Nachruf Tommy Ramone: Esst koschere Salami
Renitenter Gesichtsausdruck, die Gitarrenhälse lugen aus Plastiktüten hervor - das letzte Original-Mitglied der Ramones ist gestorben. Erinnerungen.
Es war 1979 oder 1980, tief in der bayerischen Provinz. Mit meinem Kumpel Thomas traf ich mich regelmäßig zum Musikhören und die eine Platte, die dabei immer lief, war „It’s alive“, das Doppelalbum der Ramones. Das beste Livealbum aller Zeiten und das einzige Livealbum, das wirklich zählt. 28 Songs, keiner länger als drei Minuten. Strophe, Refrain, Strophe, Schluss. Der nächste klingt genauso.
Und Thomas war der erste, den ich kannte, der dieses Album „Ramones: It’s alive“ besaß. Punk: Als ich zum Haus seiner Eltern kam, drang dichter Rauch aus der Küche. Sein Bruder hatte eine Herdplatte angelassen und ein Topf hatte Feuer gefangen. Nix war’s mit Ramones hören, aber wenigstens blieb die Platte heil.
Und so begann meine Geschichte mit der New Yorker Punkband, die auch eine tragische Seite hat. Denn der erste Nachruf, den ich je geschrieben habe, galt Ramones-Sänger Joey Ramone (Jeffrey Hyman), der im April 2001 an Krebs gestorben war. Ihm folgten der Reihe nach alle Bandmitglieder: Dee Dee (Douglas Colvin), der Bassist, setzte seinem Leben im Juni 2002 mit einer Überdosis Heroin ein Ende. Gitarrist Johnny (John Cummings), starb im September 2004, an Krebs.
Am Freitag nun folgte Tommy (Tom Erdélyi), der Drummer und Produzent der Ramones. Er erlag auch, man mag es kaum hinschreiben, einer Krebserkrankung. Noch zu Lebzeiten waren sich die Musiker zum Teil spinnefeind, fuhren in getrennten Autos auf Tour, redeten nur noch über Anwälte miteinander. Vielleicht sind sie im Punkhimmel wieder friedlich vereint.
Comicmäßige Übertreibung aller Gesten
Ein Trost: Die Musik der Ramones bleibt unsterblich. Das lustlose Einzählen, 1, 2, 3, 4, von Johnny Ramone, der gleichzeitige Einsatz von Bass, Gitarre und Drums in der Rumpelfüßler-Diktion, die comicmäßige Übertreibung aller Gesten. Wundervoll, wie Joey am Mikro stottern konnte, in dem er den Schluckauf ländlicher Rockabilly-Sänger und den Werbejingle-Flow der Bubblegum-Musik nachahmte. Denn als die Ramones 1974 in Queens/New York begannen, war Rockmusik öde oder sogar schon tot: Hippie-Supergruppen-Angeberei mit virtuosen Einlagen.
Die Ramones änderten das, indem sie die Stumpfheitsdoktrin einführten. Für ihr Comicfigurenimage holten sie den Schrott der Teenagerkultur der Fünfziger und Sechziger wieder aus dem Keller, gaben sich dämliche Pseudonyme, rissen Löcher in die Röhrenjeans und zogen schwarze Lederjacken an. Wie Scharfrichter standen sie auf der Bühne rum.
Sieh auch das Cover von „It’s Alive“. Noch ein weiteres Bandfoto von 1975 hat sich mir eingeprägt. Die Ramones in der New Yorker U-Bahn. Renitenter Gesichtsausdruck, die Gitarrenhälse lugen aus Plastiktüten hervor. Punk begann in der U-Bahn.
„First rule is, ’The laws of Germany’/Second rule is, ’Be nice to mommy’/Third rule is, ’Don’t talk to commies’/Fourth rule is, ’Eat kosher salamis‘“, sangen die Ramones in ihrem Song „Commando“.
In dem 2007 erschienenen Buch von Steven Lee Beeber über die jüdischen Wurzeln des New Yorker Punk („The Heebie Jeebies of CBGB’s“) ist ihre Geschichte noch einmal anders aufgeschrieben. Mit Blick auf ihre jüdische Herkunft und ihren Umgang mit dem Holocaust und die Diaspora der Juden. Ganz speziell gilt das für Tommy Ramone, der in Budapest geboren wurde und mit seinen Eltern 1956, nach dem niedergeschlagenen Aufstand im kommunistischen Ungarn, über Österreich in die USA geflohen war. Und jetzt höre ich wieder „It’s Alive“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“