt Alessandria geboren – der Vater arbeitete in einer Eisenwarenhandlung –, war er von Beginn an manischer Leser, auch wenn es zunächst nur Micky-Maus-Heftchen waren (von denen er jedoch später in seiner gewohnt leisen Ironie gleichsam als Widerstandslektüre gegen die Enge und die dröhnende Rhetorik des Mussolini-Regimes berichtete).
An der Universität befasste sich der junge Katholik mit Thomas von Aquin, schrieb über den Heiligen seine Abschlussarbeit und bilanzierte als persönlichen Ertrag, man könne sagen, dass Thomas „das Wunder vollbracht hat, mich vom Glauben zu heilen“. Kurz danach tritt er in das gerade entstandene Staatsfernsehen RAI ein – und damit sind die beiden Pole seines lebenslangen Schaffens zwischen Hoch- und Massenkultur schon präsent.
Denn Eco war sich nie zu schade, seine an philosophischen Traktaten geschärften Analyseinstrumente mit den populären Bereichen der Kultur, vom Comic zu TV-Sendungen, zu konfrontieren. So schrieb er schon 1961 „Die Phänomenologie Mike Bongiornos“ und sezierte darin den Erfolg des damals populärsten italienischen TV-Showmans.
Und so fragte er sich in einer seiner Zeitschriftenkolumnen Jahre später, wieso eigentlich Kommissar Derrick – mit „seinem wässrigen Blick, mit dem traurigen Lächeln eines Mannes, der seit der Geburt verwitwet ist, mit seinen schrecklichen Krawatten“ – so beliebt ist. Am Ende kommt Eco zu dem Fazit, Derrick sei halt „mittelmäßiger als der mittelmäßigste seiner Zuschauer“. Doch er versäumt nicht hinzuzufügen, er wolle jetzt nicht den Snob geben, schließlich verpasse er selbst keine Derrick-Folge.
Eco erhob sich nie über seine Leser
Ebendies ist wohl das wahre Geheimnis von Ecos weltweitem Erfolg: Er versteckte sein Wissen nie – doch er setzte es auch nie ein, um sich zu erheben über seine Leser; stattdessen ließ er sie, tatsächlich ohne jeden Anflug von Snobismus, einfach teilhaben an seiner unendlichen Neugier. 1975 war Eco vom Bompiani-Verlag zur Universität Bologna gewechselt, beteiligte sich am Aufbau der Abteilung für Künste, Musik und Schauspiel, leitete selbst den Bereich „Kommunikation und Schauspiel“. Im gleichen Jahr auch erschien sein Lehrbuch der Semiotik, das international zum Standardwerk werden sollte.
Doch wenn Eco am Ende rund um den Erdball mehr als 40 Ehrendoktorhüte eingesammelt hatte, lag das womöglich auch an einem anderen verlegerischen Erfolg, der ihm Weltruhm bescheren sollte. 1980 kam der „Name der Rose“ heraus. Der Wälzer, in 45 Sprachen übersetzt und an die 40 Millionen Mal verkauft. Das Epos verdankte sich einer Wette mit dem Verleger Bompiani: Eco wollte zeigen, dass es möglich ist, einen mit Hunderten philosophischen und historischen Zitaten gespickten und dennoch packenden Kloster-Thriller zu schreiben.
Entführt in die Geschichte
Sechs weitere Romane sollten folgen, das „Foucaultsche Pendel“ etwa oder der „Friedhof in Prag“. Auch sie entführen ihre Leser in die Geschichte, der Tempelritter oder der Garibaldi-Kämpfer für die Unabhängigkeit Italiens im 19. Jahrhundert, und auch in ihnen stehen wirkliche oder vermeintliche Komplotte im Zentrum des Geschehens. Sein letztes literarisches Werk allerdings, den 2015 erschienenen Roman „Nullnummer“, siedelte Eco im Italien des Jahres 1992 an, nicht zufällig in jenem Jahr, das mit seinen großen Korruptionsskandalen die Voraussetzungen für Silvio Berlusconis politischen Aufstieg schaffen sollte.
Der Schlüsselroman erzählt von einer im Aufbau befindlichen Zeitungsredaktion, und erneut geht es um Fälschung, um Verschwörungen und Verschwörungstheorien – zugleich aber rechnet Eco mit Berlusconi-Italien ab. Denn auch wenn Eco, ganz Laizist, nie „organischer Intellektueller“ im Dienste politischer Bewegungen sein wollte, ließ er es sich nicht nehmen, immer wieder publizistisch die Stimme zu erheben gegen Silvio Berlusconi.
Und so war dann auch die Trennung von seinem alten Verlag nur konsequent: von einem wie Berlusconi wollte Eco seine Bücher zuallerletzt verlegt sehen.
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